Wachtendonk. Der Naturverbund will es auf seinem „schonenden Schlachthof“ anders machen als Tönnies und Co. Für sensible Gemüter ist aber auch das nichts.
Können Sie sich vorstellen, ein Tier zu töten? Eine unbequeme Frage. Für Bruno Jöbkes (52) ist es das erste, was er von neuen Mitarbeitern wissen will. Es ist Mittwochmorgen, 6 Uhr. Wir befinden uns im Produktionsbetrieb des Schlachthofes Thönes in Wachtendonk. Jöbkes, studierter Geograph, hat ins Fleischgeschäft eingeheiratet und ist heute stellvertretender Geschäftsleiter des Naturverbundes, der den Schlachthof betreibt.
„Schonende Schlachtung“ hat sich die Inhaberfamilie Thönes – die ihren Namen aufgrund von akuter Verwechslungsgefahr schon von den Firmen-Lkw entfernt hat – auf die Fahnen geschrieben: Kurze Transportwege, stallgruppengemäße Warteställe, mindestens sechs Stunden Eingewöhnungszeit. Man will es anders machen als in Großschlachtereien wie Tönnies oder Westfleisch. „Totgestreichelt“ werden die Tiere aber auch hier nicht.
„Die Tiere geben den Takt vor, nicht wir“
200 Schweine sollen an diesem Morgen geschlachtet werden. Ein strenger Stallgeruch liegt in der Luft – die Art von Geruch, den man den ganzen Tag nicht mehr aus der Nase bekommt. Die Tiere wirken ruhig, einige von ihnen schlafen noch. Ein Mitarbeiter läuft hinter einem nach dem anderen her, um sie in den Tunnel zur Betäubungsfalle zu bewegen. „Ganz wichtig ist es, dass die Schweine alleine zur Betäubung gehen und nicht geschoben oder mit Elektrotreibern getrieben werden“, erklärt Jöbkes mit ruhiger Stimme. „Die Tiere geben den Takt vor, nicht wir.“
Ein paar Meter weiter steht Schlachter Grzegorz Szmit mit einer Elektrozange. „Für mich ist das ein ganz normaler Job“, wird der 38-Jährige aus Polen später sagen. Ein Quieken, ein Sirren des pulsierenden Stroms – und das Schwein empfindet nichts mehr. Weil der Stromstoß schneller ist als der Schmerzimpuls im Nerv, habe es keine Schmerzen, bevor es das Bewusstsein verliert. Dann sticht Szmit mit einem langen Messer präzise in die Schlagader, Blut quillt aus dem Hals. An dem Blutverlust wird das Schwein sterben. Was nach einem schnellen Handgriff aussieht, erfordert viel Übung, Routine – und ein ruhiges Temperament. Manche sagen: Jeder, der Fleisch isst, sollte auch in der Lage sein, ein Tier zu töten. „Das ist Quatsch“, sagt dagegen Jöbkes. „Diesen Job kann und sollte nicht jeder machen.“
In Großschlachtereien wird meist CO2 zur Betäubung eingesetzt
Zuzusehen wie ein Tier auf diese Weise stirbt, das ist schwer. Und doch ist es kein Vergleich dazu, was andernorts in Schlachthöfen passiert. So ist die in Großbetrieben am häufigsten eingesetzte Betäubungsmethode für Schweine Kohlendioxid – das geht am schnellsten und ist am günstigsten. Doch bis die Tiere das Bewusstsein verlieren, haben sie bis zu 30 Sekunden Schmerzen und das Gefühl zu ersticken.
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Ist das Schwein einmal tot, wird es auf einem Fließband weitertransportiert und anschließend aufgehängt. Jeder der 13 an diesem Morgen eingesetzten Mitarbeiter erfüllt mit ruhigen Handgriffen seine Aufgabe – das Schwein mit einer Säge in zwei Hälften zerteilen, Rückenmark und Gehirn herausschneiden, Darmpaket entfernen, Innereien herausnehmen, die weiterverwertet werden. Fließbandarbeit ist das schon, doch geht es dabei relativ entspannt zu. Das ist schlicht möglich, weil es die geringere Menge der verarbeiteten Tiere zulässt. 600 Schweine werden in Wachtendonk pro Woche geschlachtet. Bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind es bis zu 30.000 am Tag.
Auch der Naturverbund ist inzwischen auf Arbeitskräfte aus Osteuropa angewiesen
Wie es auf anderen Schlachthöfen zugeht, hat Patrick Moltrassi erlebt. Der 34-Jährige steht nun mit einem Fleischermesser in der Kühlhalle und schneidet Fleischstücke von Hand zu, nachdem er am frühen Morgen die Augen und Ohren der Tiere entfernt hat. Beim Zerteilen des Fleisches ist sein Gesicht so entspannt wie das eines Konditors, der Kuchen schneidet. „Bei meinem letzten Arbeitgeber ging alles auf Zeit. Ich stand sechs bis acht Stunden am Fließband und war nach der Arbeit todmüde“, erinnert er sich. Nun gehe es ihm besser – kein Stress, kein Zeitdruck.
Wie die meisten anderen ist auch die Schlachterei Thönes mittlerweile auf Arbeitskräfte aus Osteuropa angewiesen. Jöbkes versichert jedoch: „Alle Mitarbeiter sind hier fest angestellt. Sie wohnen nicht in Unterkünften, sondern sind mit ihren Familien in Häuser gezogen.“
Bio-Fleisch garantiert keine fairen Arbeitsbedingungen auf dem Schlachthof
Dass diese Bedingungen den Verbraucher mehr kosten, liegt auf der Hand. Wie viel mehr, das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Kommt das Tier von einem Naturverbund-Landwirt und wird von einem traditionellen Metzgereibetrieb weiterverarbeitet, „dann können es bis zu 20 Prozent mehr sein“, sagt Jöbkes.
Doch wie kann man als Endverbraucher überhaupt nachvollziehen, ob Mensch und Tier auf dem Schlachthof würdig behandelt werden? Wer glaubt, mit dem Kauf von Bio-Fleisch seien eine „humane“ Schlachtung und faire Arbeitsbedingungen garantiert, der irrt. „Bio-Landwirte können bei der Schlachtung auch nur auf die bestehende Infrastruktur zurückgreifen“, erklärt Jöbkes. Kleine Betriebe wie seinen gebe es eben nur noch wenige. So kommt es, dass auch das Leben vieler Biotiere in Großschlachtereien endet – etwa bei Tönnies.
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Ein weiteres Problem: „Die Bedingungen der Tierhaltung sind aufgrund der erforderlichen Kennzeichnung für Konsumenten gut zu identifizieren. Die Schlachtung dagegen ist meistens eine Blackbox“, so Jöbkes. Er rät deshalb: „Am besten einfach beim Metzger oder an der Supermarkttheke nachfragen, wo das Fleisch herkommt.“