Wesel. Statt „Glanz, Gesocks & Gloria“-Premiere wird auch Filmemacher Gerrit Starczewski (33, „Pottoriginale“) empfindlich vom Coronavirus ausgebremst.
Kuttenträger beim Platzsturm, leichte Mädchen im Nahkampf und volle Pullen für ein Halleluja – all das sehen Sie jetzt NICHT im Kino! Die Corona-Krise schießt nicht nur den unsterblichen James Bond weidwund, auch viele kleine Unternehmer und Künstler sind getroffen, denen die Aufträge wegbrechen. So auch Star-Fotograf, Aktionskünstler und Filmemacher Gerrit Starczewski aus Hamminkeln. Der 33-Jährige hat schon Promis wie George Clooney oder Beth Ditto für das renommierte Rolling-Stone-Magazine abgelichtet und sorgte zuletzt im wahrsten Sinne für Aufsehen mit einem Nacktkick, der gegen die Kommerzialisierung seines Lieblingssports protestieren wollte.
„Seelisch und finanziell ein Desaster“
Doch momentan läuft es nicht so gut für den Jungregisseur. Er kriegt Corona-Krise: „Es kommt mir vor wie bei einem Hindernislauf. Alle Hürden sind genommen und dann kommt am Ende das Virus und zieht dir die Beine weg!“ Genau gerade sollte sein zweiter „Pottoriginale“-Spielfilm mit dem grandiosen Untertitel „Glanz, Gesocks & Gloria“ herauskommen. Große Kinopremiere mitten im Pott: 100 Meter roter Teppich, vier ausverkaufte UCI-Säle im Ruhr Park in Bochum, 1000 vorbestellte Fans...
Echte Typen mit echten Namen
Auch seine leibhaftigen Pottoriginale sollten da sein, echte Typen mit echten Namen: Tankwart a.D. und der VfL-Jesus. Zwei Ultra-Originale, die man nicht beschrieben kann – und deswegen verfilmen muss. VfL-Jesus alias Thomas Dragunski (53), der als Hausmeister in der Mensa der Ruhr Uni arbeitet, auf unsere Anfrage: „Das ist schon sehr deprimierend, auch für die Leute so schade um die Reaktionen. Ich hatte mir extra freigekommen, hab den Steifen selbst noch gar nicht komplett gesehen. Man kommt sich vor wie im flachen Film.“ Zu der stillgelegten Kurven-Combo gehören noch der legendäre RWE-Schlachtenbummler Glockenhorst und Musiker DJ Hell sowie Rillen-Reiter Klaus Fiehe (Geier Sturzflug). Wer kommt: die Kontaktsperre. Starczewski: „Jetzt bleiben alle zu Hause.“
Für den Jungregisseur ein Desaster. „Seelisch und finanziell.“ Sein durchgeknallter Roadmovie – ironischerweise eine Hommage an den Charme des Nichtperfekten – stand schon zuvor nicht unter dem besten Stern. „Ich musste den Film aufgrund von Tonproblemen komplett neu drehen. Das ist für ein Independent-Film im Grunde das Ende.“ Gut 60.000 Euro stecken drin. Cutter, Kameramann, Catering für die Crew, Hotels, Plakate, Musikrechte und Requisiten. Außerdem Booklets, Merchandising, Fotowand und roter Teppich. Alles für den einen Tag hergestellt, teilweise bedruckt mit Datum. Die Kinotour umfasste 25 Shows bis Mitte Mai. Alle gecancelt. Osnabrück und Krefeld waren bereits Wochen vorher ausverkauft. Im Pott sollte der Film in Gelsenkirchen, Dortmund, Duisburg, Mülheim und Essen laufen. Doch die Leinwände bleiben schwarz und Starczewski blass. Wäre er ein Emoji, flössen die Tränen im Sturzbach.
Keine Einnahmen mehr
Gerrit Starczewski ist Corona-Pleite. Wie soll er alle Rechnungen bezahlen? „Das Geld der Tickets aus dem Vorverkauf sehe ich erst nach einer Kinovorstellung. Heißt: Momentan habe ich keine Einnahmen, weil das Geld an die Karten-Käufer direkt zurückging.“ Als Ein-Mann-Allesmacher steht keine Produktionsfirma, kein TV Sender hinter dem Projekt und erst recht keine staatlichen Fördergelder.
Der Regisseur stellt aber auch klar, dass er volles Verständnis für die Maßnahmen hat und die Gesundheit natürlich vorgehe. Kunst scheine aktuell nebensächlich und die Ausnahmesituation führe uns allen vor Augen, wie kostbar das Leben ist. „Aber Kunst, die Menschen zu unterhalten, wird gerade in den kommenden Monaten wichtiger sein als vielleicht je zuvor.“
Premiere soll nachgeholt werden
Seine Premiere will er deshalb trotzdem feiern – dann halt an einem späteren Datum. Dafür hat er auch schon einen Wunschtermin im Auge. „Der 12. September ist ein Samstag. Da soll nun die Weltpremiere in Bochum steigen. Selbst wenn da der VfL mittags ein Spiel haben sollte, kann abends ohne Probleme die Party stattfinden“, sagt der VfL-Fan, der immer auch den Spielplan seines Vereins im Blick hat. Doch andere Kinos zögern mit Nachholterminen, weil viele Häuser gar nicht wissen, ob sie im Herbst noch existieren. Gerrit Starczewski muss nach vorne schauen: „Es ist totale Ungewissheit was im September ist. Aber man muss sich an irgendwas festhalten, positiv bleiben.“ Den Hype, den er seit Wochen auf den Höhepunkt hin geschickt über die Netzwerke aufgebaut hat, für den Herbst noch einmal zu kreieren, ist jetzt einer der Aufgaben zum Zeitüberbrücken.
Antrag auf Sofort-Hilfe gestellt
Vorsorglich hat der Solo-Selbstständige, der von seiner Kunst lebt, den Antrag für die Sofort-Hilfe der Bundesregierung ausgefüllt. Weil er auch zukünftig weiter Filme drehen möchte. Filmemacher Gerrit Starczewski: „Im Grunde ist es verrückt, was ich mache, aber es muss so durchgeknallte Typen wie mich geben, die einfach machen. Aufgeben kann jeder.“
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