Herten. Den Modebetrieb in Damaskus mussten die Brüder verlassen. In Herten haben sie ein neues Leben begonnen. Nun entwerfen sie Roben mit Orient-Flair.

Die Ärmel der bodenlangen violettfarbenen Robe erinnern an eine Fledermaus, schwarze Steinchen bilden orientalisch wirkende Muster. „Der Schnitt ist traditionell“, sagt Mahmood Al-Salim. Und doch hätte er dieses Kleid so niemals in seiner alten Heimat Syrien genäht. „Ich habe dieses kurdische Kleid westlich gemacht.“ In Deutschland darf man „offenherzig“ sein.

Der 30-Jährige und drei seiner Brüder machen heute Haute Couture in Herten. Bereits mit 13, 14 Jahren haben sie angefangen zu schneidern. Die Mutter leitete in Damaskus ein mittelständisches Modeunternehmen. 40 Angestellte arbeiteten dort, so Mahmood Al-Salim. Doch dann begann der Bürgerkrieg und zerstörte Häuser und Hoffnungen. In Assads Armee wollten die Brüder nicht kämpfen – sie flohen getrennt aus Syrien.

In Athen suchte er Schlepper

Mahmood Al-Salim stieg in der Türkei in ein wenig vertrauenserweckendes Schlauchboot. Ziel: Griechenland. Auf der Insel Mytilini wurde er festgenommen. „Ich hatte keinen Pass und kam drei Monate ins Gefängnis.“ Man erlaubte ihm, für kurze Zeit im Land zu bleiben. In Athen suchte er sich Schlepper. Sie versprachen, dass ein großes Schiff mit Italienern käme, auf dem er sich verstecken könne. Aber dann sei nur ein fünf Meter kleines Boot gekommen, das er sich mit vielen anderen Flüchtlingen teilen musste. „Kinder, Frauen, alte Menschen – eine Katastrophe“, sagt Mahmood Al-Salim und presst die Lippen aufeinander.

7slim macht auch Kleider, die alltagstauglich sind.
7slim macht auch Kleider, die alltagstauglich sind. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Eine Wahl habe er nicht gehabt. „Sie hatten Waffen: ,Steigt ein, wir schießen.’“ Zwei Tage lang auf dem Boot, nur etwas zu trinken, nichts zu essen. „Es war hart.“ Endlich: Land in Sicht – Italien! Zu Fuß, mit dem Zug, dem Auto kam er über Frankreich und Belgien nach Deutschland. In Kiel traf er seine zukünftige Frau, die er im Internet kennengelernt hatte.

Die Eltern leben beim Bruder in der Türkei

„In unserer Heimat ist alles kaputt gegangen. Wir mussten wieder bei Null anfangen“, sagt Mahmood Al-Salim. „7slim“ erinnert an den Nachnamen der Familie und an die Anzahl der Brüder. Denn die Schneider haben noch mehr Geschwister. „Sieben Brüder und sechs Schwestern.“ Die Eltern leben heute bei dem ältesten Bruder, der sein Glück in der Türkei versucht hat. Natürlich auch im Textilbereich. Der Bruder schickt Stoffe und Strass, Perlen und Pailletten.

Ein Hauch von Tüll im Fliederton trägt das Model Leana (20), lediglich kleine Blüten bedecken das Dekolleté. Viel Bein ist zu sehen, auch bei langen Roben mit einem Schlitz bis weit oben. „So offen kann man das in Syrien nicht machen“, sagt Mahmood Al-Salim. „Hier können sie sich ausleben, ihre Kreativität voll zeigen“, ergänzt Sieglinde Graf. Die Wirtschaftsförderung Herten hatte die Unternehmensberaterin gefragt, ob sie die Brüder unterstützen möchte. Und ob! Ehrenamtlich ist sie nun mit viel Freude dabei. Die 63-Jährige mag Mode. Sie trägt ein Kleid aus Seide mit kleinen Schlitzen an den Schultern (375 €). „Ich habe keine Modelfigur“, sagt Sieglinde Graf. Aber die Brüder schneidern für jede Größe. „Man fühlt sich sehr schön darin.“

Die Arbeit half ihm ins Leben zurück

Die erste Zeit in Kiel konnte Mahmood Al-Salim nur warten, nichts tun. Nach vier Monaten bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung. Er heiratete seine Frau, lernte Deutsch, arbeitete in einem Restaurant und fing wieder zu nähen an. Die Arbeit half ihm: „Wenn man etwas in der Hand hat, vergisst man.“Auch seine Geschwister hatten mittlerweile Deutschland erreicht. Eine Schwester lebte in Herten. Dort trafen sich auch die Brüder wieder. Mit gespendeten Nähmaschinen fertigten sie Taschen, die sie auf Märkten verkauften.

Ein Traum in Tüll: So offenherzig hätten die Kleider in der Heimat in Syrien nicht sein dürfen.
Ein Traum in Tüll: So offenherzig hätten die Kleider in der Heimat in Syrien nicht sein dürfen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dokumente wie Meisterbriefe konnten sie nicht vorweisen. In ihrer Heimat hätte nie irgendjemand nach irgendwelchen Zeugnissen gefragt. Stattdessen: „Was kannst du?“, so Alan Al-Salim (31). „Dann zeig mal, was du kannst.“

Sieglinde Graf half ihnen bei Behördengängen und Anträgen. Gerade haben sie eine Bestätigung von der Individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung“ (IKF Feuerwehrtopf) bekommen: Sie können sich nun die ersehnte Stickmaschine anschaffen.

