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Der große Barde Bob Dylan feiert seinen 70. Geburtstag am 24. Mai. Immer noch ist er kraftvoll modern, weil er auf Moden pfeift. Ein Rückblick auf ein abenteuerliches Leben als ewiger Tramp.

Auf alten Seekarten gibt es eine Linie, hinter der die Welt endet. Wo das Meer ins Nichts stürzt, wo die Gewissheiten enden und die Dunkelheit beginnt. „Beyond Here Lies Nothin’“, singt Dylan. Wer dennoch mutig weitersegelt, tut es auf eigene Gefahr. Es gibt kein Zurück. Es ist der Ort des absoluten Vertrauens, der Freundschaft, des Glaubens. Der Liebe? Und so wird das Drohende zu einer Metapher des Aufbruchs und des Wagemuts – ein schönes Bild für ein Liebeslied, und ein gutes Beispiel für Dylans poetische Meisterschaft.

Das Stück von seinem Album „Together Through Life“ (2009) sagt eine Menge über die Gedankenwelt des Musikers aus, zeigt sein hintersinniges Verständnis von Hoffnung und Optimismus. Jenseits der Linie warten der Mond und die Sterne, singt er, und die „Berge der Vergangenheit“ sind nicht mehr bedrohlich, sondern nur noch imposante Kulisse einer abenteuerlichen Reise. Auf diese Linie bewegt er sich zu, dorthin ist er musizierend unterwegs, womöglich schon 70 Jahre lang, der ewige Tramp. Ein gesungenes Lebensresümee?

Verweigerung als Überlebensstrategie

Er wäre wohl umgekommen auf dieser Reise wie vor ihm so viele andere, hätte er sich nicht stetig verändert. Verwandlung und Verweigerung als Überlebensstrategie. Er war Folkmusiker, Protestsänger, Rocker, Prediger, Bluesmusiker und Poet. 1967 gab es eine besondere Jahreszeit, den „Summer of Love“ – trotz und wegen des Vietnamkrieges. Die Hippies trafen sich in San Francisco, Musik und Liebe herrschten einige Wochen lang, Kunst, Rock und Drogen wurden psychedelisch, zahllose großartige Bands gründeten sich, Hippie-Poeten besangen die Gegenwelt, und das berühmte Woodstock-Festival stand noch bevor. Doch Dylan, die Ikone der Protestbewegung der 60er-Jahre, war nicht dabei, interessierte sich kein bisschen für Love & Peace. Er interessierte sich für Country & Western.

Wieder einmal ändert er radikal die Richtung, verweigert sich einer kollektiven Lebensanschauung, konzentriert sich auf seine Kunst – und die Dylan-Gläubigen sind schon wieder sauer. So macht er es immer. In Interviews spricht er zuweilen überraschend flüssig und viel, doch meist gibt er keine Antworten. Olaf Benzinger beschreibt in seinem Buch „Bob Dylan – Seine Musik und sein Leben“, eine kuriose Szene: Als der Musiker 1966 gefragt wird, wie er zum Rock’n’ Roll kam, sagt er: „Aus Leichtsinn. Meine große Liebe ließ mich sitzen. Eine dicke mexikanische Lady nahm mich mit nach Philadelphia. Der erste Typ, der mich dort von der Straße auflas, fragte mich, ob ich ein Star werden wollte. Wie konnte ich da nein sagen?“ Das ist typisch Bob Dylan. Er sagt viel und nichts, führt den Fragenden an der Nase herum und gibt doch etwas preis. Ist das die Wahrheit, ein Gleichnis oder purer Blödsinn? Von allem etwas. Auf jeden Fall aber ist es eine gute Geschichte.

Die Wiederholung des Erfolgs erzeugt Kitsch

Dylan lässt sich nicht festlegen. Wenn es eine Konstante gibt in seinem Leben und seiner Musik, dann ist es der Wandel. Denn einmal eingespannt in die Verwertungsmaschinerie von Berühmtheit, Erwartungen, Plattenaufnahmen und Tourneen gab es für viele andere kein Entrinnen mehr. Dylan ist klug genug, immer wieder den Kurs zu wechseln, um die Grenzlinien auf seiner persönlichen Seekarte zu suchen. Denn die Wiederholung des Erfolgs erzeugt zuerst Kitsch und dann Langeweile, die Kunst geht daran zu Grunde. Er weiß, dass Ruhm das letzte Mittel ist, mit dem Abtrünnige und ihre Kunst unschädlich gemacht werden.

Ein richtiger Künstler müsse mindestens Maler sein

Dylan war und ist der Unzeitgemäße. Beobachter, Musiker und Narr der modernen Zeiten. Dieses Spiel gibt ihm die nötige künstlerische Freiheit. In dem wunderbaren, elf Minuten langen Song „Highlands“ (1997) erzählt er von einem Besuch in einem Restaurant. Die Kellnerin sagt: Ich kenne Sie doch, Sie sind ein Künstler. Und sie verlangt, er solle sie zeichnen, weil sie denkt, ein richtiger Künstler müsse mindestens Maler sein. Er sagt, er würde ja gerne, aber er habe seinen Malblock nicht dabei. Sie zieht einen Stift hinter ihrem Ohr hervor und sagt, er könne auf die Tischdecke zeichnen. Er zieht ein paar Linien und zeigt es ihr. Und sie sagt: Das sieht mir nicht die Bohne ähnlich.