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Kaum erschienen, ruft es bereits nach einer Fortsetzung: Hilary Mantels Buch über Heinrich VIII. ist so aufwühlend, das es sich deutlich von anderen historischen Romanen zu diesem Thema unterscheidet.

Noch unter uns Weilende mal ausgenommen, ist Heinrich VIII. wohl der bekannteste englische König. Der mit den vielen Frauen, genau. Kaum eine andere Epoche ist so intensiv porträtiert, beschrieben, dramatisiert worden wie der Aufstieg des Tudor-Monarchen im 16. Jahrhundert. Einem weiteren Versuch nähert man sich also mit gewisser Vorsicht, doch Hilary Mantel geht sicherheitshalber anders an die Geschichte ran: Ihr Roman „Wölfe“ erzählt das pralle Drama aus der Sicht eines Höflings. In der britischen Heimat gab es dafür den Booker Prize, jetzt liegt das Werk in einer (vorzüglichen) Übersetzung vor.

Immer wieder lesen

Die britischen Kritiker lobten damals einen „zeitgenössischen Roman in historischem Gewand“ und waren ganz vernarrt in die „kunstvolle Beschreibung der Choreographie der Macht“. Manche Passagen müsse man einfach immer wieder lesen, hieß es in der BBC, und das trifft auf den deutschen Leser auf jeden Fall zu. Wer nämlich nicht so vertraut ist mit den Ränken der Tudors, wer beispielsweise damals im Proseminar „Thomas More – Verteidiger des Glaubens oder Folterknecht der Kirche“ nicht aufgepasst hat, muss sich nämlich erst mal zurechtfinden in diesem fein gesponnenen Geflecht.

Die Hauptpersonen heißen meistens Thomas, aber im Mittelpunkt steht Thomas Cromwell. Nein, nicht Oliver Cromwell, der führte das Parlamentsheer hundert Jahre später gegen König Karl I. Ist aber immerhin verwandt. Hans Holbein fertigte das wohl bekannteste Porträt von Heinrich VIII. an, und auch diesen Thomas Cromwell hat er für die Ewigkeit festgehalten: als kleinen Schurken mit listigen Augen, augenscheinlich bereit, für den Auftraggeber (und die eigene Karriere) die Großmutter einen Kopf kürzer zu machen. So einfach macht sich Hilary Mantel das aber nicht. Ihr Cromwell ist ein professioneller Dramaturg der Macht, nicht so leicht mit Kategorien wie Gut oder Böse einzufangen. Diese Sorte nennt man übrigens heute „Spin Doctor“.

Die Autorin Hilary Mantel. Foto: afp
Die Autorin Hilary Mantel. Foto: afp © AFP | AFP





Hilary Mantel hat mehr als 20 Jahre an diesem Buch gearbeitet, Dutzende Versionen verworfen und am Ende noch einmal um ein Drittel gekürzt. Oft kommt in solchen Fällen dann am Ende das ultimative Standardwerk zum Thema „Heinrich und Thomas“ heraus, das den Leser überfordert und zu Recht in der Universitätsbibliothek verstaubt.

Die „Wölfe“ sind anders, besser, aufregend, aufwühlend, und sie rufen nach einer Fortsetzung. Bei der Preisverleihung in London verriet Hilary Mantel, dass sie den Scheck über 50 000 Pfund (rund 60 000 Euro) für „Sex, Drogen und Rock’n’Roll“ ausgeben will, was natürlich ein Scherz war. Sie sitzt längst am nächsten Tudor-Drama, das unter dem Arbeitstitel „The Mirror and the Light“ (Der Spiegel und das Licht) läuft und vielleicht ein ähnlicher Bestseller wird.

  • Hilary Mantel: Wölfe, Dumont Verlag. 768 Seiten, 22,95 Euro