Hertens Bürgermeister Fred Toplak hat die Brüder kürzlich besucht: „Ich halte es für wichtig, dass Menschen, die in unserem Land angekommen sind, zeigen, dass sie sich beteiligen möchten.“ Zugleich sei es dann auch selbstverständlich, dass die Stadt das Engagement unterstütze.

Der Süden von Herten profitiert davon, dass im so genannten Kreativquartier in der Nähe der stillgelegten Zeche Ewald Leben einzieht.

Kundinnen sind Individualisten

„Die Kundinnen sind Individualisten, die eigene Vorstellungen von Kleidung haben“, sagt Sieglinde Graf. Die meisten kommen aus Essen, Dortmund, Gelsenkirchen. Aber Frauen sind auch schon aus Hannover, Frankfurt oder München angereist, um sich ein Kleid schneidern zu lassen.

Die Brüder machen Maßanfertigungen, auch Männer sind willkommen. Die Kunden erzählen, welche Ideen sie im Kopf haben. „Ich zeichne das dann“, so Mahmood Al-Salim. Er zeigt auch Stoffe und Muster, die Kundin kommt zur ersten Anprobe, zur zweiten. Bei einem Hochzeitskleid auch schon mal zur dritten. Damit alles perfekt sitzt. Für ein Abendkleid muss man einen Monat einplanen. Der Preis: ab 800 Euro aufwärts.

Eie Robe mit orientalischem Flair.
Eie Robe mit orientalischem Flair. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dabei arbeiten die Brüder im Team. Einer fängt an, und dann sagt zum Beispiel Alan Al-Salim (31): „Wenn du hier noch etwas machst, dann wird es noch schöner.“ Sind sie sich denn immer einig? „Manchmal streiten wir“, sagt Mahmood Al-Salim und zeigt seinem älteren Bruder die Faust. Beide fangen an zu lachen. Ungewöhnlich: Als Jüngster ist er der Geschäftsinhaber. Hat er denn das Sagen? „Ein bisschen“, sagt Mahmood Al-Salim und neigt verlegen den Kopf.

Schickes fürs Büro gibt es auch

„Sununu“ nennen sie eine Kollektion. Übersetzt: Schwalbe. „Als wir Kinder waren, haben wir in unserem Dorf viele Schwalben gesehen“, sagt Mahmood Al-Salim. Die Vögel „fliegen“ nun über die gezeichneten Kleider. Wobei nicht nur Roben dabei sein, auch Schickes fürs Büro oder für einen Besuch im Restaurant. Die Brüder haben auch schon einen Chor ausgestattet. Oder eine Jeans für einen Arzt genäht, der selbst orthopädische Schuhe trägt, aber trotzdem jung und modern aussehen möchte.

Die Abendkleider werden sie weiterhin individuell anfertigen. Aber das Ziel sei: Nur 30 Prozent Marktanfertigung, der Rest soll alltagstaugliche Kleidung sein, die in ausgesuchten Boutiquen verkauft wird. Wobei ein Kleid auch schon mal beides sein kann: schick und richtig schick. Wie das Hochzeitskleid der Schauspielerin Madlen Kaniuth (45). Sie hat im vergangenen Jahr in Las Vegas in einem Traum in Rot von 7slim geheiratet. Löst man die Häkchen, verliert die Robe die Schleppe. Und mit der so gewonnenen Beinfreiheit kann man dann bis in die Morgenstunden tanzen.

Ein schwarzes Sissi-Kleid ist mit Blumen in Gelb, Rot, Blau verziert. Jede Blüte haben die Brüder per Hand gefertigt. Mahmood Al-Salim zeigt auf die dunkle Seite: „Diese Seite ist unsere Heimat.“ Dann deutet er auf die farbenfrohen Blüten und verrät, für was sie stehen: „Hier haben wir in Deutschland angefangen.“ Und: „Wir wachsen.“

Mein Lieblingsteil

Das Lieblingsteil war mal ein Sofa. Daraus haben Mahmood A-Salim und seine drei Brüder nach ihrer Flucht das erste Kleid in Deutschland genäht.
Das Lieblingsteil war mal ein Sofa. Daraus haben Mahmood A-Salim und seine drei Brüder nach ihrer Flucht das erste Kleid in Deutschland genäht. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dieses Brokatkleid war mal eine Couch. „Wir wollen es niemals verkaufen“, sagt Mahmood Al-Salim. Denn es ist das erste Kleid, das die Brüder in Deutschland gefertigt haben –und dafür ein altes Sofa opferten. Der 30-Jährige schneidert sich heute Klamotten im 70er und 80er-Jahre-Stil. „Da sahen die Menschen richtig gestylt aus.“ Er findet die aktuelle Mode zu schlicht. Hemden mit breiten Kragen, so etwas trägt er am liebsten.

Mein Stylingtipp

Schal und Kette, Handtasche und Schuhe –mit Accessoires kann man aus einem Kleidungsstück gleich mehrere Looks zaubern. Ein schwarzes Etuikleid zum Beispiel taugt fürs Büro, mit einem roten Tuch wird es schnell theaterfein. Und gelbe Schuhe und Tasche geben dem Ganzen wieder ein neues, frisches Aussehen. „Man schafft sich eine Grundgarderobe an und sieht jedes Mal anders aus“, schwärmt Sieglinde Graf,die selbst auf Mahmood Al-Salims Mode-Tipp gehört hat und ihr zeitloses schwarzes Kleid immer wieder neu kombiniert. Selbst die Leute, denen sie immer mal wieder begegnet, würden fragen: „Haben Sie ein neues Kleid?“

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7slim Fashion, Ewaldstraße 75 in Herten, 02366/ 408 29 99, 7 slimfashion.de