Oberhausen. „Meine liebe Romy...“ Geschrieben noch vor der Geburt, gültig für das ganze Leben – so rührend schreibt ein Vater an seine ungeborene Tochter.
Das Selbstverständnis von Vätern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Väter nehmen immer häufiger Elternzeit, manche reduzieren ihre Wochenarbeitszeit, um mehr Zeit für ihr Kind zu haben. Doch zwischen Karriere und Windeln wechseln bleiben die Vorsätze, ein guter Vater zu sein, oftmals auf der Strecke. Dennis Betzholz (34) wollte das vermeiden.
Der gebürtige Oberhausener hat deshalb vor der Geburt seiner Tochter darüber nachgedacht, was er ihr mit auf den Weg geben möchte. Pro Schwangerschaftswoche hat er seinem damals noch ungeborenen Baby einen Brief geschrieben – mit persönlichen Geschichten, die mal witzig, mal tiefsinnig, mal kämpferisch ausfallen. Herausgekommen sind 42 Briefe, die am kommenden Montag als Buch („Mit dir wird alles anders, Baby!“) erscheinen.
Die folgenden zehn Ratschläge an sein Kind sind Auszüge daraus.
1. Nimm dein Glück in die eigene Hand!
Das Glück kann weder laufen noch fliegen – und es weiß auch nicht, wo du wohnst. Es klopft deshalb nicht plötzlich an deine Tür. Du musst hinausgehen und es suchen. Doch halte nicht nur Ausschau nach dem Ende des Regenbogens, wo der Legende nach der Schatz wartet, sondern halte auch die Augen offen für die Goldmünzen, die am Wegesrand liegen. Denn der richtige Weg ist der, der dich glücklich macht, selbst wenn du nie am Ziel ankommst.
2. Denke nicht, dass die Welt fertig ist!
Alles auf dieser Erde ist veränderbar. Alles, was du hier vorfindest, haben Menschen erschaffen. Sie haben Erfindungen gemacht, die für ihre Zeit bahnbrechend waren. Doch mit jeder neuen Generation verändern sich die Bedürfnisse. Früher genügte es, Pferde vor eine Kutsche zu spannen. Heute tüfteln Tausende von Ingenieuren an einer Lösung, wie man das Auto selbstfahrend und umweltfreundlich macht. Wer weiß, was deine Generation, was dich antreibt? Hauptsache, ihr habt den Mut, Altes infrage zu stellen und Neues zu erschaffen.
3. Lerne zu streiten!
Streiten ist die Basis von Demokratie. Doch seit einigen Jahren haben wir das Streiten verlernt. Je komplizierter die Themen werden, desto kontroverser müssten sie diskutiert werden. Doch anstelle dessen tun wir so, als gäbe es nur Schwarz und Weiß, kein verbindendes Grau. Du musst ebenso lernen zu streiten, wie dir die Schuhe zu schnüren. Und wo sonst solltest du das üben, wenn nicht an dem Ort, an dem du dir sicher sein kannst, dass du auch nach einem heftigen Streit noch geliebt wirst?
4. Suche dir wahre Freunde!
Verliere nie deinen Glauben an das Gute im Menschen. Das Gute ist in der Überzahl. Bleibe deshalb auch den Neiderfüllten, den Hass säenden, den Unehrlichen gegenüber immer höflich und fair, verschwende aber nicht deine Zeit mit ihnen. Laufe lieber weiter – und freue dich über jeden, der es auf deinem Weg gut mit dir meint. Wie du denjenigen erkennst? Der wahre Freund ist der, der dich an deine Flügel erinnert, wenn es dir schlecht geht; der dir zeigt, wie du sie benutzt, wenn du zweifelst; der dich fliegen lässt, wenn du es verstanden hast; der dir applaudiert, wenn du eine Pirouette drehst; und der dich warnt, wenn du zu sehr abhebst.
