Bochum. . Manche Menschen haben Panik vor Infektionen, das führt zu Waschzwang. Forscher wollen die Störung in nur einem Tag besiegen - Teilnehmer gesucht!

Nun stellen Sie sich mal vor, sie sollten mit der bloßen Hand über die Klobrille in einer öffentlichen Toilette streichen! Igittigitt. Oder gar jemandem die Hand schütteln, der das gerade getan hat. Und sich danach noch ins Gesicht fassen!!!

Es gibt nicht wenige Menschen, denen sich bei einer solchen Vorstellung die Nackenhaare aufstellen. Und den Reflex, sich danach mal gründlich die Hände zu waschen, können die meisten wohl gut nachvollziehen. Und das ist auch vollkommen richtig so. Bis zu dem Punkt, an dem eine panische Angst vor den Bakterien oder Viren, die man am Körper trägt, zum echten Problem wird.

Das kostet viel Zeit und macht Leute unflexibel im Alltag

Dr. André Wannemüller, Psychotherapeut und Experte für Phobien an der Ruhruniversität Bochum.
Dr. André Wannemüller, Psychotherapeut und Experte für Phobien an der Ruhruniversität Bochum. © André Hirtz

„Es kann sein, dass manche Betroffenen spröde, raue, oder auch offene Haut an den Händen oder an den Armen haben, weil sie wirklich so exzessiv waschen“, sagt André Wannemüller vom Lehrstuhl für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. Er hat sich mit Menschen auseinandergesetzt, die an Waschzwang leiden. „Es bleibt oft nicht nur beim Waschen der eigenen Hände und Arme. Es geht manchmal auch so weit, dass die ganze Wohnung desinfiziert wird, damit diejenigen sich wieder besser fühlen. Das kostet wahnsinnig viel Zeit, macht die Leute unflexibel in ihrem Alltag und führt oft zu Problemen. So entsteht auch auf anderer Ebene noch einmal ein Leidensdruck.“ Menschen kommen zu spät zur Arbeit und zu anderen Terminen, vermeiden persönlichen Kontakt zu ihren Mitmenschen.

Heute infiziert, krank in sechs Wochen?

Wannemüller und seine Kollegen haben nun ein Gruppentraining entwickelt, mit dem sie helfen wollen, die Angst vor einer Ansteckung an nur einem Tag überwinden. Dazu suchen sie 100 Betroffene, die an der kostenlosen eintägigen Behandlung teilnehmen wollen.

Für den Psychotherapeuten ist dies insofern auch ein neues Gebiet, weil er solche Trainings bisher nur mit Menschen mit Angststörungen durchgeführt hat, aber bei Zwangsstörungen noch nicht.

Die Probleme sind hier etwas anders gelagert als bei einer Angst vor Spinnen oder bei Flugangst. „Wer eine solche Angst hat, der hat manchmal das Gefühl, dass er sich heute mit etwas infiziert, aber erst in vier oder sechs Wochen krank wird. Da ist die Unmittelbarkeit nicht so gegeben“, sagt Wannemüller.

Die Angst, andere Menschen anzustecken

Der Waschbär heißt nur so: Weil er seine Nahrung in den Händen dreht und prüft, denkt man fälschlicherweise, er würde sie waschen.
Der Waschbär heißt nur so: Weil er seine Nahrung in den Händen dreht und prüft, denkt man fälschlicherweise, er würde sie waschen. © Shutterstock

Bei manchen der Betroffenen geht das einher mit einem erhöhten Verantwortungsgefühl auch für ihre Mitmenschen, sie fühlen sich wie das sprichwörtliche Bazillenmutterschiff, das Krankheiten an seine Umgebung verschleudern könnte. „Es gibt verbreitet die Vorstellung: Ich mache geliebte Menschen krank, weil ich etwas an mir habe. Vielleicht, weil ich mich nicht gut genug gewaschen habe, so dass ich bei Berührung andere Menschen anstecke. Es entsteht dann auch noch ein Schuldgefühl. Auch solche Menschen wollen wir mit unserem Programm mitnehmen.“

Wenn man an die Orte denkt, die besonders von Viren und Bakterien besiedelt sein können, fallen einem meist die falschen ein. So sind etwa Toilettensitze oft viel weniger betroffen als etwa Computertastaturen und -mäuse, die Fernbedienung eines Hotelfernsehers oder etwa ein Küchenschwamm, wenn der schon längere Zeit im Einsatz ist. Im Inneren haben es Bakterien hübsch warm und feucht – obwohl man denken sollte, dass man mit solch einem Teil doch eigentlich das Geschirr sauber macht.

