Bochum. Kinder und Jugendliche können Informationen oft schwer von Konsumbotschaften unterscheiden. Werbung durch Influencer erschwert das noch weiter.
Rahél ist 13 Jahre alt. Am liebsten ist sie in ihrer Freizeit im Internet unterwegs, auf Youtube und Instagram. Oft verbringt sie ganze Nachmittage damit, sich anzusehen wie „Gnu“, „julesboringlife“, „Julia Beautx“, „Emir“ oder „Paula Wolf“ videospielen, sich schminken, frisieren, shoppen, Möbel aufbauen, Zähne putzen, Auto fahren oder von Social-Media-Trends und Ereignissen aus ihrem Leben erzählen. Emir, Paula Wolf und Gnu sind Stars der Sozialen Medien, unter Heranwachsenden heute fast so bekannt wie Wincent Weiss oder Lena Meyer-Landrut. Gerne sieht Rahél sich auch Youtube-Videos und Instagram-Posts von Kiki Aweimer an. Auf ihren Youtube-Kanälen veröffentlicht sie unter „Kikis Kitchen“ fünf Mal pro Woche Koch- und Backvideos, kurze Ausschnitte und Einblicke in ihr Leben. Auch auf Instagram und Tiktok ist die Bochumerin sehr aktiv.
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Dass Rahél, wenn sie ihren Stars zuschaut, durch die Schlüssellochperspektive ins Leben anderer blickt und das die Faszination daran ausmacht, ist ihr bewusst. Nicht aber, dass längst nicht alles echt ist. Sondern vorgeschrieben, vertraglich vereinbart mit Werbepartnern, die die Youtube-, Tiktok- und Instagram-Stars dafür bezahlen, ihre Produkte einzusetzen. Viele dieser „Berühmtheiten“ sind „Influencer“: „Person, die in sozialen Netzwerken besonders bekannt, einflussreich ist und bestimmte Werbebotschaften, Auffassungen o. Ä. vermittelt“, definiert der Duden.
Budgets für Influencer sind gestiegen
Oft ist unklar, was zuerst da war: Der Erfolg in den Sozialen Medien mit den geposteten Videos, Reels, Stories und Shorts oder die Werbeverträge. Rahél hat nur eine sehr vage Vorstellung, wie das mit der Werbung funktioniert. Dass vieles in den Sozialen Medien stattfindet, um Werbung zu transportieren.
„Nie war die (Werbe-)Botschaft so wertlos wie heute“, betitelte die „Wirtschaftswoche“ 2018 einen Kommentar. Aber seit Social Media und Influencer eine immer stärkere Rolle in der Werbung für Heranwachsende einnehmen, hat sich das geändert. Laut der Studie „Influencer Marketing in Unternehmen 2021“, die im Auftrag des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) durchgeführt wurde, haben 77 Prozent der Unternehmen ihr Budget für Influencer-Marketing im Vergleich zum Vorjahr deutlich erhöht. 14 Prozent geben an, mehr als 100.000 Euro Budget pro Jahr dafür einzuplanen, 11 Prozent sogar über 250.000 Euro. Bis 2024 wird eine jährliche Wachstumsrate von 14,8 Prozent prognostiziert. Diese Form der Werbung hätte eine bessere Wirkung auf die Zielgruppe und höhere Authentizität, heißt es in der Studie. Eine andere Studie des Verbands von 2019 zeigt: Je jünger die Nutzer sind, desto häufiger konsumieren sie Influencer-Inhalte. Obwohl die Zielgruppe wenig Kaufkraft hat, ist die Markenprägung für die Werbetreibenden der interessante Faktor. Je jünger die User sind, desto weniger stören sie sich daran: 56 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gaben an, sich nicht an Werbeinhalten zu stören, wenn sie kenntlich gemacht werden.
