Bochum. . Wer in Videospielen Gegner ausplündert, kann dadurch eine Straftat begehen. Jurist Ken Eckstein untersucht, wie virtuelle Güter geschützt sind.

Eines der ältesten Automaten-Videospiele heißt „Gun Fight“ von 1975 und geht ungefähr so: Auf jeder Seite des Spielfelds steht ein Cowboy und schießt auf den anderen. Wenn einer trifft, dann kippt der andere um. Tot. Man stelle sich vor: Beim ersten Treffer hält die Polizei vor der Türe. Klack! Handschellen. Der Spieler geht ab hinter Gitter.

Oder: „Baggit Man“ vom C64, bei dem ein Häftling einem Polizisten davonlaufen muss – und nebenbei möglichst viele Geldsäcke mitnehmen. Am Ende muss der Bösewicht in den nächsten Level entkommen. Im realen Leben ein Fall für den Richter: Strafvereitelung und Beihilfe zum Diebstahl.

1000 Euro weg. Und zwei Jahre Spielzeit ruiniert.

Wäre vorstellbar, dass Polizei und Staatsanwaltschaft solchen Delikten tatsächlich nachgehen? Das klingt in diesen beiden Fällen noch reichlich absurd.

Aber in den virtuellen Welten von heute? Da kann man ganz real straffällig werden, wenn man es drauf anlegt. Der Mann, der sich damit auskennt, ist Ken Eckstein, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

Kennt sich aus mit dem Strafrecht nicht nur in der realen Welt: Professor Ken Eckstein von der Ruhr-Universität Bochum
Kennt sich aus mit dem Strafrecht nicht nur in der realen Welt: Professor Ken Eckstein von der Ruhr-Universität Bochum © Roberto Schirdewahn

Seine Aufmerksamkeit erregte ein Fall aus Bochum, als vor zehn Jahren ein Bochumer Spieler bei der Polizei Anzeige erstattete: Phönixschuhe, ein Himmelstränenband, ein Siamesenmesser und sieben Millionen Yang waren gestohlen worden. Zwar nicht ihm persönlich im echten Leben, aber seiner Spielfigur im Online-Rollenspiel „Metin 2“. Die Ausrüstung hatte ihn immerhin 1000 echte, hartverdiente Euro gekostet – und zwei Jahre Spielzeit. Ein ähnlicher Fall landete ein Jahr später vor dem Amtsgericht Augsburg. „Als ich von diesen Fällen gehört habe, bin ich der Sache nachgegangen und darauf gestoßen, dass es noch sehr viel mehr Fälle gibt, in denen auf unterschiedlichste Weise virtuelle Güter betroffen sind. Und die habe ich mir dann mal systematisch angeschaut“, sagt Jurist Ken Eckstein.

Wenn der Gildenmeister diebisch wird

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Kriminalität im Cyberspace hatte schon zuvor seine Aufmerksamkeit geweckt: „Das juristische Grundinteresse geht zurück bis ins Jahr 2003, als mit ,Second Life‘ ein sogenanntes Metaversum entstand. Da kamen schon recht früh Diskussionen auf, weil dort Kinderpornografie verbreitet wurde. Das ist natürlich auch online strafbar. Aber es stellte sich im Hintergrund die Frage, wie es sich überhaupt mit virtuellen Objekten und Handlungen in der virtuellen Welt verhält.“

Er stieß etwa auf strafrechtlich relevante Vorgänge im Online-Rollenspiel „World Of Warcraft“. Wenn Spieler dort Waffen, Rüstungen, magische Gegenstände oder Gold erspielen, müssen sie dies nicht zwangsläufig in ihrem Spieler-Inventar mit sich herumschleppen. Sie können mit mehreren Spielern eine Gilde bilden und eine Bank gründen. Dort deponieren sie dann die wertvollen Gegenstände und ein Gildenmeister verwaltet sie. Aber mit großem Reichtum steigt auch die Versuchung. Und so kam es, dass bereits mehrere Gildenmeister mit den ihnen anvertrauten Schätzen auf und davon waren.

