Bochum. Guido Beck führt eine Design-Agentur in Bochum – und wollte einmal im Leben Zeit nur für sich haben. Wie ein Sabbatical als Chef gelingen kann.
Auf einmal herrschte Ruhe. Keine WhatsApp-Nachrichten von Freunden. Keine Mails von Kundinnen und Kunden. Keine Anrufe von Angestellten. Kein Facebook, Instagram oder TikTok. Funkstille. Guido Beck war allein. Mitten in der Millionenmetropole Sidney, deren lautes Treiben ihn in den Bann zog und die das Abenteuer versprach, nach dem er sich so lange gesehnt hatte. 16.500 Kilometer trennten ihn von seiner Heimstadt Bochum – und von seinen Mitarbeitenden.
Der Geschäftsführer hatte im vergangenen Jahr sein Smartphone, seinen Alltag und die Verantwortung für seine Designagentur zurückgelassen, um mehrere Monate lang mit dem Motorrad durch Australien und Neuseeland zu fahren. Sabbaticals sind beliebt. Immer mehr Menschen nehmen sich eine längere Auszeit vom Beruf. Sie wollen reisen, sich ehrenamtlich engagieren oder mehr Zeit für die Familie haben. Aber kommt so ein Langzeiturlaub auch für Chefinnen und Chefs in Frage? Oder riskieren sie damit den Erfolg ihres Unternehmens?
Bochumer: So schwer ist es, als Chef im Urlaub abzuschalten
Guido Beck gründete 1990 seine Agentur, heute arbeiten um die 30 Menschen in dem Bochumer Designstudio. Eine hohe Verantwortung, die Beck auch im Urlaub bisher nie wirklich abschalten ließ. „Als Geschäftsführer und Inhaber ist man immer abhängig von den geschäftlichen Ereignissen. Das Problem ist: Wenn es gut läuft, hätte man zwar die Planungssicherheit, aber eben keine Zeit für Urlaub. Umgekehrt ist in ruhigen Phasen zwar die Zeit vorhanden, aber nicht die innere Ruhe“, sagt er.
Erst seit einigen Jahren achte er darauf, seine Arbeitszeiten „zu normalisieren“ und Urlaub zu nehmen, „aber selten länger und dann auch immer für die Agentur erreichbar. Also schon so, dass ich jeden Morgen meine Mails gecheckt habe“.
Davon wollte er sich freimachen. „Wenigstens einmal im Leben komplett raus sein“, wie er es nennt. Von Oktober 2022 bis Februar 2023 wollte er ans andere Ende der Welt reisen, rund vier Monate lang mit dem Motorrad unterwegs sein. Bereits ein Jahr vor Beginn seiner Auszeit weihte er sein Team in seine Pläne ein, zog sich dann nach und nach aus dem Alltagsgeschäft zurück.
„Ich war zwar physisch da, aber habe mich nicht mehr aktiv eingemischt. Dadurch haben wir gemerkt, wo noch Schwachstellen sind, welche Abläufe wir noch besprechen oder ändern müssen“, erinnert er sich. Viele seiner Aufgaben hatte er bereits vor Jahren an Mitarbeitende in höheren Positionen abgegeben, nun sollten sie das Geschäfts ganz allein am Laufen halten. Beck selbst wollte während der Pause nur im Notfall erreichbar sein. Dafür hatte er sich extra eine neue Handynummer angelegt, die nur eine Mitarbeiterin kannte.
Unternehmens-Expertin aus dem Ruhrgebiet: „Als Chef überflüssig machen“
„Du traust dich ja was! Hast du keine Angst um deinen Erfolg?“: Reaktionen wie diese habe sein Sabbatical häufig bei befreundeten Unternehmerinnen und Unternehmern ausgelöst. Dabei ist es sehr wichtig, sich auch als Chefin oder Chef ab und an aus dem Unternehmen rauszuziehen, sagt Christine Trzaska, Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmerinnen im Ruhrgebiet.
„Ein Sabbatical ist eine tolle Sache. Die Realität ist ein Unfall oder eine Krankheit. Dann steht das Unternehmen plötzlich führerlos da. Für mich ist die Aufgabe als Führungskraft also, mich überflüssig zu machen, zumindest was das Tagesgeschäft angeht“, so Trzaska. Sie habe oft die Erfahrung gemacht, dass es Unternehmerinnen und Unternehmern schwerfalle, Aufgaben und Verantwortung abzugeben.
