Essen. Menschen sind fasziniert von der Frage, wie die Zukunft aussehen wird. Doch wie kommt man zu belastbaren Antworten? So arbeiten Zukunftsforscher.
Im zweiten Teil von „Zurück in die Zukunft“ reisen Marty McFly und Doc Brown mit einem silbernen DeLorean-Coupé und einer eigenartigen Maschine namens Fluxkompensator vom Jahr 1989 ins Jahr 2015. Dort lernen die beiden Touristen aus der Vergangenheit bald eine Reihe praktischer Erfindungen kennen: Fliegende Skateboards, sich automatisch zubindende Turnschuhe und großformatige Bildschirme, mit denen die Menschen nur noch per Videotelefonie fernkommunizieren. Hunde werden von Robotern Gassi geführt und wird jemand von einem Regenschauer durchnässt, föhnt sich dessen Kleidung in Sekundenschnelle selbstständig trocken.
Fans der Science Fiction-Komödie fieberten dem 21. Oktober 2015 – dem Datum, das McFly und Brown im Film auf ihrer Zeitmaschine einstellen – viele Jahre entgegen als gelte es den Beweis für die prophetischen Fähigkeiten von Regisseur Robert Zemeckis zu erbringen. Manch einer mag noch am Tag vorher gehofft haben, dass es mit den fliegenden Skateboards rechtzeitig klappen würde. Doch als es soweit war, wurde klar: Zemeckis lag mit seinen Vorhersagen ungefähr so richtig wie der aktuelle Wetterbericht bei der Regenwahrscheinlichkeit in zwei Monaten.
Kaffeesatz oder Tarotkarten lesen? Es gibt auch seriöse Quellen für Zukunftsprognosen
Die Zukunft hat die Menschen schon immer mit großer Ungeduld erfüllt. Was darin passieren könnte, lassen sie sich nur allzu gern schon vorher erzählen. Science Fiction, Tarotkarten oder der übrig gebliebene Kaffeesatz waren dafür meist allerdings nicht die treffsichersten Quellen. Tatsächlich lässt sich jedoch über noch nicht Geschehenes auch in seriöser Weise sprechen – zumindest behaupten das jene Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen.
Zu ihnen gehört der 33-jährige Wahl-Leipziger Kai Gondlach. Nach seinem Soziologiestudium sattelte Gondlach einen Master im Fach Zukunftswissenschaft obendrauf.
Vor ein paar Jahren hat er sich selbstständig gemacht und hält, meist auf Anfrage von Unternehmen, Vorträge über das, was die Menschheit seinen Analysen nach in den kommenden Jahren erwartet. Und das sind weniger Gassi-Roboter oder fliegende Skateboards.
Zukunftsforscher sagen kostenlosen Nahverkehr voraus
Stattdessen befasste er sich 2013 mit dem Thema „kostenloser Nahverkehr“ und analysierte, dass dieser in Europa immer mehr zur Norm werden würde.
Wie Gondlach mit einer Spur Genugtuung in der Stimme betont, weisen inzwischen viele lokale Entwicklungen, zuletzt in Luxemburg und im nordrhein-westfälischen Städtchen Monheim, darauf hin, dass er richtig lag.
Wie er seine Vorhersagen getroffen habe? „Unter anderem mit der sogenannten Delphi-Methode“, erklärt der Wissenschaftler, die nach dem Orakel aus der griechischen Mythologie benannt sei. Immerhin: Gondlach befragte nicht jenes sagenumwobene Flügelwesen aus Stein, sondern eine ganze Reihe von Experten, Statistiken und Studien.
Futurologie sollte im Krieg den Feind entlarven
Die Futurologie als eine noch recht junge Wissenschaft entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in den Vereinigten Staaten. Damals war ihr Hauptanliegen zunächst, das Verhalten des Feindes – aus Sicht der USA war das Russland – vorherzusagen.
Zukunftsforscher reklamieren für sich, mit einem nachprüfbaren wissenschaftlichen Instrumentarium zu arbeiten. Dazu gehört neben Medienbeobachtung und Expertenbefragungen auch akribische Datenanalysen.
Weltweite Aufmerksamkeit erlangte etwa der Statistiker Nate Silver, der bei der US-Präsidentschaftswahl 2012 die Gewinner aller Bundesstaaten korrekt prophezeite. Seine Methode war dabei bestechend simpel: Er tat nichts weiter als die Durchschnittswerte der wichtigsten Umfragen zu errechnen. Allerdings: Bei der US-Wahl 2016 hatte dann selbst Silver nicht damit gerechnet, dass Donald Trump das Rennen machen würde.
Wie sieht unsere Gesellschaft in Zukunft aus?
