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Erstmals veröffentlichte Briefe Sigmund Freuds an seine Kinder zeigen den Analytiker in seiner Vaterrolle. Er war gütig, menschlich, aber auf die Couch musste ein Sohn trotzdem einmal.

War Sigmund Freud, der Entdecker des Ödipus-Komplexes und symbolischen Vatermordes, ein liebevoller Vater? Freud-Skeptiker werden vermuten, der Wiener Nervenarzt habe seine Kinder durch seine psychoanalytische Brille wahrgenommen. Von seinem Sohn Martin stammt die Erinnerung, wie er einmal als Kind am Boden zerstört war, weil er auf der Eislaufbahn geohrfeigt worden war, ohne sich rächen zu können – und der ließ den Knaben wie einen Patienten auf der Couch Platz nehmen.

Sigmund Freuds Briefe
Sigmund Freuds Briefe © Verlag | Verlag





Für Martin war diese Erinnerung jedoch ein Beleg dafür, dass in der Not jedes von Freuds sechs Kindern Anspruch auf das „Gerettetwerden“ hatte. Die jetzt erstmals veröffentlichten Briefe Freuds an seine Töchter Mathilde und Sophie und an die Söhne Martin, Oliver und Ernst bieten eine Gelegenheit, Freud als Vater kennen zu lernen.

Ein einfühlsamer und humorvoller Vater

Nach der Lektüre muss man sagen: Freud war ein einfühlsamer und humorvoller Vater. Selbst die Ehepartner seiner Kinder gewannen bei ihm den Gefühlsstatus von eigenen Nachkommen. Nur der Frau seines Sohnes Martin attestierte er, „nicht nur bösartig meschugge“ zu sein, „sondern auch im ärztlichen Sinn verrückt“ – es war die einzige unglücklich verlaufende Ehe unter Freuds Kindern.

Die Rolle des allwissenden Analytikers nahm Freud ihnen gegenüber nur ausnahmsweise ein. Berief er sich doch einmal auf sein ärztliches Wissen, so geschah dies auf eine dezente, beinah zärtliche Weise. Wie gegenüber seiner Tochter Sophie, als diese 19-jährig ihre Eltern wissen ließ, sie habe sich auf ihrer Reise in Hamburg mit dem Fotografen Max Halberstadt verlobt. So viel weibliche Autonomie war damals, 1912, in einer jüdisch-bürgerlichen Familie alles andere als selbstverständlich. Zwar reagierten die Eltern in Wien souverän, doch Sophie zeigte sich unbefriedigt, wofür der Analytiker die Erklärung wusste: „Meine liebe Sophie, ein anderer Vater würde schreiben, er begreife nicht, wieso ein Telegramm: ‚Mama Papa Max gratulieren dir’ in anderem Sinne aufgefasst werden kann als: gratulieren Dir zur Verlobung, begrüßen Dich als Braut, und er könne nicht verstehen, daß ein solcher Gruß Unbefriedigung hervorrufen kann. Ich aber kann mir erklären, daß Dich das böse Gewißen ein wenig geplagt hat weil Du Dich bei der Verlobung selbst so ganz über uns hinweggesetzt hattest u. das macht Dir wenigstens Ehre.“

Mit väterlicher Autorität

Mit Recht konstatiert der Herausgeber Michael Schröter, dass Freud die Balance zwischen seinem väterlichen Verantwortungsgefühl und der Rücksicht auf das Eigenrecht seiner Töchter mit bemerkenswertem Takt bewahrt habe. Wie schwer es Väter heutzutage oft haben, in ihre Rolle zu finden, kann man etwa in der Autobiografie des US-Präsidenten Barack Obama nachlesen. In Freuds Briefen begegnet man einem Vater, der eine von Güte und Menschlichkeit bestimmte väterliche Autorität ausstrahlt, deren Selbstverständlichkeit heutige Leser staunen lässt. Das macht seine Briefe, jenseits des sprachlichen Genusses, zu einer überaus anrührenden Lektüre.

  • Sigmund Freud: Unterdeß halten wir zusammen. Briefe an die Kinder. Herausgegeben on Michael Schröter. Aufbau Verlag, 684 Seiten, 32 Euro