Münster. Morgens vorm Spiegel: Mein Gott, diese Nase! Die Haut! Die Tränensäcke! Für diese Störung gibt’s nicht nur einen Namen, sondern vor allem: Hilfe.

Es gibt Menschen, deren Blick richtet sich nur auf diesen einen, scheinbar alles überschattenden Makel ihres Körpers – und bleibt dort hängen. Und hängen. Und hängen. Diese Menschen versuchen alles, um den Makel zu überdecken, zu verstecken, unsichtbar zu machen. Obwohl andere diesen Makel nicht oder nicht in diesem Ausmaß wahrnehmen. Betroffene verbringen immer mehr Zeit damit, sich nur noch ums Aussehen zu kümmern. Das führt zu starken Gefühlen: Trauer, Angst, Panik, Wut auf sich und den eigenen Körper.

Und zum Gedanken: Ich bin hässlich! Mit der Zeit leidet das Leben darunter: Man sagt Verabredungen ab, mag sich nicht mehr beim Sport blicken lassen, hat Probleme, überhaupt zur Arbeit zu gehen. Wenn es so weit ist, leiden die Betroffenen vermutlich unter einer sogenannten „körperdysmorphen Störung“ (KDS).

Angst vor Ablehnung wegen Problemzonen

„Diese Personen beschäftigen sich anhaltend und übermäßig mit dem eigenen Aussehen, im Durchschnitt drei bis sieben Stunden am Tag. Es kann auch länger sein. Man muss sich Betroffene vorstellen, die den Gedanken daran also permanent im Kopf haben. Sie sind eigentlich immer belastet, niedergeschlagen und haben Angst vor Ablehnung“, sagt Johanna Schulte (31), Leitende Psychotherapeutin an der KDS-Ambulanz der Universität Münster, einer der wenigen spezialisierten Anlaufstellen in Deutschland.

Im Gespräch: Psychotherapeutin Johanna Schulte (31) in der Zweigstelle für Körperdysmorphe Störungen (KDS) bei der Universität in Münster. Patienten leiden unter einer übermäßigen Beschäftigung mit einem wahrgenommenen Makel in der äußeren Erscheinung.
Im Gespräch: Psychotherapeutin Johanna Schulte (31) in der Zweigstelle für Körperdysmorphe Störungen (KDS) bei der Universität in Münster. Patienten leiden unter einer übermäßigen Beschäftigung mit einem wahrgenommenen Makel in der äußeren Erscheinung. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Wenn man nachdenkt: Zwar kennt jeder Menschen, die sehr viel Zeit auf ihr Äußeres verwenden. „Der Unterschied ist aber, dass es für sie nicht unbedingt unangenehm sein muss“, so Schulte. Dennoch rechnet man, dass zwei Prozent der Allgemeinbevölkerung eine KDS entwickelt haben. Vielleicht überraschend: Etwa gleichermaßen sind Männer und Frauen betroffen. Es sind dort eben nicht die bei Frauen verbreiteten „Problemzonen“ Haare, Augen, Nase, Hüfte, Beine, Po. „Bei den Männern findet man eher den Untertyp der muskeldysmorphen Störung. Der Körper wird als zu schmal, zu schmächtig, nicht muskulös genug wahrgenommen, obwohl das häufig Personen sind, die überaus trainiert sind“, berichtet Johanna Schulte.

Oft fangen die Probleme schon in jungen Jahren an, etwa mit Hänseleien auf dem Schulhof oder irritierenden Bemerkungen über das Aussehen. Typisch treten die ersten Symptome mit dem zwölften oder dreizehnten Lebensjahr auf. Ein kritischer Zeitpunkt, hier beginnen die Jugendlichen, ihr Aussehen wichtiger zu nehmen und sich für Partnerschaften zu interessieren. Bis die Symptome voll ausgeprägt sind, dauert es oft nur bis zum 16. Lebensjahr.

Dennoch dauert es viele Jahre, bis die Personen in der KDS-Ambulanz ankommen: „Viele schildern mir, dass sie sich lange sehr schwer getan haben, selbst als sie bereits eine Ahnung hatten: Das wäre etwas, wo ich Hilfe suchen könnte. Und viele berichten auch von einer immensen Scham“, so Johanna Schulte.

Das Hadern geht auch nach kosmetischen Eingriffen weiter

Wer an einer KDS leidet, wird versuchen, das Problem auf der körperlichen Ebene zu lösen, also zum Schönheitschirurgen zu gehen oder sich dermatologische Hilfe zu holen. In einem Test, den die KDS-Ambulanz selbst anbietet, gaben von 429 Befragten ganze 25 Prozent an, dass sie schon kosmetische Operationen an sich haben durchführen lassen. 28 Prozent waren der Meinung, dass ihnen nur kosmetische oder medizinische Behandlungen helfen können. Dabei geht das Hadern nach dem Eingriff oft weiter.

In der KDS-Therapie bestehen gute Chancen, dass ein Patient erfolgreich behandelt wird. „Der erste Schritt ist eine gute Diagnostik. Wenn das Problem einen Namen hat, ist es für viele schon sehr entlastend, denn damit ist verbunden: Das haben andere auch, dagegen kann man was tun.“ In Übungen vor dem Spiegel wird trainiert, den Fokus vom wahrgenommenen Makel auf den gesamten Körper zu legen. Schritt für Schritt lernen die Betroffenen, sich wieder Alltagssituationen und dem Blick anderer Menschen auszusetzen.

Oft können auch die Angehörigen einen Beitrag leisten. „Letztlich geht es darum, den Betroffenen zu fragen: Wie kann man helfen? Man sollte versuchen, die Symptomatik zu verstehen. Und offen nachfragen. Es hilft häufig, Informationen einzuholen und auch Ratgeberliteratur oder Selbsthilfebücher zu lesen, um ein Verständnis dafür zu bekommen.“ Schließlich ist es dann vielleicht ein kleinerer Schritt, bis man auch professionelle Hilfe in Anspruch nimmt.

Die KDS-Ambulanz bietet im Netz einen Selbsttest an: kds-muenster.de Hilfe auch unter: kdsambulanz@uni-muenster.de und 0251/83-34148