Doch viel häufiger geht es in den Analysen der Zukunftsforscher nicht um exakte Vorhersagen, sondern um gesellschaftliche Strömungen. Werden die Gräben in der Politik durch wachsenden Populismus immer größer? Wie werden digitale Kommunikationsarten unseren Alltag in den kommenden 20 Jahren verändern? Was bedeutet unser wachsendes Umweltbewusstsein für die Zukunft des Tourismus?
„Teilweise beruhen die Szenarien, die wir daraus entwerfen, natürlich auf Bauchgefühl“, so Gondlach. Anders als die Trendforschung jedoch befasse sich die Zukunftsforschung eben nicht nur damit, ob in den nächsten Jahren mehr Handys gekauft werden oder wir uns zunehmend vegetarisch ernähren.
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„Es geht auch darum, mit welcher Perspektive man an diese Entwicklungen herangehen und was sich daraus Positives entwickeln kann.“ Im Kern sei die Zukunftswissenschaft eine optimistische Forschungsrichtung, die in jeder Situation einen konstruktiven Ansatz verfolge, so Gondlach.
Die Corona-Krise wundert Zukunftsforscher nicht
Das gilt insbesondere für plötzliche Ausnahmeereignisse wie etwa die Corona-Pandemie. Die kam übrigens nicht ganz so unvorhergesehen, wie manche meinen, sagt die Berliner Zukunftswissenschaftlerin Aileen Moeck. „Eine Pandemie gilt in unserer Disziplin schon lange als eine sogenannte Wildcard“, so die 29-Jährige. Damit bezeichnet die Zukunftswissenschaft Ereignisse mit großem Einfluss, die eigentlich sehr unwahrscheinlich sind, aber eben dennoch eintreten können – so wie ein Asteroideneinschlag, ein weitreichender Stromausfall oder eben eine weltweite Seuche.
Aus solchen Ereignissen entstehe ein „Zukunftsbeben“, wie Moeck es nennt. Das hätten zuletzt etwa die Terroranschläge des 11. September 2001 oder das Reaktorunglück in Tschernobyl 1986 ausgelöst. „Damit ist gemeint, dass solche Ereignisse plötzlich alles in Frage stellen, was wir vorher für möglich gehalten haben.“
Ebenso wie Aileen Moeck war auch Kai Gondlach von der Pandemie laut eigener Aussage nicht wirklich überrascht. „Ein sehr ähnliches Szenario wie es jetzt durch Corona Wirklichkeit geworden ist, wurde bereits im Jahr 2013 vom Robert-Koch-Institut entworfen und sogar auf dessen offizieller Webseite veröffentlicht“, sagt er.
Menschen können durch die Pandemie krisenfester werden
„Erst im vergangenen Jahr habe ich vor Mitarbeitern eines Pharmaunternehmens einen Vortrag darüber gehalten.“ Ernst genommen haben das Szenario allerdings auch dort wohl die wenigsten.
Aileen Moeck sieht – ganz im Einklang mit dem Optimismus, der ihrer Wissenschaftsdisziplin innewohnt – in Ereignissen wie Corona sogar Potential für den Menschen, langfristig krisenfester zu werden. „Wer gelernt hat, mit komplexen und unsicheren Situationen umzugehen, kann seine Zukunft selbstbestimmter gestalten“, so Moeck.
Schüler denken über Berufe nach, die bald wichtig sind
Mit dem Bildungskollektiv „Die Zukunftsbauer“, das sich aus Pädagogen, Designern und Zukunftsforschern zusammensetzt, bietet Moeck regelmäßig Termine an Schulen an, bei denen Kinder und Jugendliche sich über Gestaltungsideen für die Zukunft austauschen können.
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„Wir überlegen dann zum Beispiel, welche Berufe wir im Jahr 2050 brauchen könnten, die wir heute noch nicht kennen“, erzählt Moeck. „Zuletzt hatten wir unter anderem einen Sauerstoffproduzenten, einen Hologrammarchitekten und einen Klimafarmer im Angebot.“ Es gehe bei diesen Projekten vor allem darum, den Schülern eine positive Haltung zum Thema Zukunft zu vermitteln, sagt die Forscherin.
Ein bisschen klingt Moeck wie ein Motivationscoach, wenn sie sagt, man müsse die Menschen „mit Zukunftsszenarien begeistern“. Aber womöglich fehlt auch für das fliegende Skateboard bislang nur der entscheidende Funken Begeisterung. Was man dem Regisseur Robert Zemeckis übrigens zugutehalten muss: Im Jahr 2015 brachte ein bekannter Sporthersteller tatsächlich Turnschuhe auf den Markt, die sich über eine App ansteuern und per Knopfdruck automatisch schließen lassen. Bisher trägt die noch kaum jemand – aber vielleicht ja in 20 Jahren.