Annett Louisan ist eine verlässliche Größe im deutschsprachigen Pop-Chanson. Jetzt ist sie mit neuen Liedern auf Tour.
Auch schon wieder fast 20 Jahre her, dass Annett Louisan, die eigentlich Päge mit Nachnamen heißt, mit ihrer sinnlich-koketten Debütsingle „Das Spiel“ die Herzen eroberte und zur verlässlichen Größe im deutschsprachigen Pop-Chanson wurde. Mittlerweile ist sie 45, hat eine fünfjährige Tochter, emotional ein paar Schrammen und macht sich auf ihrem zehnten Album „Babyblue“ melancholische, aber nicht verzweifelte, Gedanken über das Älterwerden, das Dahinsiechen von Liebe oder die unselige Kraft der Religion. Wir sprachen mit der in Havelberg/Sachsen-Anhalt geborenen Annett Louisan, die in diesem Jahr den Paul-Lincke-Ring der Stadt Goslar für ihre Verdienste um die deutschsprachige Musik erhält, in ihrer Wahlheimatstadt Hamburg.
Annett, eines deiner neuen Lieder heißt „Die Mittleren Jahre“ und ist ziemlich traurig. Steckst du in der Midlife-Crisis?
Ich habe gelesen, dass die Glückskurve des Lebens wie ein „U“ verläuft. So gesehen, ist die Mitte des Lebens wohl die unglücklichste Phase. Auch deshalb, da man nun die Person, die man ist, mit der Person vergleicht, die man eigentlich hätte sein wollen. Ab 50, so sagen die Fachleute, wird es wieder besser. Weil man dann dankbar für alles ist, das man hat.
Du bist 45. Dann musst du wohl noch durch fünf schwere Jahre.
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Bei mir ist alles ein bisschen verschoben. Ich bin ja spät Mutter geworden, mit 40. Dieses schöne Ereignis war für mich so etwas wie der endgültige Abschied von meiner Jugend, und damit musste ich erstmal zurechtkommen. Ich habe keine Probleme damit, älter zu werden, im Gegenteil, ich freue mich darauf, irgendwann, wenn alles gut geht, eine alte Frau zu sein. Nur verabschiedet man sich von Sachen, die man gemacht hat, als man jung war. Und man verabschiedet sich auch vom Gefühl der Unsterblichkeit.
Immerhin lebst du noch. Du singst in dem Lied ja auch: „Früher sind Menschen nur 40 geworden und sparten sich so die Therapie“
(lacht) Ich weiß, ich sollte einfach froh und dankbar sein, dass ich noch hier bin. In jedem Fall waren die vergangenen zwei, drei Jahre irgendwie die schlimmsten, vielleicht die besten und ganz sicher die wichtigsten Jahre meines Lebens. Ich musste ein paar Topfdeckel hochnehmen und einige Traumata bearbeiten. Ich bin froh, das gemacht zu haben. Obwohl es manchmal heftig ist, sich unbequeme Wahrheiten einzugestehen.
Welche nicht so bequeme Wahrheiten sind das gewesen?
Auch ich habe tote Winkel, Schwächen und Fehler. Ich bin nicht immer nur empathisch und nett. Und ich habe die Liebe noch einmal auf eine andere Weise auseinandernehmen müssen. Einige romantische Vorstellungen musste ich anzweifeln oder beiseite wischen. Beziehungen können sich verändern. Ich litt auch unter Liebeskummer, unter persönlichen Schicksalsschlägen. Das Gerüst meines Lebens hat ein bisschen gewackelt zuletzt. Aber jetzt sehe ich wieder Land. Und ich schaue mir jemanden wie David Bowie an. Er hat in einem Interview mal beschrieben, wie fürchterlich seine Vierziger waren. Irgendwann habe er die Dinge und sich selbst akzeptiert, und das sei ein wundervolles Gefühl gewesen.
„Wo ist die Aufregung geblieben“ singst du in „Die Mittleren Jahre“ auch.
