Essen. Die Kühlschränke der Stadt: Bäume und natürliche Böden könnten die nächsten Hitzewellen erträglicher machen. Motto: Sponge-City statt Spongebob!
Hier geht es nicht um die Corona-Krise, sondern um eine noch größere Herausforderung: den Klimawandel. Auch da kommt etwas auf uns zu. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es neue Hitzerekorde und langanhaltende Trockenperioden geben wird, die von Stürmen und Sturzregen unterbrochen werden. Dass die globalen Klimaziele nur durch gemeinsame Anstrengungen erreicht werden können, hat – bis auf wenige Ausnahmen – wohl jeder verstanden. Doch was können einzelne Städte tun, um solche Extremwetterlagen erträglicher zu machen? Professor Dr. Wilhelm Kuttler, bis zu seinem Ruhestand Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Klimatologie an der Universität Duisburg Essen, kennt einige Antworten.
Tropische Nächte im Ruhrgebiet
„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, ein Sommer, wie er früher einmal war“, schmetterte der unvergessene Rudi Carell im Jahr 1975. Als Trostspender und Frustlöser ist der Song heute nicht mehr verwendbar, eher noch als Drohkulisse. Denn die Folgen des Hitzesommers 2019 treten immer deutlicher zutage: massive Schäden an den Bäumen in unseren Wäldern, in Parks und am Straßenrand. Bauern klagten über Ernteausfälle und darüber, dass die Böden längst nicht so feucht sind, wie sie sein müssten, dem Dauerregen im Februar zum Trotz.
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Umlandlüfte haben keine Chance
Gut möglich also, dass uns bedingt durch den globalen Temperaturanstieg der nächste Backofen-Sommer bevorsteht. Mit tropischen Nächten über 20 Grad Celsius. „Städte sind Wärmeinseln, im wahrsten Wortsinne Hotspots in der Landschaft. Wegen der dichten Bebauung und der enormen Baumassen konservieren sie die Energie, die dann nachts abgestrahlt wird. Dadurch haben auch die kühlen Umlandlüfte keine Chance mehr, in die Städte zu fließen“, konstatiert der Wissenschaftler. Selbst der Mensch ist ein kleines Heizkraftwerk, das permanent eine Energiemenge von 150 Watt an die Umwelt abgibt – Körperwärme, die heute in Hörsälen, Konzertsälen, Büros und Passivhäusern per Wärmepumpe generiert und in der energetischen Berechnung der Haustechnik berücksichtigt wird. „Bei Anspannungen“, so der Professor, „nimmt unsere selbst erzeugte Wärme sogar deutlich zu.“
Schädliche Steingärten
Was kann eine Stadt also tun, um besser für die unausweichlichen Hitzewellen gewappnet zu sein? Kuttler kommt sogleich auf die unsäglichen Schotter-Vorgärten zu sprechen, die sich unnütz erwärmen und zugleich Pflanzen und Insekten die Lebensgrundlage nehmen. „Sie sollten verboten werden, so wie es Dortmund und Xanten in ihren Satzungen bereits getan haben“, sagt der Experte – und nennt als positive Maßnahme die Begrünung von Dächern und Fassaden: „Das sieht man leider noch viel zu selten.“ So ein begrüntes Flachdach, natürlich mit einer dicken Substratauflage als Zwischenspeicher für Regenwasser, trage spürbar zur Kühlung bei, müsse an heißen Tagen natürlich auch bewässert werden. Auch in dieser Hinsicht sollten Kommunen lenkend eingreifen: „Ein begrüntes Dach kann in der Baugenehmigung vorgeschrieben werden.“ Generell, so Wilhelm Kuttler, sollten Eigenheimbesitzer ermuntert werden, ihr Grundstück nicht zu versiegeln und so dafür zu sorgen, dass Regenwasser versickern kann und damit durch die Verdunstung kühlt.