Pferdeäpfel anfassen? Muss manchmal sein...

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Der grundsätzliche Ansatz von Wannemüller und seinen Kollegen ist nicht ganz neu, es geht um die sogenannte Exposition, also die Konfrontation mit potenziell kontaminierten Gegenständen. „Wir werden den Leuten Material und Videos präsentieren, bei dem Menschen mit vermeintlich schwer kontaminierten Gegenständen in Kontakt getreten sind. Da würden Menschen mit Kontaminationsangst auf jeden Fall denken, dass diese Person auf jeden Fall in den nächsten Wochen schwer krank werden würde. In der Regel kommt unser Körper aber mit solchen Bakterien sehr gut zurecht. Dann werden wir die Entwicklung über die nächsten Tage abbilden. “

Es kann also sein, dass manche Teilnehmer etwa Pferdeäpfel anfassen müssen. Das schaffen viele der Betroffenen auch noch. Aber dabei haben sie immer im Hinterkopf, dass sie sich ja im Anschluss sofort gründlich waschen und desinfizieren können. Ziel ist es aber zu zeigen, dass auch beim Wegfall des Waschens nicht unbedingt etwas passieren muss. Es geht also darum, dass man nicht nur der eigenen Angst begegnet, sondern sie im Anschluss auch neu zu bewerten lernt.

Für Chirurgen notwendig, bei Waschzwang schädlich

Die Hygiene und Desinfektion, die etwa für Chirurgen notwendig ist, wäre für die Behandlung einer Zwangsstörung eher schädlich.

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Bei Angststörungen hat Wannemüller bisher gute Erfolge erzielt (siehe Text unten). Er ist überzeugt, dass sich die Ergebnisse auf den Waschzwang übertragen lassen. „Wenn die Leute merken: Waschen nimmt in meinem Leben eine viel zu große Relevanz ein, bei der ich nicht sicher bin, ob das noch normal ist, sollten sie sich anmelden.“ Am Ende wird nicht jeder kuriert sein, aber das kann man auch bei anderen Methoden der Psychotherapie nicht mit Gewissheit sagen. Ein schlagendes Argument hat der Psychotherapeut noch auf der Hand: „Wenn man zu Hause bleibt, wird sich an dem Problem mit Sicherheit nichts ändern. Wenn man aber teilnimmt, hat man zumindest eine gute Chance.“

>>>Spinnen? Schlangen? Flugangst? Keine Bange!

Pfui Spinne - für manche ist dies ein Horror-Bild.
Pfui Spinne - für manche ist dies ein Horror-Bild. © meltonmedia

Es ist zwar das erste Gruppentraining gegen eine Zwangsstörung, bei der Therapie von Angststörungen aber haben die Forscher des Lehrstuhls für klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum schon gute Erfolge erzielt. Davon zeugt auch das Bücherregal in André Wannemüllers Büro, in dem sich unter anderem die haarige Haut von Hildegard findet, einer Vogelspinne, die beim Gruppentraining zum Einsatz kam, aber mittlerweile verstorben ist. Ihre lebendige Nachfolgerin Susi hält sich im Terrarium hauptsächlich schüchtern unter der Erde auf.

Auch bei der Bekämpfung der Angst gegen Schlangen waren die Forscher erfolgreich. „Bei den Ängsten vor diesen Tieren gibt es vermutlich sogar eine genetische Komponente“, sagt Wannemüller. Schließlich waren unsere Vorfahren ja tatsächlich öfter durch Schlangen und Spinnen bedroht.

Am erfolgreichsten waren die Bochumer bislang übrigens mit ihrer Großgruppenbehandlung von Flugangst – und aufsehenerregend war auch die sogenannte Exposition mit der Angstsituation. „Wir haben tatsächlich eine A 321 gemietet und sind mit 140 Flugphobikern unterwegs gewesen. Das war echt ein größeres Projekt“, sagt Wannemüller und lacht. 29 Therapeuten waren mit an Bord. Im Moment befindet sich das Team noch in der Endauswertung, die Teilnehmer mussten im Anschluss noch einen Flug allein absolvieren.

Aber es lässt sich jetzt schon sagen: „Nach sechs Monaten ist bei den Leuten eine Angstreduktion von 40 bis 50 Prozent eingetroffen.“ Manche sind komplett von Flugangst geheilt, anderen geht’s beim Fliegen zumindest durchweg besser. Und wer nun denkt, dass diese Quote nicht hoch sei, sollte bedenken: Das Training hat ja nur einen Tag lang gedauert, ein sehr geringer Aufwand für eine Therapie, die das Leben deutlich verbessern kann.

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