Essen. . Entgegen aller Behauptungen ist die kleine, silberne Compact Disc auch heute noch das Musikmedium Nummer eins. Dabei drohte sie in den ersten Jahren zu einem gewaltigen Flop zu werden. Ein Rück- und Ausblick in die Ära des digitalen Musikgenusses.
Am 13. September 1981 standen die Electronicas mit ihrem „Ententanz“ unangefochten auf der Nummer 1 der Single-Charts – dabei hatten sie nicht eine einzige CD verkauft.
Kein Wunder, denn während ganz Deutschland noch mit flatternden Armen zu holländischen Akkordeonklängen in die Knie ging und den Bürzel bürzelte, wurde auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin gerade die Zukunft des Tonträgers vorgestellt. Sie leuchtete silbern. So richtig an den Erfolg dieses Massenmediums namens Compact Disc mochte damals selbst die dauergewellte Messehostess nicht glauben, die den Prototypen des Silberlings werbewirksam vor die Pressekameras reckte. Tatsächlich drohte die digitale Revolution des Hörens, ein kapitaler Rohrkrepierer zu werden.
War Karajan der erste? Oder ABBA?
Was sollte man auch mit so einer kleinen, glitzernden Laser-Schallplatte anfangen, wenn man doch über Jahrzehnte alles Wichtige in schwarzen Rillen versammelt hatte?
Doch die beiden noch vom verlorenen Streit ums richtige Videoformat (VHS, Beta oder Video 2000) angeschlagenen Elektronikriesen Philips und Sony brauchten dringend einen Erfolg. Dazu schickten die Chefs Joop van Tilburg und Akio Morita einen Titanen in die Schlacht: Herbert von Karajan, der fortan zum Fürsprecher des knisterfreien Klangs wurde. Mit Klassik wollten die Väter der CD anspruchsvolle Hörer für sich gewinnen – heute wäre das schon von der potenziellen Käufermasse her zum Scheitern verurteilt.
Mittlerweile vermag niemand mehr zu bezeugen, wie das war am 17. August 1982, als die erste CD im neu errichteten CD-Werk von Philips in Hannover-Langenhagen übers Band ging: War es wirklich Richard Strauss’ „Alpensinfonie“, dirigiert von Karajan? Oder war es doch eher „The Visitors“ von ABBA?
Klangästheten krittelten
Das spielte eh keine Rolle, es hatte ja noch niemand einen CD-Spieler. Der kam erst zwei Monate später, und zwar nicht von Philips, sondern von Sony. Der CDP-101 war mit klobigen 14 Zentimetern Höhe und sieben Kilogramm Gewicht ein wahrer Trumm von einem Audiogerät. Und längst kein Erfolg, schon wegen des gepfefferten Preises. Lange passierte wenig auf dem CD-Markt. Auch, weil die Plattenfirmen selbst noch nicht an die Stärken ihres Mediums glaubten. Sie übertrugen brav ihr Repertoire analog produzierter Aufnahmen ins digitale Medium, während Klangästheten am angeblich klinischen und tiefenarmen Sound herumkrittelten. So konnte das nichts werden.
Auf den Durchbruch wartete man nun mehr als drei Jahre vergebens. Bis die Dire Straits kamen. Ihr Album „Brothers In Arms“ war die erste digital produzierte Erfolgs-CD und hatte einen weiteren gewaltigen Vorteil gegenüber der Langspielplatte: Es war zehn Minuten länger (nur Dire-Straits-Hasser werden das als Nachteil empfinden). Die Waffenbrüder gingen allein 1985 mehr als eine Million Mal über die Ladentheke.
Ein besseres Medium kostet mehr
Spulen wir nun schnell vor durchs goldene Zeitalter der Silberscheibe: Die CD löste den gewaltigsten Boom aus, den die Musikindustrie je erlebt hat, Sammler schafften sich ihre wichtigsten Stücke zum zweiten Mal an – oder kauften gleich Vinyl und Silberling gemeinsam. Verkaufszahlen überschlugen sich, in der Musikindustrie herrschte Goldgräberstimmung, mitgetragen von einer beinahe unverschämten Hochpreispolitik. Denn warum sollte man für ein besseres Medium nicht auch mehr Geld verlangen?
