Essen. . Ob Pizza oder Pasta, Adria oder Toskana, Vino oder Vespa: Italien ist schon seit jeher ein Sehnsuchtsort der Deutschen. Aber warum ist das so?

„Komm ein bisschen mit nach Italien, komm ein bisschen mit ans blaue Meer ...“ Auch wenn das Lied von Caterina Valente musikalisch etwas angestaubt klingt – inhaltlich ist es ganz aktuell, denn: Italien geht immer. Vom Gardasee bis Kalabrien betört es die Deutschen, und das seit Jahrhunderten. Als Sehnsuchtsort firmiert Italien spätestens seit Goethe. Der beseelte Stoßseufzer „Auch ich in Arkadien!“ steht als Motto vor der „Italienischen Reise“, zu der der junge Dichter 1786 aufbrach. In der Folge gehörten Italienreisen für Gebildete zum Kanon. So nannte der Historiker Ferdinand Gregorovius 1853 die Blaue Grotte auf Capri ein „deutsches Eigentum“ – einfach nur aus Schwärmerei.

Von Turin über Rom bis Palermo: Ganz Italien scheint ein Paradies für Urlauber zu sein.
Von Turin über Rom bis Palermo: Ganz Italien scheint ein Paradies für Urlauber zu sein. © Istock/raufeld

Capri ist auch das Stichwort für die zweite große Welle deutsch-italienischer Beziehungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufwogte. Die Schnulze „Capri-Fischer“ steht sinnbildlich für eine Sehnsucht nach Italien, die ganz Deutschland erfasste. Das Lied wurde zwar schon 1943 eingespielt, durfte aber nicht im Rundfunk gesendet werden, da zu dieser Zeit schon die Amerikaner die Insel besetzt hatten. 1949 wurde das Lied dann zum Hit, eine Illustrierte titelte: „Deutschlands Sonne scheint in Italien!“ Von da an gab es kein Halten mehr – immer mehr Schlager kamen auf den Markt, die sich um Amore, Chianti oder venezianische Gondeln drehten, dazu entdeckte die Filmindustrie parallel zum deutschen Heimatfilm die exotisch-schöne Filmkulisse des Südens.

Kontrast zum deutschen Arbeitsethos

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Warum Italien im Zentrum dieses Medienhypes stand, erklärt Maren Möhring, Professorin für Vergleichende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des modernen Europa an der Universität Leipzig: „Das italienische Dolce Vita stand im Kontrast zum deutschen Arbeitsethos. Man konstruierte ein Gegenbild zur Bundesrepublik des Wirtschaftswunders, in dem es nur darum ging, materiellen Wohlstand herzustellen. Italien, das bedeutete endlich einmal genussvolles Leben.“ Angeheizt von den Medienbildern und dem wirtschaftlichen Aufschwung ging in den 1950er-Jahren auch der Tourismus los. Das Land zeigte sich aber auch aus anderen Gründen einladend, sagt Maren Möhring: „Italien war eines der wenigen Länder, wo man als Deutscher nicht für den Krieg kritisiert wurde – da beide Länder eine faschistische Vergangenheit hatten, sprach man ganz einfach nicht darüber.“

Zur gleichen Zeit, als immer mehr Deutsche gen Süden fuhren, kamen umgekehrt die ersten sogenannten Gastarbeiter nach Deutschland. Der erste Anwerbevertrag überhaupt wurde 1955 mit Italien geschlossen – eine zeitliche Koinzidenz, die schließlich auch den Triumphzug der italienischen Küche begründete. Denn, man glaubt es kaum, die deutsche Liebe zu Italien ging vorher überhaupt nicht durch den Magen. Knoblauch stank, Nudeln galten nicht als ernst zu nehmende Mahlzeit und Olivenöl war als magenbelastend verschrieen. Tatsächlich mussten die italienischen Arbeitsmigranten ihr Olivenöl anfangs in Apotheken kaufen, wo es damals für medizinische Zwecke gehandelt wurde.

