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Der amerikanische Gitarrist Ry Cooder (62) ist immer für Überraschungen gut. Diesmal hat sich der Grammy-Gewinner mit den irischen Chieftains zusammengetan. Auf dem Album „San Patricio” schlägt er ein düsteres Kapitel der US-Geschichte auf: Unterdrückte irische Soldaten wechselten im amerikanisch-mexikanischen Krieg von 1848 die Seiten, um gegen die Union zu kämpfen. Von der Trübsal der Menschen ist musikalisch nichts zu spüren: Der gewöhnungsbedürftige Mix von irischer Folklore und TexMex versprüht Lebensfreude pur.
Glasgow im Winter. Ein Morgen, an dem Du nicht weißt, ob es noch Nacht ist oder schon Tag, zumal in Schottland. Ry Cooder hat, gemeinsam mit den Chieftains, ein Konzert hinter sich gebracht, um zu testen, ob das Konzept der Platte ankommt. Bevor er nach Dublin, Irland, düst, gibt er schnell noch ein Interview. Der Zeitplan ist eng, die Jungs seiner Plattenfirma drängen. Doch Ry Cooder lässt sich nicht drängen. Der Kumpel des Düsseldorfer Regisseurs Wim Wenders hört aufmerksam zu und spricht bedächtig, ja druckreif. Seine knarzige Stimme ist so tief wie sein Gesangsorgan, das mit zunehmendem Alter immer mehr an Tom Waits erinnert, kein Makel, eher Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert.
Im Gespräch betont der Mann aus Los Angeles, US-Staat Kalifornien, eher das Bekannte denn das Neue, Ungewöhnliche. „Das neue Album hat etwas mit mexikanischer Musik zu tun”, sagt er, „ich bin ja schon seit langer Zeit ein großer Fan der verschiedenen mexikanischen Stile.”
Und irische Folklore? „Sie passt perfekt zu der Geschichte, die wir erzählen. Also: Irische Soldaten haben damals, 1848, die Armee der Union verlassen.” Sie seien so schlecht behandelt worden, „dass sie glaubten, sie könnten es in Mexiko besser haben“. Natürlich brachten die Iren auch ihre Melodien, ihre Instrumente mit. Schon damals seien musikalische Mischformen entstanden.
Was Cooder wirklich zornig macht
Ein Umstand dieser Geschichte macht Ry Cooder zornig: „Es war damals das erste Mal, dass die USA in ein fremdes Land einmarschiert sind.” Er fügt hinzu: „Die USA hatten ein ganz einfaches Ziel: Sie wollten ihr Territorium vergrößern. Und der amerikanische Präsident hat damals den Kongress und die Öffentlichkeit belogen, um dieses Ziel zu erreichen.”
Welche Bedeutung hat die Vergangenheit für die Gegenwart? „Es gibt doch ganz offensichtliche Parallelen”, entgegnet der Mann, der seinen Landsleuten eine Mitgliedschaft in Kubas „Buena Vista Social Club” schmackhaft machte.
Bewusstsein für mehr Menschlichkeit wecken
Die Platte, hofft Ry Cooder, hebt das Geschichtsbewusstsein der Durchschnittsamerikaner, auch wenn sie auf ihn den Eindruck machen, „als hätten sie eine Gehirnwäsche hinter sich”. Dem Musiker geht es bei seinem Album darum, „ein Bewusstsein für mehr Menschlichkeit zu wecken”.
Eine Menge prominenter Kollegen wie Linda Ronstadt hat ihm dabei geholfen. Das Ergebnis lässt sich hören: Die Songs in Spanisch und Englisch sind mit Liebe arrangiert und superpräzise gesungen. Dazu kommt: Die Platte über das schmutzige Amerika ist blitzsauber produziert.
Eine Einwanderergruppe hat Ry Cooder in all den Jahren ignoriert: die Deutschen. Anfang des vorigen Jahrhunderts besaßen sie dieselbe Stellung wie heute die Latinos. Deutsch sollte, neben Englisch, zweite Amtssprache werden. Dann kam der Erste Weltkrieg. Ob Ry Cooder schon mal daran dachte, den deutschen Wurzeln des US-Pop nachzuspüren? Er lacht: „Mann, gute Frage. Schau’n wir mal.”