Bottrop. . Zur Interkulturellen Woche: Marisa Blanco kam aus Spanien hierher, Julia Schlegel aus der Russischen Föderation. Sie berichten, wie’s damals war.

Integration ist zwar eines der großen Themen der letzten Jahre in Politik und Gesellschaft, aber sie bleibt oft ein abstrakter Begriff. Welche Erfahrungen man macht, wenn man in ein Land kommt, in dem erst alles fremd ist, wollten wir von Menschen wissen, die es erlebt haben. Marisa Blanco kam 1973 aus Spanien nach Deutschland, der Liebe wegen. Und Julia Schlegel kam 2003 als Spätaussiedlerin mit Mann und Sohn aus Uljanowsk in der Russischen Föderation. Daniela von Bremen von der Integrationsagentur der evangelischen Kirche in Bottrop holte die beiden Frauen zum Gespräch über Integration an den Tisch – wir waren dabei.

Wie haben Sie sich am Anfang in Deutschland gefühlt?

Blanco: Bei mir war es durch die Liebe leichter als für andere. Ich hatte meinen Mann Jahre zuvor bei einem Jugendaustausch in Remscheid kennengelernt und später in Madrid geheiratet. Aber am Anfang war alles komisch. Die Leute hatten komische Gewohnheiten, zum Beispiel mit der Pünktlichkeit, mit der Organisation und der Ordentlichkeit. Als ich Wäsche am Sonntag im Garten aufgehängt habe, sagten die Leute: Das geht nicht! Es war auch eine andere Kultur. Ich sprach damals sehr laut und das Erste, was mir gesagt wurde: Deutschland ist wie eine riesige Kirche, man muss leise sprechen. Hier wird nicht so gesprochen, wie du es tust, sondern man muss leise sprechen.

Und das Essen war auch komisch, aber am besten war für mich Kuchen, denn ich liebe Kuchen. Aber sonst war alles neu und anstrengend, nach einer Viertelstunde habe ich abgeschaltet, weil ich mich nicht mehr konzentrieren konnte.

Schlegel: Ich kam 30 Jahre später, 2003.

Blanco: Du hattest aber eine gewisse deutsche Vergangenheit...

Marisa Blanco (75) und Julia Schlegel  (47)im Gespräch.
Marisa Blanco (75) und Julia Schlegel (47)im Gespräch. © Ralf Rottmann

Schlegel: Ja, aber mit guter Bedeutung. Für mich war vieles wahrscheinlich leichter, weil wir als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind und schon vieles für uns vorbereitet war. Wir durften Sprachkurse besuchen. Aber die Qualität des Lebens war für uns einigermaßen da, wir haben nicht von null angefangen. Wir wurden erstmal gefragt, welchen Ort wir zum Leben wünschen. Ich habe gesagt: Natürlich da, wo meine Mutter lebt. Erst gab es in Bottrop keinen freien Platz. Aber da haben wir gedacht, wir warten lieber noch ein paar Tage. Vielleicht kommt ja noch ein Angebot aus Bottrop. Am nächsten Tag haben wir den Bescheid bekommen, dass wir nach Bottrop dürfen. Mein Kind war schon sieben und ist in die Schule gegangen. Das war eine schwere, aber auch interessante Zeit. Wir mussten auf eigenen Füßen stehen und die Sprache lernen.

von Bremen: Aber du hast gar kein Deutsch gesprochen, als du hergekommen bist?

Schlegel: Zu Hause haben wir ein paar Wörter gesprochen mit Omma und Oppa. Aber das war kein Hochdeutsch, es klang eher wie vor 300 Jahren.

Blanco: Ich finde, das Entscheidende ist: Wenn ich hierhin komme und ich bleibe hier, dann muss ich Deutsch lernen. Hätte ich gewusst, dass ich in drei Jahren wieder weg gewesen wäre, hätte ich mich nicht bemüht.

von Bremen: War es schwer, Arbeit zu finden?

Blanco: Nein, ich als Katholikin, ich habe angefangen bei der Caritas.

Schlegel: Auch ich hatte großes Glück durch die Kirche und den Glauben. Ich habe als Kirchenmusikerin damals bei der Instrumentenkiste angefangen, in der instrumentalen Früherziehung. Ich habe auch früh damit angefangen, dass ich im Kirchenchor singe.

