Witten. Im Ruhrgebiet gibt es etliche Spielplätze, immer wieder entstehen neue. Welche Vorstellungen davon, was Kinder brauchen, stecken dahinter?
Über den Spielplatz am Hohenstein in Witten rollt ein Bagger. Er zieht die letzten von Jahrzehnten der Witterung marode gewordenen Schaukeltiere aus dem Sand. Eine Drohne fliegt über das Gelände und misst die Fläche aus. Mitarbeiter des Betriebsamtes der Stadt Witten und der ausführenden Baufirma gehen gemeinsam mit der Landschaftsarchitektin das Gelände ab und markieren auf einem Plan, wo genau der Bauzaun, wo die Materialien gelagert werden können.
Die Errichtung des neuen Spielplatzes als Teil von Wittens beliebtestem Naherholungsgebiet – weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt – kann beginnen. Anfang 2023 soll der Spielplatz nach gut drei Jahren Planungs- und Bauzeit dann wiedereröffnet werden.
Kinderbefragung für neuen Spielplatz in Witten
Bedarfsermittlung, Zielsetzung, Bestandsaufnahme, Treffen mit allen Beteiligten, Vermessungen, Pläne zeichnen, Bau. Das sind die groben Schritte, in denen ein solcher Spielplatz entsteht. Und allem vorab eine Kinderbefragung, was sie sich für einen neuen Spielplatz am Hohenstein wünschen. Eine Hütte zum Verstecken wurde dabei beispielsweise genannt, eine breite, hohe, besondere Rutsche, Turnstangen und – immer wieder – Wasser.
Landschaftsarchitektin Katrin Lakenbrink ist diejenige, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Als Teil des Landschaftsarchitekturbüros Hoff mit Sitz in Essen hat sie schon viele Spielflächen, unter anderem in Witten, Bochum oder Mülheim, gestaltet, Freiraum- und Objektplanung betrieben. Sie hat die Pläne für diese prominente Spielfläche entwickelt, ist der kreative Kopf des Projektes.
Neuer Spielplatz in Witten soll ganzjährig Spaß bieten
Hier spiegeln sich, abgeglichen mit den finanziellen Rahmenbedingungen des Projekts und dem Bedarf, bzw. unter Berücksichtigung der Kinderwünsche, ihre Vorstellungen davon, was Kinder im Freien brauchen, um spielen zu können. „Dieser Spielplatz hatte seine natürliche Lebensdauer überschritten“, erklärt sie. „Da musste man reagieren.“
Zunächst hatte sich Katrin Lakenbrink die Gegebenheiten angeschaut: Im Sommer war der Spielplatz mit seinen Wasserpumpen und seiner Matschfläche toll (und das soll auch als Herzstück erhalten bleiben), aber wenn das Wasser im Herbst abgestellt wurde, war er wenig attraktiv.
Lakenbrinks Plan ist also: Einen Spielplatz zu entwickeln, auf dem Kinder ganzjährig gerne spielen, der attraktiv ist für Kinder verschiedener Altersgruppen und körperlicher Konstitutionen, also barrierefrei.
Spielplatzplanung in Witten: Spaß und Sicherheit
„Die besondere Herausforderung an eine Spielplatzplanung ist, dass es Spaß machen, aber trotzdem sicher sein soll“, erzählt die Landschaftsarchitektin. Das Motto ihres Büros und auch das ihre ist: Mit dem Raum, mit den Menschen, mit der Natur.
Ein Spielplatz müsse sich also an alle drei Komponenten anpassen und sei deswegen immer individuell abhängig von der Umgebung, in der er entsteht. „Ich möchte Räume zum Wohlfühlen schaffen“, sagt Lakenbrink über ihre Motivation, „möchte zum Bewegen anregen, Sinneserfahrungen ermöglichen, kreative Prozesse anstoßen.“
Neuer Spielplatz in Witten: Altes mit Neuem kombinieren
Hier, am Hohenstein, sei es wichtig gewesen, Altes mit Neuem zu kombinieren: Der Matsch und der weite Blick seien gegeben gewesen. „Was nicht geht, ist einfach irgendwas hinzustellen.“ Das sei der Fehler vieler, vor allem älterer Spielplätze: Rutsche, Schaukel, Wippe. Das allein haben heute viele schon im eigenen Garten, es werde also schnell langweilig. „Wir treten dafür an, dass es anders wird“, bemerkt die Architektin.
