Essen. Vorm Urlaub stauen sich die Arbeitsberge? Und danach geht’s mit Vollgas weiter? Das muss nicht sein. Wir wissen, wie man Erholungskiller meidet.

Plötzlich und vermeintlich unerwartet steht wieder der Urlaub vor der Türe, dabei sind die Arbeitsstapel noch so hoch. Eigentlich möchte man am liebsten reinen Schreibtisch machen, um unbeschwert verreisen zu können. Warum der Stress vor den Ferien oft gar nicht notwendig ist, wie man sich entlastet und im Urlaub zur inneren Ruhe findet, hat uns Wirtschaftspsychologin Jolien Baumbach (25) von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg verraten.

Warum meinen wir, vor dem Urlaub immer noch alles erledigen zu müssen? Manchmal sogar Dinge, die eigentlich Zeit bis nach dem Urlaub hätten?

Das ist ein Problem, das zwei Teile hat. Wir haben an diesen Urlaub total hohe Erwartungen. Wir denken: Jetzt habe ich Zeit, jetzt kann ich all die Dinge machen, die ich in den Arbeitswochen nicht schaffe. Das löst Emotionen in uns aus, wir glauben: Es ist unheimlich wichtig, dass dieser Urlaub gut wird. Wir haben das Gefühl, die unerledigten Aufgaben auf dem Schreibtisch könnten das Erlebnis trüben. Wir glauben, die Erwartungen können wir nicht erfüllen, wenn wir nicht vorher alle Aufgaben abarbeiten, sogar die, die eigentlich gar nicht notwendig wären. Wenn das passiert, starten wir mit einem enorm hohen Stresslevel in den Urlaub.

Wie kann ich da eine Grenze ziehen? Wie entscheide ich, was auch bis nach dem Urlaub warten kann?

Wirtschaftspsychologin und Urlaubsexpertin Joline Baumbach.
Wirtschaftspsychologin und Urlaubsexpertin Joline Baumbach. © Privat | Privat

Was uns gut helfen kann, uns von den Aufgaben zu distanzieren, ist eine To-do-Liste zu schreiben. Man muss dabei auch aufschreiben, welche To-dos man erst nach dem Urlaub machen muss – und wie es damit weitergeht. So dass man alles strukturiert und bewusst bestimmte Aufgaben unerledigt lässt. Psychologisch verspüre ich dann eine Erleichterung, die Aufgaben sind aus dem Kopf und auf die To-do-Liste gewandert. Dadurch reduziert sich mein Stresslevel.

Trotz der sich oft ankündigenden Torschlusspanik?

Was super wichtig ist: dass man nicht versucht, alle Sachen auf den letzten Drücker zu machen! Auch wenn’s manchmal schwerfällt. Man sollte versuchen, schon mal ein paar Tage vor dem Urlaub das Stresslevel herunterzufahren. Manchmal fährt man ja total gestresst los und ist in der ersten Woche gleich krank, mit einer Erkältung oder mit Migräne. Man hat dann so viele Stresshormone in sich angesammelt, dass dadurch das Immunsystem geschwächt ist. Es ist so, als ob man von 180 km/h in die Vollbremsung geht. Das würde man ja auf der Autobahn auch nicht machen. Man muss einen langsameren Abschluss finden.

Wie bremse ich mich vorher denn ein bisschen aus?

Auch interessant

Wichtig ist, dass man sich Vorfreude schafft. Dass man sich einräumt, dass man sich auf den Urlaub freuen darf und dass man gedanklich visualisiert, wie der Urlaub aussieht. Wie fühlt sich der Sand unter meinen Füßen an? Wie wird das Meer rauschen? Was beim Abbremsen auch super hilft, sind kleine Rituale. Sie können helfen, sich von der Arbeit zu lösen. Die letzte Tasse Kaffee, die spüle ich ganz bewusst, stelle sie in den Schrank und schließe die Tür. Oder jetzt im Homeoffice: Den Arbeitsplatz aufräumen und den Laptop in den Schrank stellen. So dass man ihn nicht die ganze Zeit noch sieht, nur weil man zufällig eine Jacke aus dem Raum holen muss.

Haben wir heute überhaupt noch genügend Möglichkeiten, innere Ruhe zu finden? Oft ist der Urlaub doch das Tauschen der einen To-do-Liste gegen die nächste.

Das stimmt: Stress bleibt Stress. Auch positiver Stress kostet Ressourcen. Deswegen ist es nötig, sich bewusst zu machen, dass die Zeit im Urlaub unserer freien Gestaltung unterliegt. Wichtig ist: dass man sich auch bewusst auf neue Sachen einlässt, dass man auch kleine Herausforderungen angeht. In der Forschung ist herausgekommen: Wenn wir uns kleinen Herausforderungen stellen, zum Beispiel das Essen in der Landessprache bestellen oder einen neuen Sport ausprobieren, schaffen wir Erlebnisse, von denen wir auch nach dem Urlaub noch profitieren können. Ich habe dann ein Aha-Erlebnis, so dass ich sagen kann: Das habe ich geschafft!

Und was ist mit der Zeit nach dem Urlaub? Wie bleibt die Erholung ein bisschen länger erhalten?

Auch interessant

Wenn ich versuche, etwas aus dem Urlaub mitzunehmen und so Erinnerungen schaffe. Durch Videos, durch Fotos, aber auch durch Souvenirs. Es gibt eine Studie mit Souvenirs aus dem Urlaub. Dabei wurden Probanden durch das Lösen von Matheaufgaben gestresst und mussten im Anschluss eine Präsentation halten. Die Gruppe, die sich Souvenirs aus dem Urlaub mitbrachte und an ihre Ferien dachte, war durchgehend entspannter als die Gruppe, die sich den Feierabend vorstellte. So etwas hilft uns total.

Gibt es da noch mehr?

Es gibt so einen schönen Effekt von Sonnencreme. Man sucht sich vor dem Urlaub eine Bodylotion, eine Sonnencreme oder ein Shampoo aus und sagt: Das benutze ich jetzt nur im Urlaub! Nach dem Urlaub stellt man es erstmal weg. Aber wenn man dann einen besonders stressigen Tag hat, nimmt man es einfach raus und sagt: Okay, jetzt genieße ich noch einmal den Geruch, sodass ich mich gut an den Urlaub erinnern kann. Es ist nämlich so, dass die Emotionen und Erinnerungen durch Gerüche total getriggert werden. Dadurch kann ich auch weniger gestresst in den Alltag zurückkommen. Was auch hilft: Eine Playlist machen nur für den Urlaub. Wenn man die dann später hört, wird man automatisch zurückversetzt.

Gibt es so etwas wie eine optimale Urlaubslänge?

Zu viel Urlaub gibt es grundsätzlich nicht. Man kann allerdings auch nicht genau sagen, dass die Urlaubsdauer darüber Auskunft gibt, wie lange die Erholung danach erhalten bleibt. Entscheidend ist die Urlaubsqualität.