Der Baum als Schattenspender
Unser Freund, der Baum, nimmt in den Ratschlägen des Professors eine zentrale Funktion ein. Hohe, großkronige Bäume mit optimalem Schattenwurf würden am besten vor großer Hitze schützen, denn der Mensch reagiere viel stärker auf die Strahlungstemperatur der Umgebung als auf die Lufttemperatur. Und es müssten nicht immer Platanen sein, die „Brot- und Butterbäume der Stadtplaner“ (Kuttler), von denen es in Essen allein 180.000 gibt. Denn wenn Platanen unter Stress stehen, zum Beispiel bei Hitze, sondern sie mehr Isopren (ein Ozon-Vorläufergas) ab als der Autoverkehr, erklärt der Professor.
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Städte brauchen mehr Bäume
Bäume, Wiesen und Sträucher gehören so viel wie möglich in die Stadt – und müssen bei Hitze regelmäßig gegossen werden, um ihre kühlende Funktion zu bewahren. Brachiale Methoden seien dabei durchaus angebracht. „Warum“, so der Klimatologe, „richtet man nicht mal Wasserwerfer auf Parks?“ Nur mit ausreichender Feuchtigkeit könnten Bäume und natürliche Böden als Kühlschränke der Stadt agieren. Wobei Bäume noch viele andere Funktionen übernehmen: Als Schatten- und Sauerstoffspender, CO2-Schlucker und sogar als Umlenker für Wind, damit über die so genannten Luftleitbahnen, oft auch Kaltluftschneisen genannt, genug saubere Luft in die Zentren transportiert werden kann.
Wasser speichern statt Land unter
Sintflutartige Regenfälle, überflutete Unterführungen, Land unter in Kellern und Tiefgaragen, Feuerwehr im Dauereinsatz – alles schon dagewesen in den vergangenen Jahren. Glaubt man den Meteorologen, dann werden solche Extremwetter-Ereignisse weiter zunehmen. Zwar überzeugt das Konzept einer Schwammstadt, auch Sponge-City genannt, bei dem Regenwasser möglichst lokal gespeichert und nicht in die Kanalisation abgeleitet wird, Klimatologen und Stadtplaner gleichermaßen. Erreicht werden kann dies durch versickerungsfähige Oberflächen, zum Beispiel Rasengitter oder freie, natürliche Böden. Zudem könnte man tieferliegende Bereiche bewusst überschwemmen lassen – was den Bäumen und dem Stadtklima guttun würde.
Ober- und unterirdische Kavernen nehmen große Wassermengen auf und lassen sich in Trockenphasen anzapfen, um Grün zu bewässern. Eine schöne Vorstellung, die aber derzeit oft an Geld- und Platzmangel scheitert.
Geflutete Autobahntunnel
Professor Wilhelm Kuttler hat weltweit etliche Konzepte zur Ableitung von Sturzregen erarbeitet, zum Beispiel in Kuala Lumpur: „Dort wurde sogar ein Autobahntunnel geflutet, um die Lage in den Griff zu bekommen.“ Durch erhöhte Bordsteine und Abflussschwellen vor den Einfahrten zur Tiefgarage ließen sich auch hierzulande größere Schäden verhindern. Welchen Stellenwert das Klima heutzutage bei der Stadtplanung habe, wollen wir abschließend wissen. Der Wissenschaftler ist nicht unzufrieden: „Da ist vieles besser geworden. Geographen, Biologen und Chemiker sind an den Prozessen beteiligt. Eine gute Entwicklung.“
Lassen wir es wieder mehr grünen
Aber auch wir sollten daran arbeiten. Also weg mit versiegelten Flächen. Lassen wir es wieder grünen und blühen, geben wir den Insekten ihren Lebensraum zurück und damit auch uns. Vielleicht hilft uns auch die Corona-Krise zu verstehen, wie wertvoll die Natur und die Luft zum Atmen für uns sind.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG