Essen. Michael Palm und Lukas Zach entwickelten das Brettspiel Dorfromantik. Obwohl es noch gar nicht verkauft wird, ist es schon eine Erfolgsgeschichte
Die Schlange ist 100 Meter lang und zieht sich durch die große Halle. Menschen, die geduldig anstehen, um dieses eine Brettspiel zu kaufen. „Ich kann noch immer nicht glauben, was ich da gesehen habe“, sagt Michael Palm. Zusammen mit Lukas Zach hat er dieses Brettspiel entwickelt. Es ist nicht sein Erstes, aber vielleicht bisher sein Bestes. Zumindest wenn es nach der Menschenmenge geht, die versucht, eins der wenigen Exemplare auf der Spielemesse Anfang Oktober zu ergattern. Offiziell ist Dorfromantik erst im Dezember im Handel erhältlich. Die Erfolgsgeschichte dieses Spiels hat aber schon viel eher begonnen.
Von digital zu analog
Es ist 2020. Vier junge Männer in Berlin stehen kurz vor dem Ende ihres Game-Design-Studiums. Luca Langenberg, Sandro Heuberger, Timo Falcke und Zwi Zausch gründen „Toukana Interactive“ und entwickeln als ihre Masterarbeit das Computerspiel Dorfromantik. Es geht darum, mit Plättchen Landschaften zu bilden und dabei Aufträge zu erfüllen.
Das Spiel kommt friedlich daher, ohne Konflikte, ohne Zeitdruck. Es ist entspannend und trifft den Nerv der Menschen in der Corona-Zeit. Zwei Jahre später ist das Spiel bereits mehr als 1 Million Mal heruntergeladen worden, ist mittlerweile sogar auf Spielekonsolen erschienen und hat etliche Preise abgeräumt. Auch die Brettspielbranche ist darauf aufmerksam geworden. Der Pegasus-Verlag machte letztlich das Rennen, weil zwei seiner Autoren die beste Idee hatten, wie sie das Spiel vom Bildschirm auf den Tisch bringen können.
Schafe, Dorfplätze und Häuser
Diese beiden Autoren, Michael Palm und Lukas Zach, waren sofort begeistert von Dorfromantik, schon als sie es in der Beta-Version sahen, also vor der offiziellen Veröffentlichung. „Ich habe den Pegasus-Verlage gebeten, dass er die Toukanas anschreibt“, sagt Michael Palm. „Doch die Berliner haben nicht geantwortet, weil so viel über sie plötzlich hereinbrach, das Spiel so viel Aufmerksamkeit bekam.“ Das hat er später von ihnen erfahren. Die beiden Brettspieleautoren legten trotzdem los und machten sich Gedanken, wie sich Dorfromantik anfühlen könnte.
Palm wohnt in Konstanz, Zach in Bremen, sie arbeiten online zusammen, mindestens zwei Tage in der Woche. Lange dauerte es nicht, bis die ersten Plättchen gezeichnet waren, die Idee entstand. „Das Legen von Sechseck-Plättchen ist seit Catan nicht mehr wegzudenken“, sagt Michael Palm und denkt, dass das auch ein Grund ist, warum Dorfromantik so ankommt.
Sechseckig sind die Plättchen von Dorfromantik nämlich auch, und Landschaften sind ebenfalls abgebildet, aber mit mehr Details. Unter anderem mit Schafen, Dorfplätzen und Häusern, die im Laufe des Spiels eine besondere Bedeutung erhalten. Denn so wie das Onlinespiel steigert sich auch das Brettspiel in seinen Anforderungen. „Es kommt immer mehr hinzu“, sagt Michael Palm. Dann meldeten sich die vier Berliner Jungs doch und waren begeistert von der Brettspieladaption.
Erstes Spiel 1996 veröffentlicht
Michael Palm und Lukas Zach arbeiten schon seit 20 Jahren zusammen an Spielen. Wie die beiden trotz hunderter Kilometer Distanz damals zusammenkamen? „Lukas hatte mich einfach angeschrieben und gefragt, was man machen muss, um ein Spiel bei einem Verlag zu veröffentlichen.“ Seinen Namen hatte er von einem Spielcover, das er wahllos aus dem Regal gezogen hatte. Welches es war, das weiß Michael Palm nicht mehr. Zu der Zeit gab es bereits einige von ihm.