Ein Naturerleben sei ein großer Punkt, weswegen das Gebüsch zum Beispiel in die Planungen mit einbezogen worden sei, dass es Zonen für Jüngere und auch für Ältere gibt, dass es Anregungen dafür gibt, gemeinsam zu spielen. „Die Herausforderung ist es, ein Gesamtwerk aus den Gegebenheiten zu schaffen. Das ist das, was mich antreibt“, sagt Katrin Lakenbrink.
Keine Spielplätze „von der Stange“ in Witten
Gut fünf Kilometer entfernt, in Wittens Stadtteil Annen, an der Dirschauer Straße nahe der Universität Witten-Herdecke, ist ein neuer Spielplatz frisch fertig gestellt worden. Hier steckt Landschaftsarchitekt Markus Schürmann mit seinem Duisburger Büro „ST-Freiraum“ als kreativer Kopf dahinter.
Auch dem 58-Jährigen war wichtig, den Charakter des Ortes, an dem bereits ein Spielplatz bestand, herauszuarbeiten und den neuen Spielort daran anzupassen. Jetzt gibt es Blickachsen zur Universität und zum benachbarten Wohngebiet und einen hohen Turm auf einem Hügel als Herzstück, von dem die Spielenden herunterrutschen können.
„Es verbietet sich, von der Stange zu arbeiten“, antwortet er auf die Frage, wie er einen solchen Spielplatz entwickelt. „Das soziale Gefüge, also diejenigen, die den Spielplatz nutzen möchten, ist ja in jeder Situation anders. Es gibt nur maßgeschneiderte Lösungen.“
Persönlichkeitsbildung auf dem Spielplatz
Spielplätze „von der Stange“ sind die, wie es sie beispielsweise an Autobahnraststätten gibt, und bei denen Autofahrer die immer gleiche Qualität erwarteten und die nur zur kurzen Befriedigung des Bewegungstriebes dienten.
Er hingegen möchte, „dass die Leute sich freuen, auf einen Spielplatz gehen zu können. Es geht um Persönlichkeitsbildung: Dass Kinder sich dort treffen, dass Familien sich dort treffen, dass Kinder sich entwickeln sollen. Das ist mein Anspruch an den öffentlichen Raum.“
Weil Spielplätze für junge Familien als sozialer Raum und Treffpunkt plötzlich wichtig werden, hat Schürmann auch den Anspruch, „kommunikative Bereiche“ für alle zu gestalten und alle mitzudenken – Kinder wie Eltern. Für Eltern gibt es dann nicht nur gemütliche Sitzecken, sondern auch Fitnessgeräte.
Schaukeln, Rutsche und Klettergerüst als Basis
Schaukeln, Rutsche, Klettergerüst, Sand. Das ist die Basis, die für Markus Schürmann auf jeden Spielplatz gehören. Die sollen sich in die bestehende Landschaft einfügen. Dann muss es aber auch Stellen ohne Spielgeräte geben.
„Das kann eine Gehölzgruppe sein, das kann ein Mäuerchen sein, auf dem die Kinder Sandkuchen backen“, sagt Schürmann. Rückzugsräume, „geheime Orte“, muss es geben, um die Kreativität, das freie Spiel und das Miteinander zu fördern.
Außerdem hat der Landschaftsarchitekt den Anspruch, Räume zu schaffen, in denen die Kinder zu gemeinsamen Spielen und zur Interaktion animiert werden, zum Beispiel durch Wippen, für die es mehrere Kinder braucht.
„Ein gutes Spielgerät braucht immer neue Herausforderungen“
Er möchte ein Umfeld schaffen, aus dem sie lernen können und an dem sie immer wieder an ihre Grenzen gehen können. „Ein gutes Spielgerät braucht immer neue Herausforderungen, zum Beispiel immer höher klettern zu können, um sich immer weiter zu entwickeln“, beschreibt er.
Grenzen werden auch Markus Schürmann oft durch das Budget gesetzt, denn Spielgeräte seien einfach „unendlich teuer“. „Dass alles immer so super sicher sein muss, ist auch einengend“, bemerkt er.
„Wenn man spannende Räume schaffen möchte, dann bieten die eben oft auch Gefahr. Ich persönlich finde, dass ein Kind das Recht hat, irgendwo runter zu fallen und sich einen blauen Flecken zu holen. Aber wir als Planer müssen so sicher planen, dass keiner wirklich zu Schaden kommt. Das ist immer wieder eine Gratwanderung.“
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