Hagen. Die Band Extrabreit aus Hagen melden sich zurück mit einer Hymne auf das Ruhrgebiet. Sänger Kai Havaii (63) über Heimat, Hipster, Hoffnung.

Herr Havaii, die Single „Die Fressen aus dem Pott“ ist eine Hommage an das Ruhrgebiet. Warum erst jetzt?
Havaii
: Vielleicht haben wir erst jetzt diese romantischen Gefühle für den Pott entwickelt. Mir geht es so, wenn ich aus Hamburg runter fahre nach Hagen. Das ist für mich immer ein Stück nach Hause kommen. Ich wohne gerne in Hamburg, aber das Ruhrgebiet ist meine Heimat. Von der Sprache und von der Mentalität her. Wenn ich in Hagen in ein Taxi einsteige und den Slang höre, dann habe ich Heimatgefühle. Es war schön, das in dem Song mal auszudrücken und diese spezielle, unverblümte Art der Menschen dort zu besingen. Mir gefällt das Selbstbewusstsein im Pott und dass die Leute sich nicht leicht einen vormachen lassen.

Ist es wie eine große Liebe zu einer Frau?

Absolut. In jungen Jahren sind wir kreuz und quer durch den Pott gefahren, weil es da unglaublich viel zu erleben gab. Man fuhr nach Dortmund und Bochum zu Konzerten und nach Essen in die legendäre Grugahalle und es gab den Fußball. Ich liebe diese ganze Art bis hin zu Pommes rot-weiß.

Da leben möchten Sie aber nicht? Seit Jahren ist Hamburg ihre Homebase.

Es ist für mich gar nicht ausgeschlossen, dass ich irgendwann wieder in den Pott ziehe. Dort gibt es ganz wunderschöne Ecken. Viele Leute denken beim Ruhrgebiet immer daran, dass da alles grau ist und viele Industrie-Ruinen stehen. Das stimmt nicht. Gerade im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich viel getan. Man muss nur den richtigen Platz finden.

Was ist denn Ihr Lieblingsplatz im Revier?

Es gibt zwei. Der eine ist das BVB-Stadion und dann die Zeche in Bochum. Weil wir da seit 35 Jahren regelmäßig spielen. Diesen Club zelebrieren wir immer wieder gerne.

Alte deutsche Welle: Extrabreit aus Hagen.
Alte deutsche Welle: Extrabreit aus Hagen. © Marianne Klinger

In „Fressen aus dem Pott“ singen Sie „Auf unseren Armen finden sich Worte und Symbole, Pik Ass kommt krass“. Wo kommt das Ruhrgebiet krass?

In seinen eklatanten Problemen. Viele Städte im Pott haben große soziale und finanzielle Probleme. Vor allem im Westen sieht man das ganz deutlich, zum Beispiel in den Duisburger Stadtteilen Marxloh oder Hochfeld, aber auch in der Dortmunder Nordstadt. Ich wünsche mir, dass das in der Zukunft besser wird und bin auch der Meinung, dass der Solidaritätszuschlag nicht nur in den Osten fließen darf, sondern in die Städte im Ruhrgebiet, die es verdammt schwer haben. Die Armut ist da viel größer als woanders.

Was bedeutet Hagen heute für Sie?

Hagen ist meine Heimatstadt und ich bin immer noch gerne da, aber die persönliche Bindung an Orte und Menschen ist bei mir immer loser geworden. Viele Kneipen und Discos, in denen ich früher rumhing, sind nicht mehr da. Aber ich bin immer noch gerne in Hagen, zuletzt war ich für ein Fotoshooting und für den Videodreh zu „Die Fressen aus dem Pott“ dort.

Verbinden Sie eine besonders emotionale Geschichte mit Hagen?

Ich habe 36 Jahre dort verbracht. Da ist liebestechnisch so einiges passiert, ich weiß nicht, wo ich da anfangen soll (lacht).

Im Video fahren Sie mit der Band durch das Ruhrgebiet. Was war das für ein Gefühl?

Das hat Spaß gemacht. Dieser 1967er Plymouth Fury ist sehr geräumig, und das Fahrgefühl kennt man gar nicht mehr. Als der V8-Motor das erste Mal losblubberte, da glänzten unsere Augen. Das war geil und wir fühlten uns in eine Zeit versetzt, als Autos noch richtige Autos waren. Es war ein tolles Gefühl, mit dem Teil durch den Pott zu düsen. An einer Raststätte näherten sich uns Polizisten und wir dachten schon ,Jetzt gibt es Ärger’, aber sie wollten sich einfach den Wagen ansehen, und als sie uns erkannten und dadurch natürlich auch auf unseren Song „Polizisten“ kamen, haben sie Selfies mit uns gemacht.

Gibt es den Traum, mit „Fressen aus dem Pott“ noch mal den richtig großen Hit zu landen, vielleicht als Stadion-Hymne im Dortmunder Stadion?

Klar würden wir uns freuen, wenn der Song toll ankommt und wenn Fußballfans ihn für sich entdecken. Ich hätte nichts dagegen. Aber das Wichtigste ist, dass sich das Album gut verkaufen wird.

Gab es mal ein wildestes Konzert im Ruhrgebiet?

Als wir das erste Mal in der Westfalenhalle in Dortmund spielten. Das war für uns eine Kathedrale. Ich habe da 1979 die Nina-Hagen-Band gesehen und hätte mir nicht vorstellen können, dass ich dort drei Jahre später vor 15.000 Leuten auf der Bühne stehen würde. Da lief es mir kalt den Rücken runter. Ich hatte damals als Zuschauer nicht mal diesen Traum Popstar zu werden, und deshalb kam mir das so surreal vor.

Hagen machte Sie zu einem Popstar. Wie hat sich die Stadt verändert für Sie?
Hagen gehört zu den Städten, die es wirklich schwer haben. Im Song „Donnerstag“ geht es darum. „Da, wo ich geboren bin, zieht es keinen Hipster hin“. Es steckt eine tragische Entwicklung in dieser Stadt. Als ich dort aufwuchs, hat Hagen geblüht, war sogar ziemlich wohlhabend. Die Stadt hat den Strukturwandel nicht hingekriegt. Das Szene-Viertel, wo für uns alles begann, ist komplett verwahrlost. Aber wir proben immer noch in dem gleichen Raum – seit 40 Jahren! Darauf sind wir tatsächlich ein bisschen stolz.

Auf EX!

Das neue Album heißt „AUF EX!“. Ist das eine Aufforderung zum Trinken? Kai Havaii: „Nein. Das mit dem Saufen ist die erste Assoziation genauso wie bei unserem Namen, aber ich muss alle enttäuschen, die denken, die Platte sei eine Compilation aus lauter Saufliedern. Es ist kein einziges drauf. Es ist einfach eine Spielerei mit unserem Namen, ganz catchy und eine Aufforderung, sich das Album in einem Zug rein zu ziehen.“

Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG