. Unser Wald im Ausnahmezustand: Wenig Regen und hohe Temperaturen rollen dem Borkenkäfer den roten Teppich aus. Folge: In NRW sterben ganze Wälder

Über einen wunderbar weichen Teppich aus grünen Nadeln geht es in den Wald. Natur pur. Denkste! „Grüne Nadeln auf dem Boden bedeuten, dass die Fichten sterben“, erklärt Förster Andreas Weber. Die Nadelbäume werfen ihr letztes Kleid ab. Der grüne Nadelteppich ist das Leichentuch der Fichte.

„Als ich angefangen habe, hab ich mir was anderes vorgestellt als hier jetzt den Beerdigungshelfer zu spielen“, sagt Weber bitter. Der 29-Jährige ist Leiter des Fortbetriebsbezirkes Dortmund. Wir sind im Forst am Bürenbruch in Schwerte-Ergste, um den Zustand des Waldes zu begutachten. Die Lage ist verheerend. Vor ein paar Monaten standen hier überall noch Bäume. Dicht an dicht reihten sich die Fichten aneinander. Heute ragen nur noch einzelne einsame Bäume in den Himmel. Der Rest ist verschwunden. Gefällt, um den Wald zu schützen. Ein Großteil der Fichten – und die machen in NRW weite Teile der Wälder aus – sterben gerade ab. Wenn sie nicht schon tot sind.

Mein Feind und Kupferstecher

Der Tod hat einen Namen: Trockenheit. Und er kommt in Gestalt des kleinen Borkenkäfers daher. Genauer gesagt sind es zwei Borkenkäferarten: Der „Buchdrucker“ und der „Kupferstecher“.

Förster Andreas Weber mit einer Borkenkäferfalle in einem stark befallenen Waldgebiet in Schwerte-Ergste.
Förster Andreas Weber mit einer Borkenkäferfalle in einem stark befallenen Waldgebiet in Schwerte-Ergste. © Ulrich Hufnagel

Was die ameisengroßen Tierchen anrichten, lässt sich mittlerweile in nahezu jedem Wald in NRW begutachten. Unter der Baumrinde liegen, vergleicht man den Baum mit dem menschlichen Körper, die Blutbahnen, über die die Nährstoffversorgung der Fichten funktioniert. Die Borkenkäfer kappen diese Blutbahnen. Die Folge: Der Baum stirbt. Dieses Drama spielt sich millionenfach ab. Die Bäume ersticken. „Es dauert drei bis vier Wochen, dann sind die Fichten tot“, erklärt Förster Andreas Weber. Die Nadeln fallen ab, die Baumkrone wird dünner und die Rinde löst sich. Das war’s.

Ein Großteil der Wälder besteht aus Fichten

In NRW gibt es etwa 935.000 Hektar Wald, 63 Prozent davon befinden sich in privater Hand. Die Wälder bestehen zu 58 Prozent aus Laubbäumen, meist Buchen und Eichen. Die Fichte ist mit rund 252.000 ha (30 %) die häufigste Baumart, gefolgt von der Buche mit 160.000 ha (19 %), der Eiche mit 140.000 ha (17 %) und der Kiefer mit 65.000 ha (8 %). Auf 42 Prozent der Fläche wachsen Nadelbäume. Besonders im Forstbetriebsbezirk Dortmund (dazu zählt auch Schwerte), im Sauer- und im Siegerland, stellt die Fichte aber oft weit mehr als die Hälfte des Baumbestandes.

Die Borkenkäferfalle dient dem Förster nur dazu, die Anzahl der Schädlinge schätzen zu können.
Die Borkenkäferfalle dient dem Förster nur dazu, die Anzahl der Schädlinge schätzen zu können. © Ulrich Hufnagel/FFS

„Die Schäden durch Sturm, Trockenheit und Borkenkäfer spitzen sich in den nordrhein-westfälischen Wäldern weiter dramatisch zu“, sagt NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Fast 80 Prozent des Baumbestandes in NRW ist beschädigt, 39 Prozent der Bäume gelten sogar als stark geschädigt. Damit ist nur jeder fünfte Baum gesund. Dass sich der Wald in einem miserablen Zustand befinde, sei eine direkte Folge des Klimawandels. „Die globale Erwärmung ist bei uns längst zu spüren“, so Heinen-Esser bei der Vorstellung des letzten Waldzustandsberichtes. Insgesamt befindet sich der Wald im schlechtesten Zustand seit Beginn der regelmäßigen Untersuchungen im Jahr 1984. Die Älteren erinnern sich an das letzte große Waldsterben.