Das Älterwerden ist nichts für Weicher, das steht fest. Mit dem Alter verändern sich die Gründe, aus denen man sich verliebt oder einen Gefährten an sich heranlässt. Wichtiger, als einfach nur geliebt und begehrt zu werden, ist mir heute, wertgeschätzt und erkannt zu werden. Es macht mich so viel glücklicher, wenn man auf einer Ebene ist und ein tiefes Verständnis für die Seele des anderen aufbringen kann.
Kannst du auch gut mit dir alleine sein?
Ja. Ich brauche meinen Raum, meinen Rückzugsort. Vielleicht bin ich sogar ein Mensch, der am glücklichsten ist, wenn er alleine ist. Das darf nur nicht in ein Gefühl der Einsamkeit kippen, wie ich es im Titelsong beschreibe.
„Babyblue“ ist eine Prostituierte, die Prinzessin aus der Herbertstraße, wie du singst.
Ein wichtiger Beruf, vor dem man Respekt haben sollte. In dem Song ist nicht eindeutig, ob ich selbst diejenige bin, die getröstet wird. Oder diejenige, die tröstet.
Willst du denn den Menschen Trost spenden mit deinen Liedern?
Auf jeden Fall. Es gibt so viel Individualismus heutzutage, daher freue ich mich besonders auf die Konzerte. Weil wir dann mal nicht am Handy hängen, sondern uns zusammenschließen und ein gemeinsames Erlebnis zelebrieren, zu dem Trost genauso gehört wie auch Humor.
Der Schalk in deinem Nacken blitzt zwar auf, zum Beispiel im Song „Arsch“, aber so insgesamt macht „Babyblue“ schon einen besonders melancholischen Eindruck, oder?
Ja, das stimmt. Melancholie ist für mich ein Motor. Wenn ich zu satt und zu glücklich bin, komme ich nicht von der Stelle. Dieses Album ist für mich auch so etwas wie eine Hommage an die Melancholie. Es ist kein leichtes Album und auch nicht besonders gefällig.
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Es ist schön ausladend produziert, mit Orchester und musikalisch wirklich dem großen Besteck.
Ich frage mich bei jeder neuen Platte: Was hast du zu sagen? Was ist der Grund, noch ein Album zu machen? Es geht mir mit „Babyblue“ nicht darum, alte Erfolge zu übertreffen oder besonders hoch in die Charts zu kommen. Meine Bedürfnisse als Künstlerin haben sich verändert. Früher wollte ich um jeden Preis gemocht werden. Heute will ich in erster Linie die Musik machen, die mir selbst gefällt. Der wahre Erfolg ist, frei zu sein – von Erwartungen, von Ängsten und von Selbstzweifeln. Mich hat letztlich die Vorstellung beflügelt und beglückt, hier ein Werk zu hinterlassen, das mein eigenes Leben überdauert.
„Hallo Julia“ ist eine Auseinandersetzung mit Glauben und Religion. Was ist deine Haltung zu dem Thema?
Ich halte Religion für sehr gefährlich. Wenn ich nur an die Doppelmoral denke, an den unsäglichen Beichtstuhl. Zugleich merke ich, dass Spiritualität verstärkt in mein Leben zurückkehrt. Ich glaube an Gott, oder sagen wir: an jemanden wie Gott.
Von der persönlichen Ebene geht es in dem musikalisch wundervollen Chanson „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ plötzlich ins große Ganze. Du singst über Ausländerhass, Gleichgültigkeit und die eigene Widersprüchlichkeit .
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Ich denke, das ist mein erstes zumindest ansatzweise politisches Lied. Ich beleuchte die Politik im Kleinen, durchaus auch selbstkritisch. Ich spreche nicht zuletzt über meine eigene Szene, über die Biomütter und -väter, die meinen, schon so superviel Mitgefühl zu haben und in Wirklichkeit nie bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen. Der Grat zwischen Ignoranz und Selbstschutz ist extrem schmal.
10.11.2023 20:00 Uhr Bochum RuhrCongress
16.11.2023 20:00 Uhr Köln Palladium
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