London. . Die britischen Neo-Wave-Rocker machen drei schwere Themen tanzbar. Auf ihrem neuen Album „Ritual“ legen die White Lies ein poppiges Zeugnis ihrer Sinnsuche ab und haben ihren Sound ein wenig unter Strom gesetzt
Mit ihren romantischen Ideen von Liebe und einem gemeinsamen Tod, verpackt in charmanten Weltuntergangspop verzückten drei junge Männer aus London vor zwei Jahren nicht nur die Briten. Die White Lies hatten mit ihrem Debüt „To Lose My Life“ einen Zeitgeist getroffen, der zugleich ergraute Anhänger von Joy Division als auch gerade flügge gewordene Fans von „Twilight“ umgeworfen hat. Auf ihrem neuen Album „Ritual“ haben sie ihren Sound ein bisschen unter Strom gesetzt.
Fast ist es, als hätten die drei zwischen beiden Alben nicht 18 Monate im Tourbus verbracht. „Als wir die letzten Shows in Russland gespielt hatten, das war im Januar letzten Jahres, kamen wir zurück und wollten sofort mit dem Schreiben der neuen Songs anfangen“, sagt Bassist und Songschreiber Charles Cave. „Auf Tour finden wir einfach nicht die nötige Ruhe dafür. Wir hatten 15 Monate lang davon geträumt, was passieren würde, wenn wir wieder mit dem Schreiben beginnen. Als es dann soweit war, bedeutete das keine harte Arbeit für uns. Es war eher eine Belohnung für eine so lange Tour.“
Softer Industrial-Rock
Gemeinsam mit Sänger Harry McVeigh zog sich Cave für fünf Wochen ins Heimstudio zurück, wo die beiden nicht nur neue Songs schrieben, sondern gleich auch die Demos mit dem Rechner aufnahmen und gleich dem Produzenten schickten.
Manches davon war gleich so gut, dass es hängen geblieben ist. „Beim Song ,Streetlights’ haben wir den Gesang verwendet, den wir bei Harry zuhause aufgenommen hatten, weil das so cool klang. Wir haben später im ultrateuren Assault-And-Battery-Studio in Nord-London noch einmal versucht, das mit unserem Produzenten Alan Moulder neu aufzunehmen. Aber das hat einfach nicht geklappt.“
Sie saugen Einflüsse auf wie Schwämme
Moulder ist es auch zu verdanken, dass die White Lies sich ein wenig mehr in die Tiefen der Elektronik gegraben haben – und zwar allein durch seine Anwesenheit. „Moulder ist so etwas wie ein Weiser. Er versucht nie, einem etwas vorzuschreiben, führt aber trotzdem in die richtige Richtung.“ Natürlich wussten Cave und McVeigh, dass Moulders Herz den Nine Inch Nails gehört. „Wir haben es als persönliche Weiterbildung angesehen, uns ihre Alben intensiv anzuhören. Mir gefällt am besten ,The Fragile’.“
Dabei handelt es sich um eines der poppigeren Alben der Industrial-Rocker. Und so könnte man an manchen Stellen behaupten, „Ritual“ klinge wie Nine Inch Nails auf Softpop. Oder wie Depeche Mode gegen den Strich gebürstet.
Aber das ergäbe ein unvollständiges Bild. Die White Lies saugen Einflüsse auf wie Schwämme. Hier klingen die unvergesslichen Chameleons an (etwa in der Zeile „Is anybody out there?“ von „Streetlights“), dort haben sie einen Rhythmus von den Charlatans stibitzt („Is Love...“). „Nein, das klingt eher nach Led Zeppelin“, korrigiert Cave, um hinzuzufügen: „Das hat eine ganze Reihe von Britpop-Bands vor uns verwendet.“
Fünf Wochen für ein Album scheint knapp bemessen, zumal ja auch noch ein paar Lebenserfahrungen einfließen sollten. „Ich war zwischen den Alben gezwungen, ein paar harte Entscheidungen zu treffen, um herauszufinden, woran ich eigentlich glaube“, erzählt Cave und berichtet von einer Sinnsuche, die Liebe und Religion gleichermaßen einschloss. Deshalb heißt auch das Album „Ritual“. „Es geht mir um die Rituale, die Menschen praktizieren, um ihrem Leben Bedeutung zu verleihen.“ Er bereiste Tibet, arbeitete sich ins Judentum ein, durchlebte Beziehungen mit und ohne Liebe. All das floss in die Texte ein. „Die Menschen denken immer, wenn man seinem Leben einen Sinn verliehen hätte, würde es einfacher. Das stimmt aber gar nicht. Auch wenn man die Liebe gefunden hat, heißt das nicht, dass man lange glücklich ist. Mir ging es darum, einen Grund für die Liebe zu finden. Das ist teilweise genauso schwierig, wie eine Person zu finden, die man liebt.“
Reichlich desillusioniert für einen so jungen Mann. Aber mit dieser Nüchternheit, die im Kontrast zum pathosreichen Sound seiner Band steht, nimmt er auch sich selbst wahr. Endgültige Gewissheiten gibt es im Leben nicht für ihn. „Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich erst 22 Jahre alt bin. Dass ich jetzt am liebsten Musik mache, heißt nicht, dass das für den Rest meines Lebens so bleibt. Ich möchte aus dieser Zeit möglichst viel für mich als Person herausholen. Wer weiß schon, was in fünf Jahren ist?“
- White Lies „Ritual“ (Fiction/Universal). Live: 21.3. Köln, Live Music Hall