Bochum. . Lange wurde darüber gerätselt, wie es menschliche Spermien schaffen, auf ihrem weiten Weg zur weiblichen Eizelle nicht die Orientierung zu verlieren. Bis der Biochemiker und Mediziner Prof. Hanns Hatt und seine Mitarbeiter von der Ruhr-Universität Bochum dahinter kamen.
Lange wurde darüber gerätselt, wie es menschliche Spermien schaffen, auf ihrem weiten Weg zur weiblichen Eizelle nicht die Orientierung zu verlieren. Bis der Biochemiker und Mediziner Prof. Hanns Hatt und seine Mitarbeiter von der Ruhr-Universität Bochum vor einigen Jahren entdeckten, dass schon eine geringe Konzentration Bourgeonal, ein Hauptbestandteil des synthetischen Maiglöckchen-Duftes, bei Spermien eine Reihe von Reaktionen auslöst. Plötzlich bewegen sie sich doppelt so schnell und sehr zielgerichtet vorwärts – direkt auf den Ort zu, woher der Duftreiz kommt.
Die Forscher aus Bochum und Kollegen aus den USA haben hieraus gefolgert, dass die Spermien auf ihrer Reise bis zur Eizelle bestimmten chemischen Lockstoffen folgen können, weil sie mit speziellen Riechrezeptoren ausgerüstet sind. „Spermien“, erklärt Hatt, „können aufgrund eines Riechrezeptors in der Zellmembran, wie man ihn auch in den Riechzellen der Nase findet, Düfte erkennen. Das ist in diesem Fall ein maiglöckchenähnlicher Duft. Wir vermuten deshalb, dass die Spermien einer Duftspur bis zur Eizelle folgen.“ Mittlerweile haben die Bochumer Forscher auf den Spermien drei verschiedene Riechrezeptoren identifiziert, die allesamt dabei helfen sollen, dass es schließlich zur Befruchtung der Eizelle kommt.
Doch es gibt eine weitere Erklärung für die Orientierung der Samenzellen. Schon seit langem ist bekannt, dass Kumuluszellen, die die Eizelle einhüllen, erhebliche Mengen des weiblichen Sexualhormons Progesteron produzieren und in den Eileiter schicken. Später stellte sich heraus, dass die Spermien das geruchlose Progesteron irgendwie aufspüren und es als Orientierungsmittel verwenden – aber bis vor kurzem war völlig unklar, wie die Spermien das zustande bringen.
Progesteron spielt die entscheidende Rolle
Nun haben der Bonner Biophysiker Benjamin Kaupp und seine Mitarbeiter vom Caesar-Center (Center of Advanced European Studies and Research) herausgefunden, dass das Hormon Progesteron eine entscheidende Rolle spielt und wie es wirkt: Es verursacht Veränderungen im Kalziumhaushalt der Spermien. Durch diese Kalzium-Signale werden die Schlagrhythmen des Spermienschwanzes immer wieder verändert. Dadurch werden sie auf Schwimmbahnen gelenkt, die sie direkt zur Eizelle führen, vermuten die Forscher.
Das Progesteron hat noch eine weitere Funktion: Sobald die Spermien sich der Eizelle nähern, stachelt es sie dazu an, kraftvoller zu schwimmen, damit sie die schützende Eihülle durchdringen können.
Geruchloses Hormon
Kürzlich haben die Caesar-Forscher in Zusammenarbeit mit Spezialisten des Forschungszentrums Jülich eingehend untersucht, in welchem Maße die Navigationskünste der Spermien von Bourgeonal und anderen Duftstoffen wie beispielsweise Menthol abhängig sind. Die Wissenschaftler berichten darüber in dem Fachblatt „Embo-Journal“.
Intensiver Forschungsbedarf
Nach ihren Befunden stimmt es nicht, dass Spermien irgendeine Art von Gerüchen wahrnehmen können. Vielmehr würden Spermien auf den Maiglöckchen-Duft allein deswegen ansprechen, weil er ihre Progesteron-Sensoren aktiviert. Das bedeutet, auch der Maiglöckchenduft habe dieselben Effekte wie das geruchlose Hormon. Das würde allerdings nur dann funktionieren, wenn die Konzentration des Bourgeonals oder anderer Duftstoffe um mehr als das Tausendfache höher sei als die des Progesterons. In derart hohen Konzentrationen kommen sie jedoch im menschlichen Organismus überhaupt nicht vor, so die Bonner Wissenschaftler. Riechforscher Hanns Hatt sieht hier keinen Widerspruch zu seinen Forschungsergebnissen: „Die Existenz des Riechrezeptors für Bourgeonal (Maiglöckchenduft) bleibt durch die Daten der Bonner Forscher ebenso unbestritten wie die Wirkung von Bourgeonal in niedrigen Konzentrationen auf menschliche Spermien.“
Intensiver Forschungsbedarf bestehe indes noch bei der ungeklärten Frage nach den daran beteiligten Signalwegen, so Hatt. Dazu könnten die Befunde der Bonner Gruppe einen weiteren Mosaikstein beitragen. Die Antwort auf die Ausgangsfrage, wie Spermien sich auf ihrem weiten Weg zum Ei orientieren, ist demnach abschließend noch nicht geklärt.