Wesel. Kann das weg? Oder kann es einen neuen Platz finden? Kunst unter freiem Himmel ist selten in Stein gemeißelt. Ein Besuch in Wesel.

Es zeugt schon von einer gewissen Selbstironie, wenn eine Stadt, die weithin bekannt ist aufgrund eines Schmährufs – „Wer ist der Bürgermeister von Wesel? –, sich ausgerechnet mit dem Esel schmückt. Und das angeblich 111 Mal. „Der ist ja keine Kunst“, sagt Claudia Bongers. Der Esel sei aus Kunststoff – und ein witziger Marketinggag der hiesigen Firmen.

Ein Esel darf auf der Tour trotzdem nicht fehlen, so die Kunsthistorikerin und Geschäftsführerin des Niederrheinischen Kunstvereins: der Bronze-Esel von Bonifatius Stirnberg am Berliner-Tor-Platz. Man kann sein Maul öffnen und schließen und seine Ohren drehen. Auch der Schwanz des Tieres lässt sich bewegen. Handelt es sich gar um einen Goldesel? „Einmal ziehen, dann kommt vorne was raus“, scherzt die 49-Jährige.

„Zwei gleich groß“ (u.r.) von Edgar Gutbub verweist auf die leuchtende Vergangenheit der Hansestadt Wesel.
„Zwei gleich groß“ (u.r.) von Edgar Gutbub verweist auf die leuchtende Vergangenheit der Hansestadt Wesel. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Bei vielen Werken, die vor oder an den Gebäuden in Wesel zu sehen sind, handele es sich um Prozentkunst – Werke, die zusammen mit neuen öffentlichen Gebäuden entstanden sind, als die Vorgabe „Kunst am Bau“ forderte, einen gewissen Prozentsatz der Bausumme für die Kunst zu verwenden. Dazu zählt der Brunnen von Christian Megert vor dem Gebäude der ehemaligen Landeszentralbank an der Kreuzstraße von 1984. Der Schweizer, der sich auch im Südpark in Düsseldorf mit einem Brunnen verewigte, zeigt hier drei begehbare Türme aus anthrazitfarbenen Lava-Basalt-Platten.

Eigentlich gehört zum Kunsterlebnis eine Spiegelung im Wasser. Aber der Brunnen ist trocken. Und das nicht erst, seitdem wegen Corona Ansammlungen an solchen Treffpunkten vermieden werden sollen. „Man hat Angst, dass da Kinder reinfallen“, so Bongers.

Bei Kunst im öffentlichen Raum gebe es immer ein Rechtfertigungsdilemma, sagt Dorothea Störmer. Stets müssten folgende Fragen beantwortet werden: „Gefällt es der Mehrheit der Bevölkerung? Erfüllt es einen Zweck? Wie teuer war es und was hätte man für das Geld anderes machen können?“, so die Vorsitzende des Niederrheinischen Kunstvereins. Das führe dazu, dass es nur selten spektakuläre Werke im öffentlichen Raum gebe, obwohl genau diese als kulturell bereichernd wahrgenommen würden.

Kunstwerk entfernt

Die 71-Jährige bedauert es, dass Kunstwerke verschwinden, weil sie nicht gepflegt oder Plätze umgestaltet oder Häuser abgerissen werden. Erst kürzlich wurde das Werk „Vesalia hospitalis“ von Victoria Bell, das die Gastfreundlichkeit von Wesel symbolisieren sollte, auf dem Leyens-Platz entfernt. Die hölzerne Schutzhütte von 1992 war marode.

„Eine super komponierte Arbeit. Sie muss erhalten bleiben“, sagt Dorothea Störmer, Vorsitzende des Niederrheinischen Kunstvereins, über die Keramik-Arbeit an der Niederrheinhalle vom Künstlerpaar Tuttaß.
„Eine super komponierte Arbeit. Sie muss erhalten bleiben“, sagt Dorothea Störmer, Vorsitzende des Niederrheinischen Kunstvereins, über die Keramik-Arbeit an der Niederrheinhalle vom Künstlerpaar Tuttaß. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Und was wird aus dem riesigen Keramikbild von Margarete und Heinrich Tuttaß aus Ratingen, das die Außenwand der sanierungsbedürftigen Niederrheinhalle aus den 1950ern schmückt? Kreise, Quadrate und Rechtecke – in Grau, Schwarz, Orange, Gelb – sind ineinander verschachtelt. „Eine super komponierte Arbeit“, schwärmt Dorothea Störmer. „Sie muss erhalten bleiben!“

„Die Vögel sind weg“, ruft Claudia Bongers entsetzt, als sie aus dem Wagen an der Ritterstraße steigt. Wird das nächste Werk – „Aufsteigende Vögel“ von Hans Peter Feddersen von 1956 – auch verschwinden? Nein! Wie später zu erfahren ist: Die Kraniche sind lediglich ausgeflogen. Sie werden zurzeit restauriert und landen bald wieder an der Mauer des Arbeitsgerichts, um wie gewohnt das Aufwärtsstreben zu symbolisieren. Aufatmen!

Trost spendet die Schutzmantelmadonna von Hubert Teschlade nicht nur den Kranken im Marienhospital. Auf dem Vorplatz der Klinik hat sie seit 1981 ihren bronzenen Mantel ausgebreitet, um darunter Christus’ Leben zu zeigen. Die Neugestaltung des Platzes ist ein Beispiel dafür, wie behutsam man Kunst zwischen neuen Steinen und Pflanzen wirken lassen kann, so die beiden Expertinnen.

Die glorreiche Vergangenheit als Hansestadt

„Die Flötenspielerinnen“ begrüßen die Schüler der Gesamtschule an der Martinistraße. Die Bronzeskulptur von 1966 hat Hans van Breek geschaffen, der eigentlich Hans Breker hieß. Da sein älterer Bruder Arno Breker war, der als der Nazi-Bildhauer galt, sollte eine Verwechslung vermieden werden – für seinen Ruf 1945 an die Hochschule für Baukunst in Weimar wurde daher eine Namensänderung vorausgesetzt.

Das Keramik-Wandbild des Künstlerpaars Tuttaß an der sanierungsbedürftigen Niederrheinhalle.
Das Keramik-Wandbild des Künstlerpaars Tuttaß an der sanierungsbedürftigen Niederrheinhalle. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

„Zwei gleich groß“ heißt das Werk, das zum 750. Geburtstag der Stadt 1990 am Bahnhof aufgestellt wurde. Auf einer Art Podest hat Edgar Gutbub – von der Längsseite her betrachtet – zwei Dreiecke zu einem Parallelogramm zusammengeschweißt. Auf der einen Seite zeigt die Öffnung der Stahlkon­struktion den Farbton Gelb, „für die strahlende Vergangenheit Wesels als Hansestadt“, so Störmer. Auf der anderen Seite ist die Öffnung blau. „Man schaut ins Dunkel – die Zukunft ist ungewiss.“

Auf der kleinen Rundfahrt sind uns einige Kunststoff-Esel begegnet. Dabei wäre ein anderes Tier genauso passend gewesen für die Stadt, die übrigens von der Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (SPD) regiert wird: Das Wiesel ist gleich dreimal im Stadtwappen zu sehen. Denn Wesel bedeutete im Niederdeutschen nichts anderes als „Wiesel“.