Referinghausen. .

Viele Großstädter sehnen sich nach dem Leben auf dem Land. Dorthin, wo der Takt des Alltags langsamer schlägt und man die Jahreszeiten noch riechen kann. Von einer, die auszog, um genau das zu finden.

Ihre erste Nacht auf dem Hof, die war einfach nur schön. Kirsten Backhausen, so hieß sie damals noch, ließ die Fenster ihres Schlafzimmers weit geöffnet, um morgens in der Früh das erste Muhen der Kühe hören zu können. Bloß nichts verpassen! Denn das hatte sich die Kölnerin gewünscht seit sie ein kleines Mädchen war: Auf dem Land leben, viele Tiere um sich scharen. Aus der einen Nacht sollten mehrere werden, irgendwann dann ein neues Leben. Genau hier, in Referinghausen, dem 250-Seelen-Ort im Hochsauerland. Auf einem Bauernhof zwischen satten grünen Hügeln und Straßen, die „Auf der Polter“, „Im Wiesengrund“ und „Zur Bärenschlied“ heißen.

Sehnsuchtsland. Sehnsucht Land. Lange nicht mehr wünschten sich so viele Deutsche zurück zur Natur wie in dieser Zeit. Die Landlust geht um. Und je mehr Menschen in Großstädten leben, um so mehr träumen sie sich weg von dort. Zeitschriften wie „Landlust“, „Landidee“ und „Liebes Land“ beschert das enorme Auflagenzuwächse, Fernsehsender lassen Bauern quotenträchtig Frauen suchen, und Designer entwerfen den passenden Lifestyle dazu. Rustikale Eichentische, am liebsten unbehandelt und frisch im Wald geschlagen, sorgen für das entsprechende Ambiente in Großstadt-Kneipen wie vor häuslichen Kaminen. Kleine Fluchten sind das vor Lärm, Hektik und Stress.

"Es kümmert sich wirklich jeder um jeden"

Kirsten Backhausen-Hesse lebt inzwischen seit sechs Jahren in Referinghausen. Sie hat einen Landwirt geheiratet, und doch ist dies alles andere als eine Geschichte aus „Bauer sucht Frau“. 2000, als sie Bernd kennenlernte, hatte Kirsten gerade begonnen, in Budapest Tiermedizin zu studieren. Jahrelang, bis zu ihrer Heirat, führten die beiden eine Fernbeziehung.

Kirsten Backhausen-Hesse mit ihren geliebten Tieren. Foto: Jakob Studnar
Kirsten Backhausen-Hesse mit ihren geliebten Tieren. Foto: Jakob Studnar

Und als sie einzog auf dem Hof, der seit zwölf Generationen von seiner Familie geführt wird, da hatte die heute 35-Jährige ihre Bedingungen gestellt: Sie werde auch als Frau eines Landwirts als Tierärztin arbeiten. Sie wolle nicht, wie es früher üblich war, mit den Schwiegereltern unter einem Dach leben. „So ein Generationenkonflikt kann sehr schwierig werden. Heute wird eben nicht mehr einfach über die Miste hinweg geheiratet, heute haben auch die Frauen schon eine straffe Lebensgeschichte“, sagt sie.

Referinghausen, das ist nun wirklich nicht Köln, das ist Dorf. In der Kirche, da sitzen sie noch getrennt in den Bänken, Männer und Frauen. Und sie reden viel, sie wissen auch viel, sogar manches, was „man selbst nicht weiß“, erklärt die Tierärztin amüsiert, „etwa als ich an meinem ersten Arbeitstag eine Latzhose anzog, da hieß es natürlich, ich sei schwanger!“ Auch mit jedem per Du zu sein, das lag ihr nicht. Einen 87-jährigen Nachbarn gleich zu duzen, ihn gar, obschon nicht verwandt, mit „Onkel Willi“ anzusprechen, nein, das ging gar nicht. „Aber es kümmert sich wirklich jeder um jeden. Auch im positiven Sinn. Als wir heirateten, buk das ganze Dorf Kuchen. Sogar die, die gar nicht eingeladen waren“, erzählt Kirsten Backhausen-Hesse, „Das ist schön gewesen. Und dann diese Weite, die Freiheit, die Ruhe!“

Ein Landsitz fürs Wochenende

Verzweifelt gesucht: ein Stück heile Welt. Als Reaktion auf die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Ein Rückzugsraum vor dem alltäglichen Trubel. Wer es sich leisten kann, legt sich ein zweites Heim zu, den Landsitz für das Wochenende, per Allrad erreichbar. Die Tourismusbranche hat dieses Bedürfnis lange schon erspürt, bietet Almhütten und Chalets an, komplette Hoteldörfer in den Bergen, deren ursprüngliche Bewohner mangels Arbeit abgewandert sind. So wie in der Toskana, wo der Touristikkonzern TUI kürzlich das bei Montaione gelegene Dorf Castelfalfi kaufte, um es in ein Luxusresort zu verwandeln. 36 Gehöfte und eine Burg. Es lebe die Illusion vom Leben auf dem Lande.

Die Grassilage ist geerntet. Zeit für eine Pause zwischendurch. Foto: Jakob Studnar
Die Grassilage ist geerntet. Zeit für eine Pause zwischendurch. Foto: Jakob Studnar

Mühsame, aber natürlich genau so gewollte Realität ist der Alltag von Kirsten Backhausen-Hesse auf ihrem Hof im Hochsauerland. Ihr Arbeitstag beginnt um 4.30 Uhr in der Früh und endet, mit etwas Glück, um 20 Uhr, wenn jedoch dann noch eine Kuh kalbt, auch später. Morgens also steigt die Neubäuerin ohne Kaffee, ohne Frühstück in Latzhose und Gummistiefel, um mit Ehemann Bernd im Stall die 120 Kühe zu melken. Zweieinhalb Stunden dauert das. Allein morgens. Spätnachmittags, ab 16.30 Uhr, will die ganze Prozedur wiederholt werden. „Wenn wir einen Melkroboter hätten, wäre das alles viel einfacher. Aber der kostet 500 000 Euro.“ Irgendwann, vielleicht einmal . . .

Der Tag dazwischen, er bedeutet Arbeit, die kein Ende kennt. Schweine wollen gefüttert werden, die Pferde, Ziegen, Hühner sowie der Kleintierzoo, den die Tierärztin im Laufe der Zeit aus der Praxis mit nach Hause brachte. Ställe ausmisten, Ernte einholen. Zwischendurch weckt Kirsten Backhausen-Hesse ihre beiden neun Monate und drei Jahre alten Kleinkinder, nimmt sich Zeit zum Spielen mit ihnen, und kümmert sich um Frühstück und Mittagessen. Bald wird sie auch wieder halbtags im nahen Medebach als Tierärztin arbeiten.

Die Städterin kann „anpacken“

Ihr Schwiegervater schätzt an der einstigen Städterin, dass sie „anpackt“, aber er findet auch, dass sie sich oft zu viel zumutet. „A farmer’s work is never done!“, steht auf dem T-Shirt, das ihr ältester Sohn trägt. So ist es eben, die Arbeit auf dem Hof geht nie zu Ende. „Im Sommer ist viel zu tun, und „die Winter sind sehr anstrengend“, sagt sie, „gerade wenn man morgens erst einmal durch meterhohen Schnee muss, um in die Ställe zu kommen, wenn die Tränken und der Melkautomat zugefroren sind.“ So hart hatte sie sich das nicht vorgestellt. Wie auch? Sie führte ja eine Fernbeziehung.

4.30 Uhr in der Früh melkt Kirsten Backhausen-Hesse  das erste Mal die Kühe. Foto: Jakob Studnar
4.30 Uhr in der Früh melkt Kirsten Backhausen-Hesse das erste Mal die Kühe. Foto: Jakob Studnar

„Die Hochglanz-Zeitschriften zeigen natürlich immer nur die schönen Seiten des Landlebens. Die viele Arbeit, die will keiner sehen“, sagt auch Agnes Echterhoff vom Westfälisch-Lippischen Landfrauenverband in Münster. Doch wer könnte die Sehnsucht nach dem Landleben besser verstehen als Kirsten Backhausen-Hesse, die immer schon aufs Land wollte.

Auch im kleinen Referinghausen haben Leute Ferienwohnungen gekauft, um am Wochenende, im Urlaub Ruhe, Abstand vom Großstadt-Stress zu finden. „Das kann funktionieren, gut sogar, wenn nicht die Arbeit dazu kommt. Doch auch viele Landwirte haben heute Burnout-Probleme“, sagt die Tierärztin.

Nicht romantisch, aber sehr handfest

Das andere Leben auf dem Land. Kirsten Backhausen-Hesse hat es gefunden. Alles andere als chic und romantisch dekoriert, dafür aber sehr handfest. Eines ohne Partys, – „die habe ich wild und gut gefeiert“ – , sogar ohne ihr liebstes Hobby, das Reiten, – „die Kinder lassen dazu im Moment keine Zeit“. „Ich vermisse nichts!“, sagt sie. Nicht einmal, dass sie und ihr Mann seit fünf Jahren keinen Urlaub mehr gemacht haben: „Wer sollte sich um die Kühe kümmern?“ Vor einer Woche jedoch, als der Herbst noch einmal so richtig sonnig war, da gönnte auch sie sich eine Auszeit. Fünf Tage mit den Kindern auf Texel. Das war ihre kleine Flucht.