Kleiner Käfer, großer Schaden

Schuld an diesem Drama sind in erster Linie die zwei zurückliegenden überdurchschnittlich heißen und trockenen Sommer. Stürme wie „Friederike“ im Januar 2018 taten ihr Übriges. Nach dem zweiten Dürrejahr in Folge hat die Fichte vielerorts keine Abwehrkräfte mehr. So wurde dem Insekt der Rote Teppich ausgerollt.

Normalerweise kann sich die Fichte gegen den Borkenkäfer sehr gut wehren, sie sondert Harz aus und verklebt den Käfer. Fertig. Dann ist Ruhe in der Rammelkammer. So nennt man den Ort, den sich ein männlicher Borkenkäfer ins Holz gräbt, um sich dort mit einem Weibchen zu paaren und unzählige Larven zu zeugen. Freut sich der Borkenkäfer, stirbt die Fichte.

Rambazamba in der Rammelkammer

Durch den Wassermangel sind die Fichten allerdings so geschwächt – „als hätten sie auf eine ordentliche Erkältung noch eine heftige Grippe bekommen“ – dass sie sich nicht mehr wehren können, erklärt Förster Weber. Bedeutet: Rambazamba in der Rammelkammer! Das Ergebnis sind Millionen von kleinen Borkenkäferlarven, die, nachdem sie sich reichlich Mut angefressen haben, in den Krieg gegen die Fichte ziehen.

Rambazamba in der Rammelkammer: Unter der Rinde eines befallenen baumes wird klar, warum der Borkenkäfer auch Buchdrucker und sein kleinerer Kollege, der am liebsten im oberen Teil der Fichten wütet, Kupferstecher genannt wird. Die Tiere fräsen feine Muster ins Holz der Bäume.
Rambazamba in der Rammelkammer: Unter der Rinde eines befallenen baumes wird klar, warum der Borkenkäfer auch Buchdrucker und sein kleinerer Kollege, der am liebsten im oberen Teil der Fichten wütet, Kupferstecher genannt wird. Die Tiere fräsen feine Muster ins Holz der Bäume. © Hendrik Schmidt/dpa

Kritiker schreiben dem Menschen zumindest eine veritable Teilschuld zu. Zu lange hätten sie mit Nadelbaum-Monokulturen aufs schnelle Geld gesetzt, statt den Wäldern eine gesunde Baummischung zu gönnen. Massenbaumhaltung sozusagen. Das räche sich jetzt.

„Ein Mal Fichte geht immer noch“

„Früher hat man gesagt: ,Ein Mal Fichte geht immer noch’“, erzählt Förster Andreas Weber. Das sagt viel über die Forstwirtschaft der vergangenen Jahrzehnte. „Heute denkt man anders.“ Eiche ist heute ein Renner. Das wusste man vor 200 Jahren aber leider nicht. „Wie unsere Wälder in Zukunft aussehen, kann heute keiner mit Sicherheit sagen“, so Weber. „Man probiert derzeit viel mit widerstandsfähigeren Baumarten: Esskastanie, Robinie und Roteiche sind vielversprechend.“

Sicher ist: „Innerhalb von zwei Jahren muss wieder aufgeforstet werden“, erklärt der Förster die Gesetzeslage. Mit welchen Baumarten die Lücken geschlossen werden, sei noch nicht überall entschieden. „Da haben Land, Bund und EU ja auch mitzubestimmen.“ In den Förderrichtlinien steht genau, welche Baumart wie finanziell gefördert wird. Viele Waldbauern haben jetzt Konsequenzen aus der Borkenkäfer-Plage gezogen. Sie wollen künftig nicht mehr nur auf Fichten setzen, sondern auf Mischwälder.

Kreuzzug gegen den Borkenkäfer

„Den Waldtieren fehlt durch das Massensterben der Fichten der Deckungsraum“, erklärt Förster Weber. Ernsthaft bedroht sei die Population aber durch das Baumsterben nicht. Vorerst. Der Mensch schon, auch wenn sich die Folgen erst langfristig zeigen werden. Die Bäume sind wichtige Sauerstoffproduzenten und leisten einen lebenserhaltenden Kühlungseffekt. Stirbt der Wald, gibt es in Schwerte weniger frische Luft. So einfach ist das.

