Nach den kümmerlichen „Nuller“-Jahren und den unreifen „Zehnern“ könnte eine stilvolle Ära anbrechen. Prohibition verhindert maßlose Präsidenten.

Vorige Tage ist mir etwas Goldiges aufgefallen. Wahrscheinlich haben es weitsichtigere Leute längst bemerkt: Bald ist 2020! Ach?, gähnen Sie jetzt. Doch!, freue ich mich. Wir kriegen die 20er Jahre! Nach lauter dösigen Dekaden endlich wieder ein Jahrzehnt mit einem verheißungsvollen Titel.

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Unsere TV-Sender zeigen ja nichts lieber als die Vergangenheit. Es müsste Rücksehen und nicht Fernsehen heißen. Dauernd sitzen mittelprominente Menschen auf einer Couch und lassen „ihr“ Jahrzehnt Revue passieren. Meistens sind es die 80er Jahre.

Nicht weil die so interessant waren, sondern wegen der Quote: Damals genoss der geburtenstärkste Jahrgang aller Zeiten seine Jugend und muss das angeblich vor der Glotze noch mal nachleben. Wirklich? Reicht es nicht, wenn man Karottenhosen und Modern Talking-Hits einmal verbüßt hat?

Ein Kleid aus Koteletts

Dann lieber Rückblicke auf die 60er. Kann passieren, dass ich meinen Kindern stolz verkünde: „Tja, aus dieser spannenden Zeit stammt eure Mutter!“ Wobei ich hoffe, dass sie nicht nachrechnen, was ich als Vierjährige zum Erfolg der Beatles und der Studentenrevolte beitragen konnte. Das Jahrzehnt, in dem ich endlich anfing, zum Bruttosozialprodukt meines Landes beizusteuern, waren die 90er.

Als deren Verdienst werden in den TV-Shows vor allem Nintendo, Tamagotchi, das Arschgeweih und die Boygroups gepriesen. Schuldbewusst versuche ich vorwärts zu blicken, in die: Nuller-Jahre. Was für ein vernichtender Name für ein anbrechendes JahrTAUSEND, warum nicht noch mehr verniedlichen: Schnuller-Jahre? Die „Zehner-Jahre“ klingen ähnlich unreif. Als stünden sie in Kniestrümpfen im Kindergarten der Geschichte.

Doch jetzt schillern vor uns die nagelneuen 20er Jahre. Man denkt an das goldene Zeitalter voller Art Deko, Bauhaus,Tucholsky, Swing... und Freiheit: Die Frauen entsorgten ihre Korsetts, schockierten mit Bubikopf und feierten die Emanzipation mit Federboa. Und wir? Wieviel mehr müssten wir bieten, um die Welt in Wallung zu bringen! In einer Zeit, in der Lady Gaga ein Kleid aus Koteletts trägt und der US-Präsident mit Zuckerwatte auf dem Kopf Grönland kaufen will?

Wer schreibt denn da?

Maike Maibaum schreibt seit Jahren die Kolumne „geschenkt“: Die NRZ-Redakteurin und Mutter von zwei Kindern ist Expertin für den alltäglichen Wahnsinn im Familienleben. Sie lästert jede Woche lustig über ihre Lieben und die wildgewordene Welt. Zwei Bücher mit den besten Geschichten („Geschenkt“, „Noch mehr geschenkt“) sind im Klartext-Verlag erschienen, illustriert vom preisgekrönten Karikaturisten Thomas Plaßmann.

Lustigerweise hat es uns rechtzeitig zur neuen Dekade ein Mädchen mit strammen Zöpfen vorgemacht. Frisur ist egal, Freitag ist Demo. Klamotten waren gestern, jetzt kommt: Klima. Schon regt sich die Menschheit... auf. Oder träumt: Unsere 20er sind die Ära der goldenen Globalisierung! Umweltschutz wird rund um die Erde geradezu frivol fröhlich gefeiert, von mir aus mit Federboas aus glücklich im Alter verstorbenen Bio-Hühnern. Die USA sagen Flaschen den Kampf an, es kommt zur Neo-Prohibition – Millionen werden von ihrer Trumpsucht geheilt...

Grönland, 2020, unverkäuflich