Einverleibung der verpönten Küche

Heißgeliebt: Gelato Italiano.
Heißgeliebt: Gelato Italiano. © Bodo Schieren

Doch nun galt es, Pizza und vor allem Spaghetti wirklich kennenzulernen, erzählt Maren Möhring, die mit „Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland“ ein viel beachtetes Buch geschrieben hat. „Spaghetti richtig zu essen, war damals eine Hürde, eine Art neue kulturelle Kompetenz, die man erst mal erlernen musste. So erklären die damaligen Reiseführer, dass man Spaghetti nicht mit dem Messer schneiden darf, und in vielen Italienfilmen gibt es slapstickartige Spaghettiszenen – was wiederum den Eindruck vermittelt, dass in Italien alles spielerisch angegangen wird.“ Und tatsächlich fanden die Deutschen langsam Geschmack an der einst verpönten Küche. Sie lernten gesunde Gemüsegerichte und singende Gastwirte schätzen, bemerkten, dass Kinder italienisches Essen grundsätzlich lieben und verleibten sich die italienische Küche immer mehr ein. Pasta, Tiramisu und Mozzarella-Tomate gehören heute zum Standard, und die Mehrzahl von Pizza und Cappuccino zu kennen, ist längst kein Distinktionsgewinn mehr.

Alternativer Blick der 1990er

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Die Rezepte übernommen, das Land als Massenziel längst bekannt – exotisch ist Italien nicht mehr. Und doch ist es immer noch ein Sehnsuchtsort, von dem man sich Genuss, Kultur, eine wie Musik klingende Sprache, betörende Landschaften und stilvoll gekleidete Menschen verspricht. Auch, aber nicht nur durch die sogenannte Toskana-Fraktion entstand Anfang der 1990er-Jahre ein alternatives Italienbild, bei dem es vor allem um Authentizität ging. Darin unbedingt enthalten: Brunello, sonnenreife Tomaten, Slow Food, Musik von Paolo Conte und Umberto-Eco-Essays. Klar, dass sich die Liste unendlich ergänzen ließe.

50 deutsch-italienischen Gesellschaften in Deutschland

Anziehungspunkt: Das Forum Romanum.
Anziehungspunkt: Das Forum Romanum. © Julie Woodhouse

Wie groß diese alte, neue Leidenschaft für das kulturelle Italien ist, zeigen auch die mehr als 50 deutsch-italienischen Gesellschaften mit über 7300 Mitgliedern in Deutschland. Rita Marcon-Grothausmann, die 1988 den Bochumer Standort gründete, heute dem Dachverband als Präsidentin vorsteht und zwischen Herne und Norditalien pendelt, bringt es mit einem Augenzwinkern angesichts der politischen Lage auf den Punkt: „Meine große Italienliebe ist nicht ganz schmerzfrei.“ Mit Vorträgen, Sprachkursen, Museumsbesuchen, individuellen Reisen und städteübergreifenden Lesemarathons wird hier ein Italienbild jenseits der Teutonengrills an der Adria vorgestellt, ehrenamtlich natürlich. Der Kern der kulturellen Begegnung ist für Rita Marcon-Grothausmann allerdings „die persönliche Begegnung von Menschen in beiden Ländern“.

Tatsächlich finden diese Begegnungen auf den unterschiedlichsten Ebenen statt. Und vielleicht liegt hier das Geheimnis: dass Italien für alle da ist. Für die Eros-Ramazzotti-Hörer und die Dante-Kenner, die Sonnenanbeter, die Feinschmecker und die mit dem Schuhtick. Und für die Nostalgiker, die sich an das Gefühl erinnern wollen, als es zum ersten Mal über den Brenner ging.

>>>Tourismus in Bella Italia

Unter den Besuchern Italiens steht Deutschland zahlenmäßig an der Spitze: Zwölf Millionen Ankünfte wurden im Jahr 2018 vermerkt; gefolgt von den USA (knapp sechs Millionen) und Frankreich (knapp fünf Millionen). Ingesamt besuchten 128 Millionen Touristen das Land.

Das einzige Land, in das Deutsche noch häufiger reisen, ist Spanien (sechs Prozent im Jahr 2018, nach Italien reisten vier Prozent).

Die meisten Touristen reisen alljährlich in die italienischen Regionen Venetien, Toskana und Emilia-Romagna.

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