Essen. . Neue Studie: Bei Facebook, Instagram und Youtube herrschen Geschlechterklischees wie in den 50er-Jahren - und die meisten stört das gar nicht.

Wie heißt der größte Feind der Gleichberechtigung? Internet! Genauer gesagt: Soziale Medien! Eine neue Studie zu „Rollenbildern in den Sozialen Medien“ lässt daran wenig Zweifel. Befragt wurden 1000 junge Frauen und Männer im Alter von 14 bis 32 Jahren im Auftrag der Kinderrechtsorganisation Plan International. Viele der Ergebnisse dürften nicht nur bei Alice Schwarzer zum Haareraufen führen. So wurde gefragt, ob das immer noch herrschende Lohngefälle zwischen Mann und Frau in Ordnung sei. Verblüffendes Ergebnis unter den Frauen, die täglich Soziale Medien nutzen: 32 Prozent von ihnen fanden es in Ordnung, wenn sie für die gleiche Arbeit weniger bezahlt bekommen als ein Mann. Bei den Frauen, die seltener auf Instagram, Facebook oder Youtube unterwegs sind, waren es immerhin deutlich weniger, 17 Prozent, die sich mit der offensichtlich ungerechten Entlohnungspraxis einverstanden erklärten – und mit der Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts.

Es regieren die Stereotype

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Auch bei den Männern zeigte sich in der Frage der schlechteren Entlohnung von Frauen, dass unter den regelmäßigen Nutzern der Sozialen Netzwerke eine höhere Zustimmung zum Lohngefälle zwischen den Geschlechtern herrschte: 52 Prozent fanden die ungleiche Bezahlung okay. Bei jenen, die sich nicht so häufig einloggen, waren es immerhin noch 29 Prozent.

Typisch männliches Interesse: Sport und Fitness stehen bei den Vorbildern in Sozialen Medien hoch im Kurs.
Typisch männliches Interesse: Sport und Fitness stehen bei den Vorbildern in Sozialen Medien hoch im Kurs. © Getty

Interessant wird’s auch, wenn man sich anschaut, welche Themen die Multimedia-Vorbilder des eigenen Geschlechts besetzen – hier werden vor allem die stereotypen Rollenbilder bedient. Sprich: Frauen suchen sich Influencerinnen aus den Bereichen „Beauty, Schminken, Kosmetik“, „Mode“ und „Food, Ernährung, Kochen“, bei den Männern liegen „Gaming“, „Comedy“ und „Sport, Fitness, Training“ weit vorn.

Traditionelle Ansichten bei Geschlechterrollen

Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung des Auftraggebers Plan International, stellt dazu fest: „Die Rollenbilder, die in den Sozialen Medien vermittelt werden, ähneln überwiegend der Geschlechterdarstellung der 1950er Jahre.“ Ebenso erstaunlich: Nur ein Drittel der befragten Frauen und Männer stören sich an den auf Instagram und Youtube vermittelten Rollenbildern. „Die sozialen Medien haben einen enormen Einfluss darauf, wie junge Menschen denken. Sie wirken wie ein Verstärker für traditionelle Ansichten hinsichtlich der Geschlechterrollen. Unsere Befragung hat gezeigt, dass die meisten Nutzerinnen und Nutzer bei Instagram und Co. Menschen folgen, die eine Vorbildfunktion für sie haben“, so Röttger. Sie fasst zusammen: „Wer jeden Tag veraltete Rollenbilder sieht, überträgt diese Vorstellungen irgendwann auf sein eigenes Leben.“

Der „neue Mann“ in alter Umgebung? Im Netz würde man ein solches Bild eher als Scherz empfinden.
Der „neue Mann“ in alter Umgebung? Im Netz würde man ein solches Bild eher als Scherz empfinden. © Getty

In gewisser Weise ist ja auch nachvollziehbar, dass man von Schminktopf-Youtuberinnen wie Bibi oder Dagi Bee keine Tipps zu Videospielen oder Einschätzungen zur politischen Gesamtlage bekommt. Umgekehrt wäre es wohl irritierend, wenn sich die bärtige Gaming-Koryphäe Gronkh die Augenbrauen zupfte oder ein Entertainer wie Rezo plötzlich Styling-Tipps gäbe.

