Essen. Am 28. September 1990 brachte Nintendo den Game Boy in Deutschland auf den Markt. Sein „Ping“ ist bis heute ikonisch. Ein persönlicher Rückblick.
Es ist der September 1990. Der Wind of Change hat in den vergangenen zwölf Monaten Deutschland ordentlich durchgepustet. Die Wiedervereinigung ist praktisch besiegelt. Mitten in dieser gesamtdeutschen Aufbruchsstimmung erscheint am 28. September ein Gerät, das bis heute Kult-Status genießt: der Game Boy von Nintendo. Ich (Jahrgang 1980) muss gestehen, dass mir die Bedeutung von Genscher auf dem Prager Botschaftsbalkon erst mehrere Jahre später bewusst geworden ist, die Wichtigkeit einer neuen Spielekonsole – zumal noch einer transportablen – erschloss sich mir hingegen sofort. Auf den ersten Blick war der Game Boy eher unscheinbar: ein kleiner grauer Kasten mit abgerundeten Ecken, zwei magentafarbenen Knöpfen und einem für heutige Verhältnisse winzigem Display, das ganze vier unterschiedliche Grautöne darstellen konnte.
Die erste Begegnung mit dem Game Boy: „Darf ich auch mal?“
Dass der Game Boy bereits mehr als ein Jahr vorher in Japan und den USA veröffentlicht wurde, konnte ich in Ermangelung von Social Media oder gar Internet nicht wissen. Man möge sich den WWW-Aufschrei heutzutage vorstellen, wenn ein Hersteller einen beträchtlichen Teil seiner Kundschaft so lange warten ließe. Für mich dauerte der erste Kontakt mit dem Game Boy erfreulicherweise nicht lang. Der Sohn von Freunden meiner Eltern hatte das Glück, ein paar Tage nach dem Marktstart Geburtstag zu haben. „Darf ich auch mal?“, fragte ich ihn. Vermutlich leicht widerwillig übergab er mir seine neueste Errungenschaft.
Ich legte den Schalter oben um, und der mittlerweile ikonische Ping-Ton erklang. Super Mario Land startete. Die Jump’n‘Run-Reihe hatte ich bereits auf dem NES verschlungen, doch jetzt war es möglich, das fernab des Fernsehers zu erleben, der meines Erachtens ohnehin viel zu häufig von meinen Eltern blockiert wurde. Ein eigener Game Boy würde langen Autofahrten und dem obligatorischen Sonntagsbesuch bei Oma und Opa den Schrecken nehmen. Dass Mario statt rot jetzt grau war, tat dem Spielspaß keinen Abbruch.
Natürlich wusste ich spätestens seit diesem Aha-Erlebnis, was auf meinem Wunschzettel für meinen Geburtstag und Weihnachten stehen wird. Normalerweise habe ich mich immer geärgert, dass beide Ereignisse nur wenige Tage auseinanderliegen, in diesem Jahr war es mir aber äußerst recht. Denn natürlich musste ich neben dem Game Boy (inklusive Tetris) auch Super Mario, Golf und die Lupe für den Bildschirm mit Beleuchtung haben.
Denn Nintendos erste Konsole war auch ein Vorreiter in Sachen Personalisierung. Spätere Varianten sind in allen möglichen Farben erschienen und an optionalem Zubehör herrschte kein Mangel: Neben der schon erwähnten Lupe gab es noch externe Lautsprecher, Akkupacks, Aufsätze für das Steuerkreuz, sogar eine Digitalkamera mit einem Mini-Drucker bringt Nintendo heraus. Voll ausgestattet wurde aus dem niedlichen Handheld ein unhandliches Monster. Ein Telefonmodul gab es allerdings nicht, sonst wäre der Game Boy wohl das erste Smartphone gewesen.
30 Jahre Game Boy: Tetris war nur der Anfang
Dass die Handheld-Konsole aber durchaus einen spürbaren Einfluss auf spätere Trends wie Gaming mit dem Handy hatte, ist unübersehbar. Vor allem Tetris, das erst kürzlich von Minecraft vom Thron des am meisten verkauften Videospiels aller Zeiten gestoßen wurde, hat dazu beigetragen: So sagten mir damals einige meiner Freunde durchaus frustriert, dass sie den Highscore ihrer Mutter nicht knacken konnten, obwohl diese vor dem Game Boy keinerlei Berührungspunkte mit Videospielen hatten. Das Spiel, dessen Melodie ich immer noch summe, wenn ich versuche, die Wocheneinkäufe möglichst platzsparend im Kühlschrank unterzubringen, hat entscheidend mit dazu beigetragen, Videospiele aus der Nische der Enthusiasten herauszuholen.
Wenn man will, kann man hier erneut die Brücke zum Ende der DDR schlagen und den Game Boy als Geburtsstunde der Demokratisierung des Videospielens betrachten: Erschwinglich (der Einführungspreis betrug 169 DM), portabel, flexibel und nicht übermäßig komplex. Ein Steuerkreuz, A- und B-Knopf, Start und Select – mehr brauchte es nicht. Dabei gab es durchaus Titel mit beträchtlicher Spieltiefe: The Legend of Zelda – Link’s Awakening, Castlevania II und Final Fantasy Adventure erschufen Spielewelten auf dem Game Boy, die den technischen Limitierungen trotzten.
Als bekennender Nerd hatte ich quasi zwangsläufig auch alle Game-Boy-Nachfolger (und das waren eine Menge): Game Boy Color, Advance, SP, DS, 3DS, 3DS XL. Doch keine dieser Konsolen hat es geschafft, die Begeisterung bei mir zu erwecken,wie es der Ur-Game-Boy tat. Dennoch: Sollte Nintendo sich dazu entschließen, eine Neuauflage des Game Boys auf den Markt zu bringen (wie sie es beim NES und dem Super NES getan haben), so wäre ich gewiss eines der ersten Konsumopfer, die zuschlagen werden. Auch wenn der Start-Ping nicht die gleiche Magie haben wird wie vor 30 Jahren.
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