Köln. Gunda Windmüller ist Mitte 30 und braucht keinen Prinzen für ein Happy End. Sie wirbt für die Anerkennung dieser Stigma-Rolle – Sex? Inklusive!
Für ihren ersten Antrag hatte Gunda Windmüller den idyllischsten Platz auf Erden gewählt. Eine Wiese in der Nachbarschaft, unweit ihres Spielplatzes. Was wichtig war. In vertrauter Umgebung sind Kinder zu mutigen Taten bereit. Barfuß stand sie da, unter blauem Himmel. Die Sonne schien, die Grashalme kitzelten zwischen den Zehen, ihr Herz pochte. Letzteres war womöglich dem Wettlauf geschuldet, den sie gerade hinter sich gebracht hatte. Doch wer weiß das schon angesichts dieser zukunftsweisenden Frage, die sich nicht länger aufschieben ließ: „Willst du mich heiraten?“
Ihr Schwarm hieß Markus, ein blonder Knirps im Kindergartenalter. Er war mit der Situation so überfordert, dass er kreischend davonlief. Die kleine Gunda hatte ihre erste Abfuhr kassiert. Der geplatzte Traum von kindlicher Zweisamkeit hat sie gestählt. Heute, mehr als drei Jahrzehnte später, ist Gunda Windmüller 38, Autorin – und bekennender Single.
Plädoyer für die Vorzüge des Alleinseins
Gerade ist ihr neues Buch erschienen: „Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht“. Darin hält Windmüller ein Plädoyer für die Vorzüge des Alleinseins, vor allem aber wirbt sie für die gesellschaftliche Anerkennung der Singlefrau. „Meine Geschichte braucht keinen Prinzen, um ein Happy End zu haben“, schreibt sie. „Ich bin ziemlich glücklich. Mir fehlt eine Gesellschaft, die mir diese Geschichte zutraut.“
Das mit dem Zutrauen ist hierzulande so eine Sache. Das Statistische Bundesamt verzeichnet 18,5 Millionen alleinstehende Personen in Deutschland. 9,5 Millionen sind Frauen, etwas mehr als zwei Millionen davon leben in Nordrhein-Westfalen. Und viele von ihnen kämpfen gegen ein Stigma an: im Freundeskreis, in der eigenen Familie, mitunter sogar auf der Liege der Frauenärztin.
Ü30, unverheiratet, weder Partner noch Kinder: Ein Dreiklang im Lebenslauf, der alleinlebenden Frauen wie Windmüller oft als Sound des Scheiterns entgegenhallt. „Als Single ist man als Frau ein Mängelwesen“, kritisiert sie. „Frauen können angeblich mittlerweile alles haben, aber wenn wir nicht alles haben wollen – Karriere, Mann und Kinder – , dann wird uns das Lebensglück missgönnt.“
Beziehungsstatus rechtfertigen
Wer im Alltag ähnliche Erfahrungen macht, läuft Gefahr, diese Sichtweise zu adaptieren – im schlimmsten Fall auf sich selbst. „Du kannst dir nur eine gewisse Zeit lang anhören, dass mit dir etwas nicht stimmt, ohne dass du es tatsächlich annimmst“, sagt Windmüller. In ihrem Buch beschreibt sie dieses Phänomen als Single Shaming. Als Anspielung auf jene verfänglichen Momente, in denen sich Frauen für ihren Beziehungsstatus rechtfertigen müssen, ob sie wollen oder nicht.
Man könnte ihr Buch als feministische Streitschrift verstehen. Dabei ist es viel mehr: eine kluge Reflexion von Liebe, von Enttäuschungen, von Kummer und Schmerz und dem Besinnen auf das eigene Leben. Windmüller hat die komplette Bandbreite der Gefühle durchgemacht. Ihre letzte feste Beziehung hielt sechs Jahre. Sie und ihr Freund sprachen über Hochzeit, übers Kinderkriegen. Mit 34 hat sie Schluss gemacht. „Ich hatte wirklich Angst vorm Singlesein. Das war ein Grund, warum es mir so schwergefallen ist, mich zu trennen.“
Alleinsein funktioniert eben nicht auf Rezept. Es ist ein Lernprozess, oder wie Windmüller sagt, „eine tolle Zeit, sich selbst kennen und wertschätzen zu lernen“. Vor allem überdenkt der Mensch als Single aber seine Einstellung zur Liebe – oder zu dem, was er dafür hält.
„Liebe ist überglitzert“
Wie unterschiedlich die Vorstellungen in dieser Hinsicht sind, erlebt Windmüller gelegentlich an Mädels-abenden, zwischen Prosecco-Schlürfen und launigem Geschichten-Erzählen. Da ist Lily, eine gute Freundin. Auch ihr ist eine Passage im Buch gewidmet. Lily ist das, was Windmüller eine „Liebesfanatikerin“ nennt. Sie kann nicht ohne Beziehung. Im trauten Kreis erzählt sie so überschwänglich von ihrem neuen Freund, als wolle sie dafür gefeiert werden. Windmüller verspürt in solchen Momenten Unbehagen. „Wir werden zu Claqueuren der Liebe“, sagt sie. „Liebe ist überglitzert und vollgetrötet mit Erwartungen.“
Gemeint sind die übersteigerten Ansprüche, die Menschen an ihre Beziehungen stellen. Den emotionalen Overkill, mit dem sie ihre Partner überfrachten. Bester Freund, gut im Bett und nach Möglichkeit auch noch ein toller Vater. „Wir haben 10.000 Erwartungen an einen einzigen Menschen. Gefühlsansprüche, die wir permanent frei Haus geliefert bekommen wollen“, sagt Windmüller.
Da verwundert es kaum, wenn Beziehungen mitunter nicht das einhalten, was man sich von ihnen erhofft – und scheitern. Es gibt diese Passage im Buch, die das besser als alles andere beschreibt: „Wer solche Erwartungen hegt, vergisst, dass die Liebe auch nur ein Mensch ist.“ Mit allen Problemen und Fehlbarkeiten. „Der Mensch kann vieles“, sagt Windmüller, „aber die Liebe kann nicht alles.“
Auch Singles haben Sex
Es ist nicht so, dass sie stets unglücklich gewesen wäre in ihren Beziehungen. Sie will auch nicht ausschließen, wieder mit einem Mann zusammenzukommen. Seitdem Windmüller Single ist, hat sie sich „ein-, zweimal verknallt“, Sex inklusive. „Mir ist Sex wichtig. Und ja: Ich habe auch als Single Sex“, sagt sie. „Das war nicht immer toll, aber ich hatte auch schon sehr schöne Erlebnisse.“
Etwas Ernstes ist aus den Bekanntschaften nicht geworden. Weil Liebe für Gunda Windmüller keine Garantie für vollkommene Zufriedenheit ist. „Wenn man immer eine romantische Beziehung braucht, um klarzukommen, dann ist man emotional bis zu einem Grad bedürftig, der noch an die Kindheit erinnert“, sagt sie. „Das ist nicht gesund. Man muss als Erwachsener auch gerne mit sich allein zusammen sein.“
Eine Erkenntnis, die für Singles ein Überlebenselixier ist. Und glücklich machen kann.
Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht: Gunda Windmüller, Rowohlt, 288 S., 14,99 Euro
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