„Aber wenn ich die richtigen Mitarbeiter in den entscheidenden Positionen habe, funktioniert es auch ohne mich.“ Eine Auszeit komme dem Unternehmen außerdem langfristig zugute: „Ich muss mir auch Auszeiten nehmen, um zu gucken, wo ich mit meinem Unternehmen hinwill und wie ich auch in Zukunft einen Nutzen für meine Kunden bieten kann. Dafür brauche ich Zeit und Ruhe.“
Diese Ruhe zu finden, das sei Guido Beck während seines Sabbaticals gelungen. In den ersten Wochen habe er noch oft an die Arbeit gedacht. Doch je mehr Kilometer er mit dem Motorrad zurücklegte, desto mehr ließ er sich auf das Abenteuer ein.
Die meiste Zeit war er allein unterwegs, fuhr ohne vorgeplante Route quer durchs Land. So entdeckte er nicht nur wunderbare Landschaften und eine fremde Kultur, sondern auch neue Seiten an sich selbst. „Ich habe gemerkt, wie wohltuend es ist, so viel unverplante Zeit zu genießen, wie sehr ich in Szenarien denke, tief in mir Ängste verwurzelt sind, und was meine komischen Marotten sind, damit umzugehen. Und mir ist während der Reise auch klar geworden, wie sehr ich das Designen liebe“, sagt er. Während der Auszeit gestaltete er immer wieder kleinere Design-Projekte, feilte an der Idee, seine Erfahrungen in einem Buch festzuhalten.
Bochumer muss wichtige Entscheidung während des Sabbaticals treffen
Als sich seine Reise dem Ende zuneigte, freut er sich auf die Arbeit in der Agentur. Doch dann holte ihn die Realität wenige Tage vor dem Abflug eher ein als gedacht. Monatelang hatte er nichts von seinem Team gehört. Dann ploppte auf dem Handy plötzlich eine Nachricht seiner Mitarbeiterin auf. Ende der Funkstille.
Es gäbe ein Problem, das sie nicht ohne ihren Chef lösen könnte. Ein wichtiger freier Mitarbeiter wolle die Agentur verlassen. Beck meldete sich noch von Sidney aus bei ihm, verabredete ein Treffen nach seiner Rückkehr. Der erste Termin im Dienstkalender – auf den viele weitere folgen sollten. Denn zurück in Deutschland stürzte sich der Geschäftsführer direkt wieder ins Arbeitsleben.
„Alles kann und soll sich ständig verändern“
Sein Schreibtisch war allerdings noch genauso leer wie am letzten Arbeitstag. Keine gestapelten Briefe, Ordner, Aufgaben. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass seine Mitarbeitenden die Geschäfte der Agentur nicht nur ideal verwaltet, sondern auch viele neue Projekte angestoßen hatten. „Wir wollten zum Beispiel schon länger noch mehr im Bereich Produkt-Video machen und auch einen Online-Shop für eigene limitierte Werke eröffnen. Das wurde dann von ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verantwortlich umgesetzt“, erzählt er.
Anstatt nicht erledigte Aufgaben anzugehen, führte er nach seiner Rückkehr vor allem Personalgespräche. Wie zufrieden sind die Angestellten? Wer möchte neue Aufgaben übernehmen? Welche Strukturen müssen sich verändern? Beck selbst trat wieder etwas zurück und reduzierte seine Stunden. Nun will er sich neuen Aufgaben widmen und noch mehr internationale Projekte angehen.
„Ich möchte nichts mehr machen, nur weil man sagt: Das hat man immer so gemacht. Das ist mir in der Auszeit klar geworden. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass die Arbeitswelt ein statisches Element ist. Alles kann und sollte sich ständig verändern“, sagt Beck. Seine berufliche Auszeit, sie war ein Neuanfang. Für ihn persönlich, aber auch für seine Agentur.
>>> Alle Infos zum Buch
Guido Beck hat über seine Auszeit ein eBook plus Booklet geschrieben: „Alle Welt der Zeit“ ist im „HerzSeiten.com“-Verlag erschienen und kostet 35 Euro.
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