Dass in dieser rasanten Erfolgsgeschichte schon der Beginn des Niedergangs dieses Mediums steckte, ahnte bis in die zweite Hälfte der 90er-Jahre ja noch kaum jemand. Denn mit dem digitalen Tonträger wurde es erstmals möglich, Musik ganz ohne Klangverlust zu reproduzieren – der CD-Brenner spielte in den späten 90ern den Klagegesang der Musikindustrie.
Wobei man zwei Dinge zur Scheinheiligkeit der Diskussion anmerken muss. Erstens: Einige der Konzerne, allen voran Sony, die am heftigsten gegen die dreisten kleinen CD-Kopierer wetterten, partizipierten auf der anderen Seite zigmilliardenfach vom Verkauf von Brennern, CD-Recordern und nicht zu vergessen Rohlingen. Zweitens: Hätten sich diese Konzerne rechtzeitig um neue Vertriebsformen und Hörgewohnheiten ihrer Kunden gekümmert, hätte ein Exot wie Apple niemals einen Erfolg wie seinen iPod hingelegt, wäre niemals eine Plattform wie iTunes zum wichtigsten Vertrieb für digitale Musik geworden.
Gerüchte über das Ableben der CD sind verfrüht
Doch hier sind wir vielleicht schon einen Schritt zu weit. Denn: Die jüngsten Zahlen des Bundesverbands Musikindustrie belegen, dass die CD weiterhin die Nummer eins der Tonträger ist. Und sie wird es voraussichtlich noch für ein paar Jahre bleiben: 99 Millionen verkaufte CD-Alben zählten die Buchhalter der Branche im Jahr 2010 in Deutschland (und 4,7 Mio. Singles). Dem gegenüber stehen nicht mal 11 Millionen legaler Download-Alben (und zugegebenermaßen 63,3 Mio. einzeln heruntergeladener Tracks). Was der Handel an digitalen Downloads verkaufte, machte 2010 gerade mal 12,4 Prozent des Umsatzes der Musikindustrie aus.
Alle Gerüchte über das Ableben der CD sind also reichlich verfrüht in die Welt gesetzt worden. Was natürlich auch daran liegt, dass die Zahl der legalen Download-Plattformen in Deutschland immer noch lächerlich gering sind: Gerade 46 Stück gab es im vergangenen Jahr. Man stelle sich mal vor, es gäbe in ganz Deutschland nur 46 Plattenläden! Die Musikindustrie würde Konkurs anmelden, noch bevor die neue Single von Coldplay einmal vollständig durchgelaufen wäre.
Ein überholtes Medium?
Man darf heute behaupten, die CD sei ein überholtes Medium. Schließlich sind die gültigen Standards, die 1980 im so genannten „Red Book“ festgelegt wurden, an technischen Gegebenheiten von damals orientiert – an einer Zeit also, in der ein Commodore C64 als Sensation gegolten hätte. Im Vergleich dazu sind die MP3-Standards zumindest zehn Jahre jünger und moderner. Längst gibt es hochauflösende Digitalformate, die man vom Computer bequem übers Netzwerk auf die Anlage bringen kann und die Studioqualität besitzen. Doch es ist wie immer: Ein Standard muss sich erst einmal etablieren. Und bis dahin wird es die CD geben, stets ein bisschen weiter auf dem absteigenden Ast, aber in den nächsten 30 Jahren gewiss nicht ernsthaft vom Tode bedroht.
Zum Schluss eine Meldung über MP3-Downloads, die den Weg in die Zukunft weist: Im März 2011 stand Lady Gaga mit „Born This Way“ unangefochten auf der Nummer 1 der deutschen Single-Charts – dabei hatte sie nicht eine einzige CD verkauft.