Reykjavik. . Autor Andri Snær Magnason prangert in seinem Sachbuch die gierige Ausbeutung der Natur an. Sein Erfolg in der Heimat war gigantisch, auf die Bevölkerung gerechnet etwa so, als hätte er fünf Millionen Bücher verkauft.
Zum Interview hat Andri Snær Magnason einen Stapel Gedrucktes mitgebracht, einen bunten Bauchladen: Science Fiction, Kinderbücher, Gedichtbände. Letztere verkaufte er 2005 mit großem Erfolg in der Supermarkt-Kette „Bonus“, dem isländischen Aldi. Das rosa Bonus-Schweinchen zierte das Cover – und das Werk, das die Konsumgesellschaft sezierte, ging weg wie das geschnitten Brot gleich daneben. Kurz danach regte der 37-Jährige an, in Reykjavik für eine Stunde alle Lichter auszuschalten, während ein Astronom im Radio den Sternenhimmel erklärte.
Aufklärung im Dunkeln.
Was braucht man schon zum Leben? Licht – und Luft. Andri Snær (in Island spricht man sich mit dem Vornamen an), ein verschmitztes großes Kind im dunklen Anzug, rührt im Milchschaum seines Kaffeegetränks: „Ich habe Science Fiction und Märchen geschrieben, bis die Realität selbst surreal wurde.“ Wie seine Heimat die Naturressourcen ausbeutet, wie gigantische Stauseen entstehen, für Wasserkraftwerke, die einer schnell wachsenden Aluminiumindustrie Energie liefern sollen, das breitet er in „Traumland“ aus: Ein Kinderbuch-Autor lässt die Journalisten seines Landes alt aussehen.
Gast auf der Buchmesse
Das Buch erschien 2006, zwei Jahre vor dem isländischen Staatsbankrott also; es wurde ein Bestseller, Auflage: 20 000. (Bei nur 300 000 Isländern; auf Deutschland hochgerechnet wären das 5,3 Mio Exemplare!) Dass „Traumland“ jetzt übersetzt wurde, hat zu tun mit dem Gastland-Auftritt Islands bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober.
Beruhigend, erschreckend: Was Andri Snær fünf Jahre zuvor feststellte, gilt noch. Zwar hat Island eine neue Regierung, ist krisenbedingt geläutert. Doch passiert es weiter, dass in den Nachrichten PR-Texte verlesen werden – „ Worte, die die Industrie gewählt hat“. Die Worte, die Sprache!
Gezwungen, wie ein Taliban zu denken
Stellen wir uns vor, es gäbe nur ein Wort für „katzenartiges Tier“, es würde für Hauskatzen wie Löwen benutzt. Wie sollte man da ein Gefühl für Gefährlichkeit vermitteln? Dies Gleichnis zieht Andri Snær heran, um zu erläutern, warum eine Aluminiumhütte, die 10 000 Tonnen im Jahr produziert, nicht mit einer, die 500 000 Tonnen abwirft, verglichen werden kann. „Wenn die Nuancen unserer Sprache eingeebnet werden, wird es schwierig, präzise zu urteilen … Man wird gezwungen, wie die Taliban zu denken, in einer absoluten, dogmatischen Ideologie: Entweder ist man für Elektrizität oder dagegen.“ Auch geißelt er die Irreführung, die Wörtern wie „Wasteland“ (Ödland) zugrunde liegt. „Ich war dort, im Osten. Und ich habe wunderschöne Natur gesehen, die nun zerstört ist.“
Baupläne auf Eis
Doch geht „Traumland“ über die Betrachtung des Einzelfalls hinaus, behandelt globale Kernfragen: Wie wollen wir leben? Brauchen wir ständiges Wachstum? Andri Snær meint, vorhersehbar: Nein. Nur 800 Jobs seien in Island in der Aluminiumindustrie angesiedelt. Ungleich mehr Menschen aber finden beim Bau der Anlagen Arbeit: „Das ökonomische Ziel ist nicht mehr, eine Anlage gebaut zu haben – sondern es besteht darin, Anlagen zu bauen, immer wieder.“ Hat die Krise daran nichts geändert? Ein wenig, so Andri Snær, legte sie doch einige Baupläne auf Eis.
Dies, das Eis, ist übrigens das nächste Projekt des kreativen Öko-Aktivisten. Sein Großvater filmte vor 60 Jahren eine Expedition auf Islands größtem Gletscher, den Vatnajökull, unter dem auch der Vulkan Grimsvötn liegt: „Es war seine Hochzeitsreise, sehr romantisch.“ Dieses Filmmaterial will Andri Snær nutzen: um das große Gletscherschmelzen zu dokumentieren.
- Andri Snær Magnason: Traumland – Was bleibt, wenn alles verkauft ist? Verlag Orange Press, 288 Seiten, 20 Euro