Hatten Sie wegen der Sprache anfangs größere Probleme?

Daniela von Bremen von der Integrationsagentur Bottrop.
Daniela von Bremen von der Integrationsagentur Bottrop. © Michael Bokelmann

Blanco: Schon das Aussehen spielte eine Rolle. Ich war damals ganz dunkel, trug lange schwarze Haare. Ich hatte meinen Mund noch gar nicht aufgemacht, da fragten die Leute schon: Woher kommen Sie? Die Leute wussten: Du gehörst nicht hierher. Dieses Aussehen hat mich damals irgendwie gestört, ich hätte mir gewünscht, dass ich ganz blond gewesen wäre und hätte helle Haut gehabt so wie jetzt.

Schlegel: Nur die dunklen Augen zeigen noch, dass du vielleicht woanders her kommst.

Blanco: Nein, als ich vor ein paar Tagen im Landtag war und gefragt wurde, wo ich herkomme, sagte man mir: „Spanien? Sie sehen aber nicht so aus!“ Endlich! (lachen beide)

Schlegel: Einmal hat mich ein kleines Kind mitten im Musikunterricht angeschaut mit großen Augen und hat gefragt: Julia, sag mal, welche Sprache sprichst du? (lacht) Das Kind hat schon gemerkt, dass irgendetwas in meiner Sprache, meinem Akzent nicht so wie bei Mama und Papa ist. Ich sagte: Ich versuche, Deutsch zu sprechen. Aber das war so witzig, das vergesse ich nie.

Welche Erfahrungen haben Sie mit ihren Nachbarn gemacht?

http://Die_Integrationsarbeit_in_Rheinberg_sichtbar_machen{esc#227082537}[news]Schlegel: Als wir in unsere erste Wohnung eingezogen sind, waren die Nachbarn eine gute deutsche Familie. Wir waren erst zwei Wochen in dem Haus und es war Nikolaus. Da gehe ich morgens raus, um mein Kind zur Schule zu bringen. Und da steht ein wunderbarer Weihnachtsstern auf der Treppe mit einer Karte: „Herzlich willkommen!“ Das war so rührend, ich habe Tränen in den Augen gehabt. Das war ein Zeichen, dass die uns nicht fremd sein wollten. Diese Nachbarn waren ganz tolle Menschen, mit denen wir später Partys im Garten gefeiert haben, zum Geburtstag waren wir eingeladen, bei den Beerdigungen der Eltern habe ich die Orgel gespielt. Das war fast, als wäre das Verwandtschaft.

Blanco: Meine Nachbarn haben mir damals gesagt: Wenn deine Eltern aus Madrid kommen, sollen die lieber zu uns kommen. Bei uns ist ein richtig normaler, typisch deutscher Haushalt. So nach dem Motto: Nicht, dass die glauben, in Deutschland wäre es so, wie ihr wohnt. Die sagten das ganz nett, aber sie sagten eben, dass man bei ihnen das Ordentliche von Deutschland sehen kann.

Gab es damals Berührungsängste auf beiden Seiten?

Blanco: Wichtig ist, dass man keine Angst hat. Die Ängste sind schrecklich, von beiden Seiten. Bei mir war es die Angst, dass ich etwas falsch mache. Und die Leute haben mir gegenüber bestimmt auch Ängste gehabt, weil sie dachten, dass ich vielleicht komisch bin.

von Bremen: Ich merke auch immer, wenn man hier über den Gang geht bei der Flüchtlingsberatung und man hört die Menschen sprechen: Wenn man den Menschen dann in ihrer Sprache „Guten Tag“ sagt, haben sie immer ein Leuchten in den Augen.

Schlegel: Die Integrationserfolge kommen manchmal auch gar nicht so, wie wir uns das wünschen. Sie kommen überraschend. Meine Chorsänger wünschen sich von mir mittlerweile schon russische Lieder, weil sie die gerne singen. Dabei habe ich das gar nicht so gewollt.

>>>Die interkulturelle Woche

Die Interkulturelle Woche wurde von der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche und der Griechisch-Orthodox Metropolie ins Leben gerufen. Es gibt sie schon seit 1975. Das Motto in diesem Jahr lautet „Zusammen leben, zusammen wachsen“. Vom 22. bis 29. September finden 5000 Veranstaltungen statt – viele davon auch an Rhein und Ruhr. Mehr Info: interkulturellewoche.de