Schon als Kind war Michael Palm von Brettspielen fasziniert, zeichnete bei Risiko neue Länder ein, 1991 entwickelte der damals 20-Jährige sein erstes eigenes Spiel „Fisch Ahoi“. Es ist nie erschienen. Er begann im gleichen Jahr mit seinem Jura-Studium. „Ich komme aus einer Juristenfamilie, in der sich für Politik engagiert wird, und da war klar, was ich mache“, sagt er. Sein Vater Guntram Palm war in Baden-Württemberg erst Justiz- und dann Innenminister. Als er seinem Vater sagte, dass er einen Spiele- und Comicladen eröffnen wollte, hat er es akzeptiert. Erst war es nur ein Hobby, jetzt ist es noch immer Leidenschaft, aber eine, von der er leben kann.
Von Michael Palms Laden „Seetroll“ gibt es mittlerweile auch einen in Friedrichshafen, und einen eigenen Verlag hat er auch gemeinsam mit 38 Spieleladen-Inhabern gegründet, um junge Spieleentwickler und besondere Ideen zu unterstützen. Der 51-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, sich in der Branche durchzusetzen, bei alle der Fülle an neuen Spielen. Sein erstes Spiel, das es geschafft hat, war „Geheimnis auf dem Nil“. Das war 1996. Mittlerweile sind es mehr als 50 Spiele geworden. Auftragsarbeiten wie die Brettspielumsetzung für Markus Heitz Roman „Die Zwerge“, Abenteuer und Kinderspiele.
Spielen gehört zum Alltag
Ein Legespiel war bisher nicht dabei. „Ich habe schon lange darüber nachgedacht, wie man so was machen könnte.“ Seine Idee spielte eigentlich in der Südsee, gelandet ist er in einer ländlichen Idylle. Was diese Art von Spielen ausmacht? „Plättchen aufdecken und passend anlegen, Dinge vervollständigen, das macht einfach jedem Spaß und fühlt sich gut an“, sagt er. Und genau das zeichnet auch Dorfromantik aus. Was so leicht daher kommt, war aber auch harte Arbeit. Wie klein muss das Plättchen sein, damit alle auf den Tisch passen, wie groß muss es sein, damit man alle Details erkennen kann. „Lukas war mit einem Zollstock bei Ikea und schaute sich dort die Tische an, wir wollten wissen, was gängige Größen sind.“
Dutzende Zettel wurden bemalt, skizzenhaft, alles nur nicht schön. „Um die finale Optik des Spiels hat sich zum Glück später der Spieldesigner Paul Riebe gekümmert“, sagt Michael Palm.
Wo fängt die Wiese an, wo hört das Kornfeld auf, wie können die verschiedenen Landschaften eingezeichnet werden, damit sie gut aneinanderpassen? Wie kann das Gleis am besten gestaltet werden? Oder der Fluss? Drucken, Schneiden, Bemalen und dann wieder von vorne. „Meine Frau und meine beiden Jungs mussten viele Testpartien mit mir spielen“, sagt Michael Palm. Doch Spielen gehört auch zum Alltag in der Familie. Spielen sei in allen Lebenslagen wichtig. Bei der Entwicklung der Persönlichkeit, in guten Zeiten, in schlechten, in der Jugend und auch im Alter. Er sagt: „Spielen ist Urlaub für die Seele.“
600 Stück eingeflogen
Eine gute Geschichte, schönes Material, klare einfache Regeln: „Das macht ein Spiel aus“, sagt Michael Palm und ist froh, dass Zach und er das bei Dorfromantik hinbekommen haben. Besonders ist auch, dass kooperativ gespielt wird, also gemeinsam. Am Ende zählt, wie viele Punkte alle zusammen erreicht haben. Nach und nach werden dann die neuen Herausforderungen freigeschaltet.
Natürlich sei er aufgeregt gewesen, als das Spiel im Oktober erstmals präsentiert wurde. Für die Spielemesse in Essen seien 600 Stück eingeflogen worden. Schon am zweiten Tag waren alle Exemplare ausverkauft. Als Michael Palm sah, wie begeistert die Menschen an den Tischen Dorfromantik spielten, war er einfach nur glücklich und verbrachte Stunden damit, das Spiel zu erklären, mit den Menschen am Spieltisch ins Gespräch zu kommen. „Ich bin dankbar, das erleben zu können“, sagt er. Besonders beeindruckt hat ihn ein Gespräch mit einem Spielefan aus Norddeutschland, der extra nach Essen gekommen ist, um Dorfromantik zwei Monate vor der offiziellen Veröffentlichung zu erhalten. Er hat keine Zeit mehr abzuwarten, der Krebs hat gewonnen. Die Monate, die ihm bleiben, will er mit Dingen verbringen, die ihn glücklich machen. Sie haben sich abseits der Schlange getroffen. Michael Palm hat ihm sein Exemplar signiert, „Für 1000 Partien“.
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