Hoher Druck zur Selbstdarstellung

Auch was die Aufteilung von häuslichen Pflichten angeht, sind die Frauen mit starker Online-Affinität stärker in den alten Zeiten verhaftet: 35 Prozent meinen, dass die Frauen Haushalt und Familienleben im Griff haben sollten, bei den Männern sind es sogar 55 Prozent.

Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan Deutschland.
Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan Deutschland. © Plan Deutschland/Morris Mac Matzen

„Was wir gerade in den Sozialen Medien erleben, ist ein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung“, stellt Maike Röttger fest. „Das steht im starken Widerspruch zu dem, was wir in Hinsicht auf die Gleichberechtigung bisher erreicht haben – das aktuelle Kabinett im Bundestag ist so weiblich wie noch nie und wir haben seit vielen Jahren eine Frau an der Spitze unseres Landes, es wird öffentlich über Frauenquoten und Parität diskutiert“, sagt sie.

Erwartungsdruck, Mobbing, Gruppenzwang

Die Diskrepanz zwischen dem realen Leben und der medialen Darstellung ist den jungen Nutzern übrigens allzu bewusst – und setzt sie teils unter Druck, sich besser darzustellen. Die Studie befindet: „Frauen stellen sich gerne selbstbewusster, entspannter und klüger dar; Männer hingegen oft cooler und lustiger, als sie sich selbst einschätzen würden.“

Dass man sich für die Posts in den Sozialen Netzwerken in ein besseres Licht setzt, scheint selbstverständlich: 94 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer gaben an, mindestens eine Maßnahme zur Optimierung ihrer Posts vorzunehmen, sei es die Bearbeitung ihrer Bilder und Videos oder zumindest die Kontrolle von Umgebung, Gesichtsausdruck und Körperhaltung – die Zeit des natürlichen Schnappschusses scheint vorbei zu sein. Einerseits, weil es den jungen Netznutzern Spaß macht. „Allerdings scheinen auch Faktoren wie Erwartungsdruck, Mobbing oder Gruppenzwang eine Rolle zu spielen“, befindet die Studie.

Aus dem Risiko entsteht die Chance zur Veränderung

Muss man also angesichts des starken Einflusses und der vermeintlich unkontrollierbaren Entwicklung in den Onlinekanälen vor dem Rückschritt ins Patriarchat kapitulieren? Maike Röttger sieht das nicht so: „Social Media stellen einerseits ein Risiko dar, auf der anderen Seite bieten sie auch eine große Chance, Veränderungen anzustoßen. Rund 3,5 Milliarden Menschen auf der Welt nutzen diese Plattformen – also fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Wenn wir alle es schaffen, dass wir weniger stereotype und mehr emanzipierte und unabhängige Rollenbilder transportieren, können wir damit einen großen Schritt in Richtung Gleichberechtigung gehen.“

>>>Die Stars aus den sozialen Medien

Bei vielen Netz-Berühmtheiten ist die Frage: Sind sie bekannt geworden, obwohl sie von den traditionellen Medien übersehen wurden – oder gerade, weil sie sich ihren Weg über Youtube, Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok gesucht haben?

Die Zahlen sprechen für sich: Bianca Heinicke hat mit Bibis Beauty Palace allein auf ihrem Youtube-Kanal 5,7 Millionen Abonnenten, bei Instagram 6,7 Millionen Follower, bei Facebook 1,2 Millionen Abonnenten. Auch Chef-Gamer Gronkh ist mit seinem Spiele-Kanal weiterhin erfolgreich, er hat 4,8 Millionen Abonnenten auf Youtube, auf Twitch.tv noch eine Million Follower, auf Instagram 950.000 Fans.