Ratingen. Viel mehr als nur ein blondes Püppchen: Bettina Dorfmann lebt von, für und mit Barbie und gilt als die Expertin, wenn es um die Kult-Puppen geht.
Bettina Dorfmann nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht so kurz vor Weihnachten. „Da kann man nichts mehr machen“, bedauert die 58-Jährige und zeigt auf die grünen Ohren, „der Kopf muss ab. Kommt von den Ohrringen. Die hätten Sie raus machen müssen.“ Die Frau neben ihr nickt. „Schade.“ Kann aber passieren, nach fast 60 Jahren. Denn so alt ist die Barbie, die nun wieder in ihrem Karton verschwindet. „Hätte mehr erwartet“, gibt ihre Besitzerin zu, die extra aus Dortmund nach Ratingen gekommen ist, um die Puppe schätzen zu lassen.
Eine zweite Meinung will sie dennoch nicht einholen. Denn Dorfmann ist ja nicht irgendwer. Sie lebt von, für und mit Barbie und gilt als die Expertin schlechthin, wenn es um Barbie geht. Kaum ein Exemplar, das sie nicht kennt, schon weil sie 18.000 von ihnen besitzt – mehr als sonst irgendjemand auf der Welt. Bücher hat sie geschrieben über das kleine Plastik-Fräulein, zahllose Vorträge gehalten, Ausstellungen organisiert, Gutachten für Versicherungen erstellt und längst auch eine Klinik für Barbies eröffnet. Was die großen Kisten mit Armen, Beinen, Köpfen und Oberkörpern im Keller ihres Hauses erklärt. Und mehrmals im Jahr schätzt sie Barbies und andere Puppen im Museum in Ratingen.
Ein Plastik-Fräulein im Spiegel der Zeit
Da sitzt sie nun in ihrer Puppenstube, oben im ersten Stock ihres Hauses. Dort wo die schönsten Exemplare ihrer Sammlung stehen – perfekt in Vitrinen aufgestellt, ordentlich drapiert auf Couch und Stühlen oder gelagert in kleinen Kisten. Platz ist wenig aber Dorfmann schiebt ein paar Plastik-Mädels zur Seite. Dann erzählt sie, wie alles begann. Erzählt, wie sie Mitte der 60er-Jahre ihre erste Puppe kriegt. Eine „Midget“, Barbies beste Freundin. Zu Bettinas Einschulung zieht sie ein bei den Dorfmanns und bekommt in den nächsten Jahren noch 27 Geschwister. Sehr lange hat sie sehr gerne mit ihnen gespielt, irgendwann kommen sie trotzdem auf den Boden.
Dort bleiben sie, bis Dorfmann selbst eine Tochter bekommt. Doch die Dreijährige ist noch zu klein, kann nicht viel anfangen mit den Puppen. Bei ihr kehrt die Begeisterung dagegen zurück. Vor allem, weil sie sieht, was sie als Kind übersehen hat. „Barbies sind viel mehr, als ein Spielzeug. Sie sind auch ein Spiegel ihrer Zeit.“ Und in den will sie sehen. Erst bringt sie ihre alte Sammlung wieder in Schuss, dann kauft sie neue Puppen, ohne zu ahnen, welche Ausmaße die Leidenschaft einmal nimmt. Als sie eine Vitrine sucht, rät ihr Mann: „Nimm doch zwei.“ Seine Frau lehnt ab. „Was soll ich mit zwei? Die kriege ich doch nie voll.“
Heute muss sie darüber lachen, heute hat sie Dutzende Vitrinen und noch immer sind es eigentlich zu wenig. Modelle aus allen Jahren besitzt Dorfmann. Sie können mit Autos und Booten fahren, in den Flieger steigen, Urlaub machen, zur Arbeit gehen und dabei aus vielen, vielen Tausenden Kleidungstücken und Accessoires wählen. Und nur der Laie glaubt, eine Barbie bleibt eine Barbie. „Im Laufe der Zeit hat sie sich immer wieder verändert.“ Längst gibt es auch Puppen unterschiedlicher Hautfarben und Figurtypen.
„Nie ein Schönheitsideal“
Deshalb ärgert es Dorfmann auch ein wenig, wenn man den Spielzeugklassiker auf „dumm und blond“ reduziert, sich über ihren kurze Oberkörper, die Wespentaille und die endlos langen Beine mokiert und ihre Maße von 91-46-84 „völlig unrealistisch“ und „nicht lebensfähig“ nennt. Das seien die Babypuppen mit den übergroßen Köpfen auch nicht“, hält Dorfmann dagegen und erklärt, Barbies Beine seien extra so lang, damit die Kinder sie besser anfassen könnten. Und die schmalen Hüften und die ausgeprägten Brüste gebe es schon lange nicht mehr. Davon ab, sagt Dorfmann, sei die Barbie für sie nie ein „Schönheitsideal“ gewesen. „Es ging mir immer, um die Barbie-Welt an sich.“
Wie vielfältig die ist, zeigt die von Dorfmann konzipierte und derzeit im Ratinger Spielzeugmuseum zu sehende Ausstellung „Busy Girl – Barbie macht Karriere“, die gerade als am längsten laufende Barbie-Ausstellung ins Buch der Rekorde aufgenommen wurde. „Da kann man sehen, dass Barbie nicht nur ein Püppchen ist. Sie stand immer im Leben.“ Barbie, hat mal jemand recherchiert, hat nicht nur Abi, sie hatte in den vergangenen sechs Jahrzehnten immerhin 108 Berufe. Und sie war nicht nur Turnlehrerin und Friseurin, sondern auch Chirurgin, Air-Force-Pilotin und Astronautin.
Sie ist auch längst nicht mehr nur Kinderspielzeug, sondern Sammlerobjekt. Es gibt sie als Marilyn Monroe oder Doris Day, mit Ken als Frank Sinatra, Cary Grant oder Harry Potter. Streng limitiert, aufwändig verpackt und deshalb auch teurer als üblich. Aber weitaus billiger, als seltene Exemplare aus den Anfangsjahren. Die können bei Aktionen schon für hohe vierstellige, hin und wieder auch für fünfstellige Summen den Besitzer wechseln. 2010 wurde eine sogar im berühmten Auktionshaus Christie’s für 302.500 US-Dollar versteigert. Da ging es allerdings wohl eher um den Einkaräter, den sie um ihren schlanken Hals trug.
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