Abgestorbene Fichten, die die Trockenheit und den Borkenkäferbefall der vergangenen zwei Jahre nicht überstanden haben, stehen zwischen noch gesunden Nadel- und Laubbäumen.
Abgestorbene Fichten, die die Trockenheit und den Borkenkäferbefall der vergangenen zwei Jahre nicht überstanden haben, stehen zwischen noch gesunden Nadel- und Laubbäumen. © Patrick Pleul/FFS

Und der Borkenkäfer, wie rücken die Waldbauern dem zu Leibe? „Die Käfer sind unberechenbar“, sagt Förster Weber. „Derzeit können wir ihnen nur hinterherrennen.“ Das heißt: Die Tiere zerstören so viele Bäume, dass die Forstwirtschaft mit dem Aufräumen nicht nachkommt. Es geht einfach alles viel zu schnell. Die vielen in den Wäldern aufgestellten Fallen können die Probleme nicht lindern. Sie dienen dem Förster derzeit höchstens als Borkenkäfer-Barometer. „Es gibt gar nicht so viele Arbeiter, dass alle Bäume, die jetzt eigentlich schnell aus dem Wald geholt werden müssten, gefällt und abtransportiert werden können. Es gibt die Kapazitäten einfach nicht“, sagt Weber.

Der junge Förster schält mit einem Beil die Rinde eines befallenen Baumes ab. Sofort wird klar, warum der Borkenkäfer auch Buchdrucker und sein kleinerer Kollege, der am liebsten im oberen Teil der Fichten wütet, Kupferstecher genannt wird. Die Tiere fräsen feine Muster ins Holz der Bäume. Von Außen sind die Spuren der Schädlinge nicht leicht zu entdecken. Förster Weber zeigt auf die Rinde. Kleine Löcher, nur Millimeter groß, zeigen, wo der Käfer sich in den Baum gebohrt hat. Feiner Holzstaub am Fuß der Bäume sind ein weiterer Hinweis.

Die Holzpreise sind im Keller

Für die Waldwirtschaft kommt erschwerend hinzu: Durch die heftigen Stürme in der Vergangenheit, die Trockenheit und jetzt auch noch die Borkenkäferplage ist viel zu viel Fichtenholz auf dem Markt. Die Preise sinken in den Keller. „Manchen Waldbesitzern dienen die Bäume als Altersvorsorge. Für die ist das jetzt gerade wie bei einem Börsencrash.“ Warf der Festmeter vor Kurzem noch einen Gewinn von 60 bis 70 Euro ab, liegt er derzeit nur noch zwischen zehn und 15 Euro. Das bedeutet, dass momentan im Prinzip kein Ertrag aus dem Wald zu ziehen ist.

Borkenkäfer sitzen unter der Rinde auf einem Fichtenstam.
Borkenkäfer sitzen unter der Rinde auf einem Fichtenstam. © Hendrik Schmidt/dpa

Das bestätigt auch Andreas Wiebe, Leiter des Landesbetriebs Wald und Holz: „Die Einkommensfunktion des Waldes liegt darnieder und zwar auf mittlere Sicht.“ Der Höhepunkt der Borkenkäfer-Plage wird nach einer Prognose in NRW wohl erst in zwei Jahren erreicht. Bis dahin werde die Population weiter wachsen, so Wiebe. Erst im Jahr 2023 werde es voraussichtlich keinen neuen Befall durch den Borkenkäfer geben. In den nächsten Jahrzehnten sei mit dem Wald kaum noch Geld zu verdienen.

Den Wald stabiler machen

Keine guten Vorzeichen. Doch Deutschlands Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sieht auch etwas Positives: „Wir werden jetzt in der Aufforstung versuchen, den Wald stabiler zu machen.“ Das heißt: „mehr Baumarten, mehr Mischwald“. Klöckner hat dazu ein Aufforstungsprogramm in Höhe von einer halben Milliarde Euro versprochen. Über die Verteilung der Hilfen soll im Dezember entschieden werden. Sicher sei allerdings: „Wir werden nicht jeden Schaden ersetzen können“, so Klöckner. Ihre Landeskollegin Heinen-Esser schlägt in die selbe Kerbe: „Neben den akuten Maßnahmen ist es für die Landesregierung aber auch wichtig, die Wälder im Klimawandel längerfristig stabiler und widerstandsfähiger zu entwickeln.“

Viel Zeit bleibt nicht. Unserem Wald geht es überhaupt nicht gut. Förster Andreas Weber fasst die Situation drastisch zusammen: „Besonders den alten Fichten droht der Totalausfall. Die Situation ist schlecht, es war noch nie so schlimm.“

Grün, grün, grün, waren alle unsere Bäume...

Dieser Text ist zuerst in der Digitalen Sonntagszeitung erschienen. Jetzt für zwei Monate gratis bestellen! Hier geht’s zum Angebot:

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