Essen. Viele Menschen kritisieren sich selbst sehr. Was ruft den inneren Kritiker auf den Plan – und wie hält man die innere Kritik in Schach?

Hand aufs Herz: Wer kennt nicht solche inneren Monologe? „Warum habe ich da nicht dran gedacht? Morgen muss das aber endlich mal klappen!“ Manchmal setzt der innere Kritiker Menschen derart zu, dass sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Redakteurin Maren Schürmann sprach mit Petra Meibert über diesen Gegner in uns. Die Psychologin und Leiterin des „Achtsamkeitsinstituts Ruhr“ in Essen erklärt, wie er entsteht – und was ihn aufhält.

Was ist für Sie ein innerer Kritiker?

Petra Meibert Eine innere Stimme, die, glaube ich, alle oder die meisten von uns kennen. Sie hat einen bewertenden Anteil, richtet sich gegen die eigene Person und sie ist viel mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft beschäftigt. Zum Beispiel: ,Warum hast du das beim Vortrag vergessen?’ Selbst wenn das Publikum begeistert war, kann der innere Kritiker loslegen. Oder auf die Zukunft bezogen: ,Du solltest! Du müsstest!’; ,Pass auf, dass das nicht wieder passiert!’

Es gibt Menschen, die sind verständnisvoll, nachsichtig bei anderen und bei sich selbst wetzen sie die Messer. Warum gehen manche mit sich selbst so hart ins Gericht?

Bei unseren Seminaren zur Achtsamkeit sagen tatsächlich immer wieder Leute: ,Wie ich da mit mir umgehe, das würde ich anderen Menschen nie an den Kopf werfen!’ Vielleicht muss man sich dann auch mal fragen, wo kommt das eigentlich her? Wer ist denn eigentlich dieser innere Kritiker?

Wie lauten die Antworten?

Petra Meibert, die Psychologin und Psychotherapeutin leitet das Achtsamkeitsinstitut in Essen.
Petra Meibert, die Psychologin und Psychotherapeutin leitet das Achtsamkeitsinstitut in Essen. © Jordana Schramm | Jordana Schramm

Es sind ganz häufig Sachen, die wir von unseren Eltern oder anderen uns wichtigen Bezugspersonen übernommen oder durch die Erziehung gelernt haben. Das sind Erwartungen, Bewertungen, die sozusagen in uns drin sind, ohne dass wir das bewusst merken. Und dann werden sie reaktiviert, wenn wir zum Beispiel in einer Situation sind, wo wir vielleicht einen Fehler gemacht haben könnten. Das ist ein Automatismus.

Also wenn die Eltern gesagt haben: ,Das darfst du nicht! Das ist falsch!’ Dann hat man das irgendwann so verinnerlicht, dass sie es gar nicht mehr sagen mussten?

Genau. Wir haben versucht, uns zu schützen. Häufig sind solche Sätze ja verbunden mit Strafe oder der Angst davor: Man darf nicht wütend sein. Oder du musst immer brav sein. Und wenn du das dann nicht bist, dann ist das in der Kindheit ja oft mit Bestrafung einhergegangen, man darf nicht mehr weiterspielen oder wird böse angeguckt. Wenn du ständig Angst hast, bestraft zu werden, dann musst du das als Kind irgendwann verdrängen, weil du damit nicht leben kannst. Und dann werden solche Sätze verinnerlicht. Und die sind auch als Erwachsener in uns drin.

Also spielen auch solche Erwartungen eine Rolle: Ich darf niemandem zur Last fallen! Man muss etwas erreichen im Leben?

So etwas spielt da alles eine Rolle. Und dann versucht man, sich möglichst anzupassen, um anderen zum Beispiel nicht auf die Nerven zu gehen. Letztendlich liegt unter allem ja immer das Bedürfnis, geliebt zu werden, gesehen zu werden, und auch sicher leben zu können.

Und wenn der innere Kritiker es übertreibt? Wie kann sich das auswirken?

