Essen. Ein neuer Atlas erzählt die Geschichten der einsamen Inseln. Ein besonderes Buch – schön gestaltet, wunderschön geschrieben. Obwohl die Autorin selbst nie dort war

Die einsame Insel gilt als Paradies auf Erden. Dabei vergisst man leicht, dass sie auch ein Gefängnis ist – Wassermassen sind die Mauern. Wie unwirtlich und vielfältig diese Stückchen Erde sein können, die teils seltener betreten wurden als der Mond, zeigt Judith Schalansky in ihrem auch literarisch schönen „Atlas der abgelegenen Inseln”.

Die Reise mit dem Finger beginnt bei der „Einsamkeit”. Die liegt im eiskalten Nordpolarmeer. Dorthin haben sich bisher kaum Lebewesen verirrt – außer ein Saurier, wie ein Fund eines Halswirbels verrät.

Wie Ausschnitte aus Romanen

Neben Lage, Karte und Daten zur Entdeckung stellt die Gestalterin zu jeder Insel auch Anekdoten, die sich wie Ausschnitte aus guten Romanen lesen. Nicht verwunderlich, denn ihr Talent dazu bewies Schalansky bereits mit ihrem Roman „Blau steht dir nicht”. In ihrem Atlas berichtet die Autorin mit den Augen der Entdecker: „Plötzlich stoßen sie auf gefrorenes Land mit schwarzen Klippen, steil und voller Höhlen: in der Höhe von Seeraben bewohnt, in der Tiefe von tobenden Wellen gepeitscht.”

Sie erzählt von beneidenswerter Freizügigkeit auf der einen Insel, und von Kannibalismus auf der anderen. Sie zeigt Napoleons Verbannungsinsel St. Helena und die Norfolkinsel, eine einst gefürchtete, britische Strafkolonie. Und sie beschreibt Vulkanausbrüche und Atombombenversuche, die Inseln verwüsteten.

Nur neun Bewohner

Man blättert von Geschichte zu Geschichte – und wieder zurück und entdeckt, dass die französische „Tromelin” 0,8 Quadratkilometer klein ist und auf der norwegischen „Bäreninsel” gerade mal neun Menschen leben. Was ja irgendwie noch unangenehmer klingt als: „unbewohnt”.

Spätestens jetzt sehnt man sich nicht mehr nach dem schönen Nichts. Stattdessen versteht man auch den Untertitel des Buches: „Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde”.

Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln. Mare Verlag; 144 Seiten, 34 Euro