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Nach dem Eröffnungsfest und der „Odyssee”-Theaterreise folgt im Juni mit „!SING - Day Of Song“ ein weiteres Großereignis der Kulturhauptstadt. Gefühlte 5,3 Millionen Kehlen sollen erklingen.

Das Stillleben Ruhrschnellweg ist eine Berühmtheit. Als „längste Kaffeetafel der Welt“ und guinnessbuch-süchtiges Totalevent skeptisch observiert, gilt es als Mutter aller Großereignisse 2010; dabei handelt es sich vor allem um die Mutter aller Missverständnisse. Dass die Kaffee- und Sonstigestrinker sich dazu verpflichtet haben, „irgendwas Kulturelles” auf der Autobahn darzubieten, ist manchem Beobachter offenbar entgangen.

Das berühmte Stillleben also ist durchaus ein Mobilisierungsprojekt der Kulturhauptstadt, aber es ist nicht das einzige und nicht mal das entscheidende. Sechs Wochen vorher ruft ein Aktionstag mit schrägem Titel und starkem Potenzial zu qualifizierter Teilhabe: !SING. Mit dem Ausrufezeichen vorn; wegen der Emotion.

„Sing bedeutet: Jeder kann!“ Steven Sloane, Bochums Generalmusikdirektor, sagt es mit einer Inbrunst, die Pubertätsbrummer ebenso mitreißen muss wie angeraute Alterssoprane. Jeder kann singen – für Ruhr 2010 suchte Sloane ein Projekt, bei dem jeder mitmachen kann, bei dem jeder sich zugehörig fühlt. Er kam schnell auf den Gesang, denn die Stimme, sagt er, ist die einfachste Form des Ausdrucks, der Kommunikation. Ein weiterer Grund, sich dem Gesang zuzuwenden, sei ein Ur-Ruhrgebiets-Grund: seine demokratische Dimension. „Die Folkwang-Idee ,Kultur für jeden’ sehe ich am besten dargestellt in der Chorlandschaft der Region. Es gibt hier über 300 000 Laienchorsänger!” Vor allem aus der Tradition der Bergmannschöre erklärt Sloane die ungewöhnlich hohe Zahl an Chören.

Gefühlte 5,3 Millionen Menschen sollen spontan zusammen singen

!SING ist ein Projekt mit Workshops und Konzerten, im „Day of Song” soll es seinen Höhepunkt finden. Dann sollen gefühlte 5,3 Millionen Menschen in den Straßen spontan zusammen singen – bodenständig traditionsverbunden: „Denn sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht”; kulturhauptstadtmäßig heimatliebend: „Urverlässlich, sonnig, stur, Seelenruhr”.

Sloane ist der erste, der sich mit dem Projekt identifiziert, er hofft, dass es viele werden. Auch, weil der Tag der Kulturhauptstadt etwas Einmaliges geben könne, etwas Unwiederbringliches. Diesen Aufwand, über 700 Chöre aus dem Revier und 27 aus Partnerstädten zu koordinieren, werde so schnell nicht wieder jemand treiben: „Das gab’s noch nie, das gibt’s nie wieder!”

Gesang ist flüchtig. Damit mehr bleibt als die Erinnerung, will Sloane mit dem Projekt der deutschen Volksmusik neue Impulse geben. Von den Nazis missbraucht, gelte sie bis heute als nicht gesellschaftsfähig. Der Bochumer aus Los Angeles sucht den Neubeginn: „Auch Folkmusic hat einen künstlerischen Hintergrund.” Sloane möchte die berechtigte Beklemmung überwinden und nachhaltig eine Plattform schaffen, auf der deutsche Volksmusik neu diskutiert und erlebt werden kann.

Das volle Programm am 5. Juni - Von Sonnenaufgang bis in die Nacht

Der Day of Song, so will es sein Erfinder, soll ein Feiertag für die Region werden.

Schon am Freitag, 4. Juni, treffen Chöre aus dem Ruhrgebiet Sänger aus ihren Partnerstädten in 14 Ländern. Ihre „Begegnungskonzerte” in elf Städten sind öffentlich.

Am Freitagabend ab 18 Uhr veranstalten Ensembles der fünf Ruhrgebiets-Hochschulen Wandelkonzerte in Werden, zwischen Basilika, Haus Fuhr und der evangelischen Kirche Heckstraße.

Der 5. Juni beginnt mit einem Konzert zum Sonnenaufgang – um 5.08 Uhr kommt das ChorwerkRuhr singend mit einem Schiff im Nordsternpark Gelsenkirchen an.

Es ist das erste Konzert von hunderten an diesem Tag. Um 10 Uhr beginnt ein öffentliches Singen an besonderen Orten; in Krankenhäusern, im Knast. Ebenfalls ab 10 Uhr gibt es auf dem KulturKanal drei singende Schiffsparaden mit 13 Schiffen, von Henrichenburg und Duisburg nach Gelsenkirchen (Abfahrtszeiten ab Mai unter www.ruhr2010.de).

Um 12.10 Uhr, nach dem Mittagläuten, stimmen Chöre in allen Städten parallel erst das Steigerlied, dann Grönemeyers Ruhr-Hymne an. Da- nach geht das Offene Singen weiter: Kultlieder, Schlager, Evergreens. Damit jeder mitsingen kann, verteilen die Sänger Texte; Opern- und Theaterchöre beteiligen sich ebenso an der Aktion wie Laienchöre. Gleichzeitig beginnt um 13 Uhr ein sakrales Singen in religiösen Räumen.

Insgesamt wird es an diesem Tag über 400 Gelegenheiten zum Mitsingen geben. Beim Finale am Abend in der Veltins-Arena Auf Schalke singen auf dem Spielfeld 230 Chöre mit 8000 Sängern; dazu der belgische Mädchenchor Scala („Hungriges Herz”); Bobby McFerrin, die Wise Guys, Chöre aus Pecs und Istanbul, Opernstar Vesselina Kasarova, ChorWerkRuhr, ein Gebärdenchor mit einer besonderen Choreografie für diesen Tag. Und bis zu 65 000 Menschen auf den Rängen.

Mit dabei sind die Bochumer Symphoniker, und Steven Sloane führt durch den Abend.

Info: www.ruhr2010.de, ab Mai mit Konzertprogrammen, genauen Terminen und Orten. Tickets für die Arena (6,50-16,50 Euro) können schon gebucht werden:

www.ts-ticketshop.de; Tel.: 01805/152010; 01805/150810