Mehr Werbung als vor der Digitalisierung
Für die Studie wurden Nutzer ab 16 befragt, Forschung mit Jüngeren gibt es nicht. „Zum Kinder- und Jugendlichenmarketing gibt es in der deutschen Marketingforschung kaum Studien“, erklärt Peter Kenning, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf. Er gilt als Begründer der Neuroökonomik. Deren Ziel: Ökonomisches Verhalten mit neurowissenschaftlichen Methoden zu erforschen. „Unternehmen, deren Zielgruppen Kinder und Jugendliche sind, werden diese Gruppe im Rahmen der betrieblichen Marktforschung zwar im Blick haben, diese Studien erfüllen aber selten wissenschaftliche Standards.“
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Kinder und Jugendliche sind mehr Werbebotschaften ausgesetzt, als es vor der Digitalisierung der Fall war. Und diese Werbung funktioniert anders. Sie besinnt sich der Regel, nach der Konsumverhalten bei Minderjährigen beeinflusst wird: Entweder durch Vorleben der Eltern oder durch das soziale Umfeld. Während die Eltern rational-praktisch beeinflussen, geschieht die Prägung durch das soziale Umfeld auf emotional-expressiver Ebene. Genau dieser bedienen sich die Influencer. „Im Gegensatz zum Fernsehen zum Beispiel, wo sich der Werbeblock deutlich vom Rest des Programms absetzt, nimmt man den Unterschied bei von Influencern transportierter Werbung nicht wirklich wahr“, erklärt Kenning. „Es gibt nur ganz kleine Kennzeichnungselemente. Die Influencerin agiert wie eine gute Freundin, der man vertraut und durch die Interaktionsmöglichkeit können Kaufentscheidungen unmittelbar ausgelöst werden.“
Kiki Aweimer, Macherin von „Kikis Kitchen“, kann davon leben, Influencerin zu sein. 2016 hat die heute 28-Jährige ihren Kanal gegründet, 2019 hat sie sich mit ihrem Mann Hamza selbstständig gemacht, um auch eigene Produkte entwickeln und vertreiben zu können. Ihre GbR beschäftigt 50 Mitarbeiter. Inzwischen kommen in ihren Videos Produkte von Fremdfirmen und viele Eigenprodukte vor.
Man denkt, es sei authentischer
„Anfangs habe ich viele Firmen selbst angeschrieben“, erinnert sich die gebürtige Hernerin. „Dann war es viel Klinkenputzen. Mit steigender Reichweite hat sich das aber komplett geändert. Jetzt lehnen wir viele Kooperationen ab.“ Die Werbung, die durch Influencer gemacht wird, sei authentischer und die richtige Zielgruppe werde direkt erreicht, erklärt sie. Dabei funktioniere jedes Soziale Medium unterschiedlich. Sie produziert unterschiedliche Inhalte für die Kanäle und ist zehn Stunden am Tag an sieben Tagen pro Woche aktiv. „Wäre ich das nicht, würde mich der Algorithmus abstrafen. Wenn ich nicht auf Tiktok wäre, würde ich eine ganze Zielgruppe verpassen.“
Bindet sie ein Produkt in ihre Videos ein, bekommt der Kooperationspartner ein Paket geschnürt: Was wird gezeigt, wie lange, wie oft, was wird dazu gesagt. Hinterher bekommt er eine Statistik: Wie viele Konsumenten haben das Video gesehen und wie lange haben sie zugeschaut. Welche Produkte genau beworben werden, ist nicht ersichtlich. Auf Youtube steht nur klein „Werbung“ rechts oben in der Ecke. „Anders als viele andere arbeite ich nicht nach Drehbuch“, so Aweimer. „Es muss richtig dosiert und authentisch sein.“ Nur jedes vierte ihrer Videos enthalte Werbung. Missachtet sie die Kennzeichnungspflicht, drohen Geldstrafen.
Teenie Rahél ist mehr oder weniger bewusst, dass Influencer Werbung durch die Hintertür transportieren: „Aber das stört mich nicht.“
>>>Wie Werbung auf Kinder wirkt: Marketingprofessor Peter Kenning erklärt
„Schon ab einem Alter von einem Jahr können Kinder die Kaufentscheidungen ihrer Eltern beeinflussen“, weiß der Düsseldorfer Marketingprofessor Peter Kenning. Sie gelten dann als indirekte Konsumenten, so dass Werbung auch schon auf sie zugeschnitten ist. „Mit steigendem Alter nimmt die Reflexionsfähigkeit zu.“
Den Kindern gelingt es dann auch, sich in andere Personen hineinzuversetzen. „Und dies ist die Voraussetzung dafür, dass man die Motive des anderen überhaupt verstehen kann.“ Darüber hinaus gelingt es mit steigendem Alter auch immer besser, die eigenen Impulse zu kontrollieren. Aber auch hier kann man kein pauschales Alter nennen. Beispielsweise hat das Umfeld einen wesentlichen Einfluss auf die Medien- und Werbekompetenz der Heranwachsenden. „Insbesondere die Allgegenwärtigkeit von Werbung in der digitalen Welt erfordert einen fortlaufenden Reflexions- und Lernprozess.“ Dadurch, dass zum Beispiel die Werbung von Influencern auf den ersten Blick den Anschein erweckt, mit guten Freundinnen oder Freunden zu kommunizieren, ist diese Reflexion nicht immer leicht. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang auch von „para-sozialen“ Beziehungen.
Brisant ist, dass das Thema Social-Media-Werbung und Influencer-Marketing und deren Wirkung auf Heranwachsende fast ausschließlich von Unternehmen erforscht wird und kaum von der Wissenschaft. Es gibt, anders als in der Medizin, keine regulierende Instanz, zum Beispiel eine Ethikkommission. Werden Studien zum Thema veröffentlicht, sind Betriebe um einiges schneller mit der Nutzung als der Politikbetrieb damit, regulierend einzugreifen.