Skins für Waffen, die 10.000 Euro und mehr wert sind

Das Zivilrecht hat einige Probleme damit, solche virtuellen Gegenstände zu schützen. Und was ist mit dem Strafrecht? „Ich hatte eigentlich vermutet, dass das Strafrecht da erst recht Schwierigkeiten hat, weil es das letzte Mittel des Staates ist. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass diese virtuellen Güter sehr viel leichter vom Strafrecht zu erfassen sind. Weil das Strafrecht auch Daten schützt. Und weil es alle Güter schützt, die einen Vermögenswert haben“, so Eckstein.

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Dabei kann es in manchen Spielen um verblüffend hohe Summen gehen. „Ich habe kürzlich mit einem Gamer gemailt, der mir von ,Counterstrike‘ berichtet hat. In diesem Ego-Shooter gibt es spezielle Skins für Waffen, die sind teilweise 10.000 Euro und mehr wert. Es sind also teils wertvolle Güter, die da entstehen, und andererseits sind es letztlich nur Daten auf irgendeinem Server, denn mehr ist es ja nicht“, so der Jurist. Und auf diesen Server hat man eben keinen unmittelbaren Zugriff, denn er steht irgendwo auf der Welt.

Verbrechen als fester Bestandteil der Handlung

Juristisch stellt sich grundsätzlich das Problem, dass die Daten keine körperliche Existenz haben, man könnte sie vervielfältigen – und sie sind juristisch betrachtet kein Eigentum. Folglich konnte im eingangs erwähnten Fall der gestohlenen Phönixschuhe auch kein Diebstahl vorliegen, sondern lediglich die „rechtswidrige Veränderung von Daten“.

Das ändert nichts am Wert der virtuellen Gegenstände – und daran, dass sie auch reale Handelsgüter sind. „Teilweise werden sie innerhalb der Spiele gehandelt, teilweise auch außerhalb auf Ebay“, so der Jurist.

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Und was ist mit Spielen, in denen das Begehen von Verbrechen fester Bestandteil der Handlung ist, ja sogar das Ziel des Spiels? Eine der erfolgreichsten Spielereihen der vergangenen 20 Jahre trägt es schon im Namen: „Grand Theft Auto“. Es geht also um Autoklau – und um eine Verbrecherkarriere. Läuft etwa jeder Gefahr, Straftaten zu begehen, der das Spiel im Multiplayer-Modus spielt, also gegen andere?

Jurist Eckstein zieht eine Analogie zum Sport. Schließlich endet nicht jedes Foul in der Bundesliga mit einer Anzeige wegen Körperverletzung. „In virtuellen Welten sollte es für spielkonformes Verhalten einen straffreien Raum geben“, sagt er und schränkt ein wenig ein: „Es ist im Einzelfall genau zu untersuchen: Wo endet die Spielkonformität und wo wird es dann spielextern. Wenn es spielextern wird, dann würde ich wieder sagen, greift das Strafrecht ganz normal durch.“

Stillschweigende Übereinkunft über Straffreiheit

Wenn aber allen Beteiligten grundlegend klar ist, dass auf dem Spielfeld, sei es im Sport oder im virtuellen Bereich, viele Handlungen straffrei bleiben, auch wenn sie die Regeln verletzen, besteht kein Strafbedürfnis.

Die virtuelle Welt stellt auch Juristen ständig vor neue Herausforderungen, gerade weil sie sich so rasant verändert und neue Möglichkeiten eröffnet. Eckstein: „Es geht immer neu um die Frage, wie wir mit der virtuellen Welt umgehen. Am Anfang dachte man: Da entsteht jetzt etwas ganz Neues, ein rechtsfreier Raum. Solche Piratenfantasien waren da lebendig, man nahm an, dass sich ein Raum der totalen Freiheit entwickelt. Aber dann wurde immer mehr klar, dass das auch ein Teil der realen Welt ist.“ Und es führt noch einen Schritt weiter: „Mittlerweile wird deutlich, dass die Überwachung und Verfolgung von Handlungen in der digitalen Welt viel leichter möglich ist, weil jeder Vorgang Spuren hinterlässt.“