Er schwächt uns. Oft merken Menschen den inneren Kritiker gar nicht, sondern die Symptome, wie zum Beispiel ständiges Grübeln, das in eine Depression führen kann, zu einer Angststörung. Es kann sein, dass wir unser Leben nicht mehr richtig leben, dass wir uns sozial immer mehr zurückziehen. Oder wir merken es körperlich, haben ständig Kopf- oder Bauchschmerzen, sind müde. Oder wir haben kein Selbstwertgefühl, trauen uns nichts zu. Oder wir fühlen uns unter Druck, ständig etwas tun zu müssen, wir kommen also nicht mehr zur Ruhe.

Wie bringt man den inneren Kritiker dazu, dass er verstummt?

Dass er verstummt, das ist, glaube ich, unrealistisch. Ich denke, dass man Menschen damit auch nicht hilft, wenn man ihnen vermittelt, es würde darum gehen, dass er verstummt.

Aber man kann ihm Kontra geben?

Ja, aber es ist keine reine Kopfsache. Aus meiner Sicht geht es auch darum, den Körper einzubeziehen. Also wenn ich jetzt diese Stimme in mir habe, die sagt: ,Das war nicht gut genug!’ Dann habe ich ja auch ein Gefühl dazu, vielleicht schäme ich mich oder bin nervös. Und der erste Schritt wäre dann, das wahrzunehmen: Ich bin aufgeregt oder ich habe Bauchschmerzen. Und dann hat das was mit der inneren Haltung zum inneren Kritiker zu tun: „Ich höre dir jetzt mal zu, was willst du mir eigentlich sagen?’ Meine Erfahrung ist, wenn Menschen das üben, dass sie dann auch Antworten kriegen.

Das üben Sie bei der Achtsamkeitsmeditation?

Das ist eine Methode, ja. Wir haben am Anfang ja gesagt, dass der innere Kritiker entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft ist, und ein wichtiges Prinzip bei der Achtsamkeit ist, dass wir erstmal lernen, die Gegenwart wieder mehr wahrzunehmen. Dazu zählt auch, dass ich mich wieder mehr körperlich spüre, meinen Atem, die Füße auf dem Boden oder den Körper im Ganzen. Wenn Menschen das lernen, mehr im Hier und Jetzt zu sein, dann sagen sie oft, wie schön das ist, dass sie sich lebendiger fühlen. Im nächsten Schritt bekommt man mehr Kontakt zu anderen Themen, zu einem Schmerz oder zu Dingen, die nicht so gut sind im Leben, das spüre ich dann auch mehr. Und da kommt der innere Kritiker wieder ins Spiel, der wird einem bewusster.

Warum ist dieses Bewusstwerden so wichtig?

Wenn wir den inneren Kritiker nicht so gut kennen, dann bleibt es bei der automatischen Reaktion, entweder wir glauben ihm zu 100 Prozent, dass wir nicht okay sind, oder wir wenden uns ab und sagen: ,Nee, Quatsch, stimmt nicht!’ Beides führt ja nicht zu einem gesunden Umgang damit, denn der innere Kritiker war uns auch mal hilfreich – und kann es auch heute in Teilen noch sein.

Ich habe bei manchen Menschen allerdings den Eindruck, sie hören gar keine innere Kritik, sondern nur inneres Lob.

Das kann sein (lacht).

Der innere Komplimentemacher ist aber auch nicht immer ein guter Ratgeber?

Nein, sicher nicht, wenn er ausschließlich vorkommt. Solch eine Neigung, immer nur das Gute an sich selbst in den Vordergrund zu stellen, kann auch ein Schutz sein: ,Ich muss immer gut sein. Egal, was ist, ich bin einfach immer gut.’ Und ein Fehler darf gar nicht zugegeben werden, sonst käme doch der innere Kritiker auf den Plan. Es geht meiner Meinung nach um eine gute Balance zwischen dem inneren Kritiker und dem Komplimentemacher. Eine gesunde Selbstreflexion ist ja auch etwas sehr Wertvolles.