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Viele sehen sie genauso oft wie die besten Freunde – bis die Stars selbst zu großen Vertrauten werden: Fernsehserien, nach denen wir süchtig sind. Sie wirken wie eine Stunde Urlaub vom Ich.
Sie kommen jede Woche, manche sogar jeden Tag. Müssen gute Freunde sein, die wir immer wieder sehen wollen. Oder sie bringen etwas mit, was wir genießen: Spannung und Entspannung, Drama und Witz, große Gefühle, Bilder, die Spaß machen. Und sie müssen nicht mal berauschend sein, um süchtig zu machen: Das ist das Gesetz der Fernsehserie.
Es ist so bequem fürs Hirn: Wer einmal in eine Serie eingestiegen ist, muss sich nicht ständig auf neue Gegebenheiten einlassen. Wir kennen den Ort des Geschehens, wir kennen das Personal, und wir können relativ sicher sein, dass – im Fall der Dramaserie – das eine oder andere Problem nach einer knappen Stunde gelöst sein wird. Es wird auch ungelöste geben, klar, deshalb müssen wir dringend nächste Woche nachsehen, wie’s weitergeht. Im Fall der Comedy-Serie kennen wir den Ort des Geschehens und das Personal . . . Sie erkennen das Schema? Und wir können uns relativ sicher sein, dass es was zu lachen gibt. Und bei Krimi-Serien wissen wir, dass das Grauen ein Ende nehmen wird.
Das Retter-Prinzip funktioniert bei Mann und Frau
Ein weiteres Prinzip, das sehr gut in Serien funktioniert, bei Frauen wie bei Männern, ist das Retter-Prinzip. Während Frauen sich aus schlecht nachvollziehbaren Gründen freiwillig mit Blut, Eiter und Gedärm beschäftigen, um in den gut nachvollziehbaren Genuss des Anblicks von Ärzten mit vollem Haar („Grey’s Anatomy“, „Emergency Room“, „Schwarzwaldklinik“) zu kommen, scheinen Männer besonderen Erholungswert darin zu finden, sich mit Rettern zu identifizieren – mit den FBI-Agenten, die sich unerklärliche Phänomene nach circa 42 Minuten netto erklären können („Fringe“), mit den Opfern eines Flugzeugabsturzes, die aus unerklärlichen Gründen überlebt haben, nur um die Gruppe vor weiteren unerklärlichen Gefahren schützen zu müssen („Lost“), bis zu den Truckern, die sich stets mit unlösbaren Problemen und irreparablen Motorschäden konfrontiert sehen, die sie lösen und reparieren („Auf Achse“).
Wir sind so simpel gestrickt.
Nach einem wenig komplizierten Muster sind denn auch die Daily Soaps gestrickt, aber das scheint uns gut zu passen: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ gibt es seit 18 Jahren, auch der Marienhof wird schon volljährig, und das ist alles nichts gegen die amerikanischen Soap-Operas, die im Radio starteten und im Fernsehen immer weiter laufen „Guiding Light“ gab’s im deutschen Fernsehen 13 Jahre als „Springfield Story“, in den USA waren’s 72 inklusive der ersten 15 Jahre im Radio. In der Regel geht’s in diesen Serien darum, wer mit wem wie oft verheiratet war, wer mit wem außereheliche Beziehungen pflegt und – falls noch ein bisschen Zeit bleibt – wer gegen wen wie intrigiert, um Geld und Macht anzuhäufen. Der übliche Tagesablauf eben.
Junk Food muss manchmal sein
Warum wir so was gucken? Wahrscheinlich, weil wir wissen möchten, was sich die Autoren noch Durchgedrehtes einfallen lassen. Weil hin und wieder Brad Pitts („Another World“) oder Meg Ryans („As the World Turns“) mitspielen, bevor sie bessere Rollen bekommen. Und weil Junk Food manchmal sein muss.
Sich wegdenken: Auch das geht gut mit TV-Serien. Die Mädels aus „Sex and the City“? Waren doch fast so neurotisch, liebenswert und nervtötend wie die eigenen Freundinnen, nur in der Regel schicker angezogen, besser manikürt und in New York statt Rüttenscheid – Prosecco für die Augen! Die durchgedrehten Juristen bei „Boston Legal“? Fast so schräg wie die eigenen Kollegen, manchmal ein bisschen lustiger, auch mal ein bisschen weiser, genau die richtige Feierabend-Begleitung. Oder die „Simpsons“: die buckelige Verwandtschaft, nur in Gelb und überzeichnet und deshalb witzig auf die richtig böse Art.
Die eigenen Probleme wirken so überschaubar
Ähnlich piefig wie die eigene Nachbarschaft, aber eben nicht die eigene Nachbarschaft, ist die „Lindenstraße“, dem TV-Himmel sei Dank: Wenn andere solche Probleme haben, scheinen die eigenen überschaubar. Zumindest für eine halbe Stunde am Sonntagabend. Und was die „CSI“-Leute in Miami, New York und Las Vegas untersuchen und aufklären müssen, ist so weit weg, dass man mal nicht über Freundinnen, Kollegen, Nachbarn und Verwandtschaft nachdenken muss: eine Stunde Urlaub vom Ich, auch nicht zu verachten.
Eine Stunde? Wer süchtig ist, guckt auf DVD, so lange, bis der Serienhunger gestillt ist. Wer geduldig eine Woche auf die nächste Folge wartet, gehört vermutlich auch zu denen, für die Vorfreude die schönste Freude ist. Und die mit einem Riegel von der Tafel Schokolade zufrieden sind.
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