Dortmund. .
Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, fordert in seiner Milieaustudie eine differenzierte Betrachtung der muslimischen Gemeinschaft.
Noch ein Buch über Integration. Diesmal eines, das keine Chance hat auf so viel Wirbel wie der Bestseller von Sarrazin. Autor Ahmet Toprak ist Deutsch-Türke, Professor für Erziehungswissenschaften an der FH Dortmund und hat mehrere Jahre als Sozialarbeiter gewirkt. Weil er findet, dass über Migranten, aber viel zu wenig mit ihnen gesprochen wird, hat er selbst etwas verfasst: „Integrationsunwillige Muslime? Ein Milieubericht“.
Die Erkenntnisse der Studie basieren auf 124 Interviews mit Männern und Frauen aus der ersten, zweiten und dritten Einwanderergeneration. Ihre ethnischen Wurzeln: türkisch, irakisch, kurdisch, syrisch, libanesisch. Sie sind Muslime schiitischen, sunnitischen und alevitischen Glaubens. Und so, wie Toprak seine Untersuchungsgruppe definiert, ist das gesamte Buch aufgebaut: Es geht um Differenzierung.
Kopftuch aus Tradition oder politisches Zeichen
Beispiel Kopftuch. „Die automatische Einschätzung, eine Kopftuchträgerin sei desintegriert, ist theoretisch und praktisch eindimensional und überholt“, schreibt Toprak. Zum Beweis führt er Zitate von Kopftuchträgerinnen an. „Ich bin nicht viel religiös“, sagt Gülay, 59, Reinigungskraft aus München, „aber Kopftuch ist gut, (...) die Männer sprechen nicht mit mir.“ Naima, 66, Rentnerin aus Berlin: „Ich tragen immer Kopftuch. Wenn ich kein Kopftuch tragen, dann fehlen was. Ich denken, ich nackt.“ Die Selbstverordnung der Kopftuchträgerin müsse genauer betrachtet werden. Es könnte sein, dass sie es „aus Gewohnheit, Tradition oder als Schutz vor Umwelteinflüssen“ trägt, aber auch als politisches Zeichen, wie ein Exkurs zur Kopftuch-Debatte zeigt, wie sie in der Türkei geführt wird.
Mord aus persönlichen Motiven, nicht aus Ehre
Über eine Entwirrung des Begriffs „Ehre“ im muslimischen Kulturkreis (eine komplizierte Verflechtung von Ehre, Ansehen und Respekt) kommt die Studie auf den „Ehrenmord“ zu sprechen. An einem Fallbeispiel werden eindringlich die Motive geschildert. Es ist eine der starken Stellen des Buches, in denen Toprak herausarbeitet, „dass die Täter zwar Ehre als Motiv angeben, bei einer genaueren Analyse aber persönliche Motive (...) eine wichtigere Rolle spielen. Ehre dient häufig als Legitimationsgrundlage für das eigene Fehlverhalten.“
Familien sind immer so patriarchalisch, wie männliche Mitglieder glauben
Bei allen Themen untermauert der Autor die Vielfalt der muslimischen Gemeinschaft wissenschaftlich. Indem er zwischen Zwangsheirat und arrangierter Ehe unterscheidet, indem er herausstellt, dass es auch zwischen den Glaubensrichtungen im Islam Meinungsverschiedenheiten gibt, indem er entlarvt, dass muslimische Familien nicht immer so patriarchalisch organisiert sind, wie es ihre männlichen Mitglieder oft nach außen hin erscheinen lassen. Zu guter Letzt die unvermeintliche Ermahnung, „dass Islamismus und Islam zwei unterschiedliche, sogar gegensätzliche Begriffe sind.“
Alles nichts Neues für jene, die sich auch vor dem Medienzirkus um Sarrazin ernsthaft mit dem Thema Migration/Integration befasst haben. Für alle anderen mit Informationsdefizit ist das Buch eine nützliche Lektüre – nur wird es genau diese Gruppe vermutlich kaum erreichen.
- Ahmet Toprak: Integrationsunwillige Muslime? Lambertus. 180 Seiten, 20,90 Euro