Essen. Für seinen neuen Bildband ist Pilot und Fotograf Hans Blossey nachts in die Luft gegangen. Dabei ist der Flug in der Dunkelheit riskanter.
Flüsse verwandeln sich in schwarze Bänder, dafür werden Straßen zu hellen Lichtadern. Nachts sieht die Stadtlandschaft des Reviers ganz anders aus: Der Luftbildfotograf Hans Blossey zeigt sie in seinem neuen Band „Ruhrgebiet bei Nacht von oben“. Im Gespräch mit Maren Schürmann erzählt der 69-Jährige, wie ihn die Dunkelheit beim Fliegen und Fotografieren herausfordert.
Was hat Sie gereizt, nachts auf Luftbild-Jagd zu gehen?
Hans Blossey Es ist zwar mein erstes Buch ausschließlich mit Bildern aus der Nacht, aber ich mache das schon seitdem ich die Nachtflugberechtigung habe, seit 15 Jahren. Es ist etwas Besonderes, nachts zu fliegen, man fliegt viel mehr nach Instrumenten als am Tag, weniger auf Sicht. Ich bleibe zwar unter den Wolken, aber die freie Natur sieht anders aus, die Wälder sind schwarz, die Felder sind schwarz, die Flüsse sind unsichtbar, es sei denn, da fährt ein Schiff. Es ist eine ganz andere Optik und es ist auch eine echte Vertrauenssache mit einem einzigen Motor nachts zu fliegen. Mein eigener Flieger hat in mehr als 40 Jahren noch nie ausgesetzt, aber so ein Motor kann auch mal ausgehen.
Das stelle ich mir tagsüber aber genauso schlimm vor...
Tagsüber würde ich ein Feld suchen, auf dem ich lande. Doch nachts? Selbst wenn der Mond scheinen würde – ich fliege unheimlich gerne bei Vollmond –, könnte ich vielleicht den Acker vom Wald unterscheiden, aber ich würde keine Zäune sehen, keine Hochspannungsmasten, vor allem keine Hochspannungsleitung. Das ist schon ein kalkuliertes Restrisiko.
Also gibt es noch richtig schwarze Ecken? Ich dachte, wir hätten hier ein einziges Lichtermeer.
Das Sauerland ist schon recht duster, im Arnsberger Wald möchtest du nicht verloren gehen. Aber im Pott? Diese hell erleuchtete Stadtlandschaft des Ruhrgebiets ist spannend. Wobei das Ruhrtal auch nur als schwarzes Band zu sehen ist.
Bei Ihren Aufnahmen am Tag erkennt man oft faszinierende Muster, zum Beispiel Häuserreihen, die wie mit dem Lineal gezogen sind. Ergeben sich auch nachts Muster?
Muster, die man tagsüber sieht, sieht man nachts anders betont. Bei einer Bergarbeitersiedlung, ob die jetzt in Oberhausen ist oder in Herne, in Bottrop, sieht man nicht mehr die roten Dächer, aber die beleuchteten Straßen, im Winter auch das Licht in den Wohnungen. Es gibt Muster, aber so eine Bergarbeitersiedlung sieht nachts schon ganz anders aus.
Bevorzugen Sie nachts eine spezielle Flugzeit?
Die meisten Nachtflüge mache ich im Winter, weil im Sommer die Städte nach 22 Uhr, wenn es erst richtig dunkel wird, die Bürgersteige meist hochklappen und auch nicht mehr sonderlich beleuchtet sind. Die große Ausnahme ist natürlich die Extraschicht. Auch schließen die Flughäfen nachts. Doch im Winter wird es um 5, um 6 Uhr dunkel, aber das Leben auf den Straßen ist immer noch voll beleuchtet.
Das stelle ich mir da oben aber auch recht ungemütlich vor.
Das hat so den Charme von einer Cabriofahrt mit 140 Stundenkilometern auf der Autobahn im Winter. Das ist nur die ersten fünf Minuten toll. Ich habe dicke Handschuhe an, vorne habe ich sie abgeschnitten, damit ich die Kamera halten kann. Ich trage eine dicke Pudelmütze, doppelt und dreifach Unterwäsche, ich bin richtig eingemummelt, weil wenn du drei Stunden mit einem offenen Fenster fliegst, dann wird es richtig kalt.
Mussten Sie die Kameraausrüstung erweitern, um nachts fotografieren zu können?
Auf jeden Fall, tagsüber ist eine Blende 5,6 oder eine Blende 8 durchaus nutzbar. Wenn man nachts fotografiert, kann man keine kurzen Belichtungszeiten machen. So viel Licht ist gar nicht da. Wenn man auf der Straße steht und ohne Blitz fotografiert, darf man sich nicht bewegen, sonst ist das Bild sofort verwackelt. Oben bewegen wir uns aber bei mindestens 120 Stundenkilometern, das Flugzeug wackelt. Die ganz modernen Digital-Kameras helfen ungemein, aber ich brauche immer noch ganz ganz lichtstarke Objektive. Anders ist es bei der Drohnenfotografie, die Drohne kann stabil in der Luft stehen. Aber der Drohnenpilot muss halt wissen, was da unten los ist. Ich kann ganz viel Neues entdecken.
In Ihrem Buch sind gleich zwei Justizvollzugsanstalten bei Nacht zu sehen, in Essen und in Gelsenkirchen. Warum?
Die Gefängnisse fallen richtig auf. Das sind echte Leuchtbojen in den Städten, die Insassen haben es immer ordentlich hell. Ich schaue runter und denke: Da magst du nicht tot über dem Zaun hängen. Interessant zu fotografieren sind die JVAs aber allemal. Und von oben sieht es auch gar nicht so schrecklich aus. Vieles ist eine Frage der Distanz, ob es schön ist oder nicht.
Sie sind vor gut 40 Jahren zum Fliegen gekommen. Ich hörte: über einen Seniorenflug?
Ja, aber sehr indirekt (lacht). Das war noch zu der Zeit, als meine Haare bis zum Ellbogen lang waren. Ich war freier Mitarbeiter bei der WAZ, hatte einen Zeitungstermin in Hamm. Da gab es Seniorenfliegen, alle über 80 wurden kostenlos über die Stadt kutschiert. Da habe ich den Piloten gefragt, wie das so ist mit der Fliegerei. In meinem Übermut habe ich das kurze Zeit später gemacht, die sechseinhalbtausend Mark, die ich für meine nächste Weltreise zusammen fotografiert hatte, sind für meinen Flugschein draufgegangen. Und nun freue ich mich jedes Jahr, wenn sie mir die medizinische Flugtauglichkeit wieder bestätigen. Ich denke allerdings nicht, dass ich über 75 noch fliege. Wobei? Es gibt reichlich Piloten, die auch über 80 noch in der Luft sind.
>> Die Flug-Leidenschaft
Hans Blossey aus Essen-Kray, der heute in Hamm lebt, fliegt gewöhnlich mit seinem eigenen Motorsegler Baujahr ‘83 – Typ Hoffmann Dimona H36. Er darf zwar alleine fliegen und zugleich fotografieren, aber er nimmt meist einen zweiten Piloten mit. In der Nacht fliegt er mit einer gecharterten Cessna 172.
Auf dem Flughafen lernte er auch seine Frau kennen. Kürzlich hat er seinen erwachsenen Sohn mal wieder mitgenommen: „Er möchte nun auch seinen Flugschein machen.“ Das neue Buch ist im Klartext-Verlag erschienen: Ruhrgebiet bei Nacht von oben (120 S, 18,95 €).