5. Beschütze die Welt!
Wir sind nur zu Gast auf der Erde unserer Nachfahren. Wir müssen sie schützen, damit auch deine Kinder es genauso schön darauf haben wie du und ich. Du kannst nichts für die Welt, wie sie heute ist. Du kannst aber etwas dafür, wenn sie in 50 Jahren nicht besser ist. Du bist ein Teil des Problems, weil du wie jeder Mensch konsumierst. Du kannst aber auch Teil der Lösung werden.
6. Genieße das Leben!
Bei all der Ernsthaftigkeit, mit der dich das Leben konfrontieren wird, will ich dir auch Folgendes mit auf den Weg geben: Schlage über die Stränge. Verliere dich im Augenblick. Sage nicht nur beim Zuprosten Sätze wie „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“, sondern sei dir darüber im Klaren, dass sie wahr sind. Frage dich nicht ständig, wie du so lange wie möglich lebst, sondern lieber, wofür du lebst. Geh raus und sei unvernünftig und vergiss für den ein oder anderen Abend, was dir dein Papa über die Reihenfolge von Arbeit und Vergnügen – erst das eine, dann das andere – gesagt hat. Und falls du zu viel getrunken hast, ruf mich an. Ich hol dich ab, überall. Es sei denn, es ist nachts – dann ruf Mama an.
7. Entscheide nicht aufgrund von Vorurteilen!
Mit Vorurteilen ist es wie mit Socken: Sind sie einmal in einer Schublade, werden sie nie wieder in eine andere geräumt. Wir fallen ständig auf Vorurteile herein, auf die der anderen, aber auch auf unsere eigenen. Du sollst nur wissen, dass wir alle unsere Vorurteile haben, ein guter Mensch aber nicht seine Entscheidungen danach fällt. Wer Hass säen will, bedient sich rücksichtslos und berechnend des Vorurteils. Behandle deshalb jeden Menschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest.
8. Nutze den Schlüssel in die gewaltigste Welt!
Du wirst in eine Welt hineingeboren, in der (bewegte) Bilder beliebter sind als Worte. Instagram schlägt Jugendroman, YouTube schlägt Zeitung. Warum du trotzdem Bücher lesen solltest? Heinrich Heine versuchte mal, es in Worte zu fassen: „Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die gewaltigste.“ Und das Beste: Du bekommst schon mit sechs oder sieben Jahren den Schlüssel zu dieser Welt. Du kannst dann lesen. Nutze den Schlüssel so oft wie möglich.
9. Sorge dich nicht zu viel!
Sorgen wachsen nicht raus wie Babyspeck. Sie bleiben, selbst Papas haben ab und an welche. Keine App und keine Impfung hält Sorgen fern, weil einfach jede verdammte Phase des Lebens seine eigenen hat. Sie legt sich über die Tage wie der Soundtrack über einen Liebesfilm. Man summt die Melodie wochenlang vor sich her und fragt sich Jahre später, was daran so besonders war. Oft wirken die Sorgen von einst winzig klein, weil die aktuelle immer die größte ist. Deshalb sorge dich nicht zu viel. Es wird schon alles gut.
10. Sei ein Entdecker!
Reise so oft es geht. Mir ist jedenfalls kein Reisender bekannt, der ohne große Entdeckung nach Hause gekommen ist. Der eine entdeckt auf seiner Reise Menschen, die ganz anders sind als die Vorurteile, die er zuvor über sie gepflegt hatte. Der andere entdeckt Orte, die ganz anders sind als die Fotos auf Instagram, deretwegen er eigentlich dort war. Und wieder andere entdecken sich selbst. Reisen ist das, was du hinterher so schwer in Worte fassen kannst, wenn die Daheimgebliebenen fragen, wie es war, weil es einfach unmöglich ist zu erklären, wie es ist, wenn die Seele wächst.
Dennis Betzholz’ Buch „Mit dir wird alles anders, Baby! Briefe eines werdenden Vaters an sein Kind“, Droemer Knaur, 224 Seiten, 16,99 Euro, erscheint am 4. November.