Wo ist die Baumwolle geblieben? Will die Textil-Industrie uns verglühen? Polyester-Kleidung ist wohl die gerechte Strafe für den Klimawandel.
Es gibt keinen Klimawandel, es gibt nur schlechte Kleidung. Das ist natürlich Blödsinn. Wer nach diesem Glutsommer die Erderwärmung leugnet, hat einen Sonnenstich oder fortgeschrittenes AfD. Aber die schlechte Kleidung ist mit jedem Hitzetag schwerer zu ertragen. Warum produzieren die Modefirmen bloß textile Saunen?
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Zur Strafe? Die Welt bekommt die Kleidung, die sie verdient. Viele Menschen halten Glamour für ein Grundrecht. Joseph Beuys hat verkündet, jeder sei ein Künstler. Heute stellt Heidi Klum klar, dass jedes (dünne!) Meeeedchen ein Topmodel ist. Schon will man immer gekleidet sein wie auf dem roten Teppich. Da die wenigsten das Konto einer Klum besitzen, müssen Textilfabriken die Haute Couture billig nachbauen.
Aus Polyacryl, Nylon, Viskose... Sieht gut aus, in der Werbung und von Weitem. Auf der Haut werden die Stoffe zur Plage. Sie knittern, und wenn die Sonne brennt, benimmt sich Polyacryl wie das, was es eigentlich ist: gewebte Plastikfolie. Darunter schmoren wir wie Gemüse im Treibhaus. Das ist gerecht, nachdem wir die Erde verglüht haben. Und weil Kinder in Bangladesch unter schweißtreibenden Bedingungen unsere Schnäppchen nähen. Soweit das große Ganze.
Tornados zerzausen Donald Trump
Das hilft wie immer wenig in der kleinen Umkleidekabine, wo wir bei 35 Grad Außentemperatur verzweifelt luftige Kleidung suchen. Gab es nicht einst, als die Telefone noch Schnüre und die Kaffees keine Deckel hatten, Blusen aus... atmender Baumwolle? Leider überlebten sie nicht mal in den Winkeln leerer Traditions-Kaufhäuser, in denen gut ausgebildete Verkäuferinnen traurig auf Kunden warten.
Vielleicht geschieht ein Wunder – aus Geldgier, dem zuverlässigsten Antrieb. Mit der Hitze steigt die Nachfrage für Naturstoffe. (In Afrika trägt keiner freiwillig Polyacryl.) Der Markt reagiert, bald werden in Massenproduktion ökologische Kleidungsstücke produziert. Der Plastikberg schrumpft, Kunststoff kommt aus der Mode. Kinderarbeit auch.
Die Ozeane erholen sich, überall schwimmen lächelnde Delphine. Sie retten sogar die Flüchtlinge aus dem Meer, die wir nicht aufnehmen können, weil wir unseren alltäglichen Glamour finanzieren müssen. Das klare Wasser inspiriert, die Menschen finden ihre Umwelt so erfreulich, dass sie Bus und Rad fahren und ständig Regenwälder pflanzen.
Wer schreibt denn da?
Maike Maibaum schreibt seit Jahren die Kolumne „geschenkt“: Die NRZ-Redakteurin und Mutter von zwei Kindern ist Expertin für den alltäglichen Wahnsinn im Familienleben. Sie lästert jede Woche lustig über ihre Lieben und die wildgewordene Welt. Zwei Bücher mit den besten Geschichten („Geschenkt“, „Noch mehr geschenkt“) sind im Klartext-Verlag erschienen, illustriert vom preisgekrönten Karikaturisten Thomas Plaßmann.
Langsam normalisiert sich die Atmosphäre, Eisbären sitzen entspannt auf dicken Schollen. In Deutschland regnet es im Sommer, oft herrschen 23 bis 28 Grad, wir schimpfen darüber bei Kaffee aus Porzellantassen. Durch Gewitter schwimmen keine Dörfer mehr weg, Tornados bleiben in den USA und zerzausen den Trump, die AfD langweilt sich zu Tode. All das könnte mit einer kleinen Spinnerei beginnen: Näht doch bitte wieder Baumwollblusen!
Baumwollbluse, nirgends, 0€