Paris. .

Dinaw Mengestu schreibt über das Unglück, Grenzen zu überschreiten.

Jonas Woldemariam wurde in den USA geboren, aber wo ist er zuhause? Seine Eltern Josef und Mariam kamen einst aus Äthiopien ins Land. Der lange Arm ihrer Vergangenheit lenkt Jonas’ Leben – sein erwachsenes Dasein ist bestimmt durch die Erinnerung an Josefs Gewalt, Mariams Verträumtheit. Während seine eigene Ehe mit der smarten schwarzen Anwältin Angela in die Brüche geht, begibt Jonas sich auf die Spuren seiner Eltern.

Zwischen New York und Illinois entwirft Dinaw Mengestus Roman „Die Melodie der Luft“ das Porträt einer Einwandererfamilie, die mit der Heimat auch das Glück zurückließ. Denn glücklich ist, wer nie eine Grenze überquert – glaubt Josef. Mariam hofft, „dass auch die Menschen, die sie einmal gewesen waren, in Amerika ihren Platz finden würden, nicht sofort, aber irgendwann . . .“

„Ich war Teil zweier Kulturen“

Dinaw Mengestu wurde 1978 in Äthiopien geboren, als Kind floh er mit seiner Familie in die USA. Heute lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern in Paris. Wo ist er zuhause? „Als Kind war ich Teil zweier Kulturen“, sagt Mengestu, „aus deren Teilen ich meine Identität zusammensuchte. Heute sind meine Freunde, meine Familie meine Heimat – anstelle eines bestimmten Ortes.“ Und doch wird er später im Gespräch sagen, er sehe sich selbst als Black American, er fühle sich der schwarzen Community verbunden, allein schon durch die erlebte Diskriminierung.

Mengestu schreibt über jene Gruppe afrikanischer Einwanderer, die seit den 80er-Jahren in die USA kommen – politische Flüchtlinge mit gutbürgerlichem Hintergrund. Unbelastet vom historischen Erbe der Sklaverei, ehrgeizig und motiviert, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu sichern. In die Zukunft gewandt.

Vielleicht ist genau dies das Problem. In Mengestus Roman ist Jonas ein notorischer Lügner. Er erfindet eigene Erfolge sowie die Geschichten fremder Flüchtlinge – damit diese ein US-Visum erhalten. Er erfindet für die Schulklasse, die er unterrichtet, die Flucht seines Vaters neu. Ein Versuch, der eigenen Geschichtslosigkeit zu begegnen? Eine Selbstvergewisserung? „Manchmal verdient die Geschichte, dass man sie umschreibt“, heißt es im Roman: „Wenn schon nicht für die Toten, dann für uns selbst.“

  • DInaw Mengestu: Die Melodie der Luft. Ullstein-Verlag, 320 Seiten, 19,95 Euro