Ruhrgebiet. . Das Oberhausener Horrorhotel oder die alte Brauerei in Mülheim: Nervenkitzel und Verfall beeindrucken Jack Silver, wenn er „Lost Places“ betritt.

Durch ein Waldstück bahnt sich Jack Silver den Weg entlang eines Bauzaunes. So lange, bis er ein Loch findet. Vorbei an einem von Moos bewachsenen Haus läuft er über eine Terrasse mit verdreckten Plastikstühlen. Der 54-Jährige öffnet eine braune Tür. „Adrenalin pur“, schießt es durch seinen Kopf. Nach wenigen Metern über eine Treppe erscheint eine alte Gaststube. Die Wände sind weiß und halb mit Holz verkleidet.

Ein völlig chaotischer Gastraum, Gläser stehen noch auf den Tischen. So sieht es im sogenannten „Horrorhotel“ im Oberhausener Volksgarten aus.
Ein völlig chaotischer Gastraum, Gläser stehen noch auf den Tischen. So sieht es im sogenannten „Horrorhotel“ im Oberhausener Volksgarten aus. © Jack Silver

Theke und Holzbänke stehen an ihrem Platz. Tische und Stühle sind quer durch den Raum verteilt – auf ihnen Gläser und, tatsächlich, Lebensmittelreste. Sogar das Licht brennt noch. Eine Reise in die Vergangenheit.

Gerade ist Jack Silver ins Hotel im Volksgarten in Oberhausen eingedrungen. Das Horrorhotel. Jack Silver ist Urbexer – eine Zusammensetzung der englischen Worte „urban“ (städtisch) und „explorer“ (Erkunder). Urbexer sind Menschen, die sich Lost Places, sprich: verlassene Orte, anschauen. Seinen richtigen Namen möchte Jack Silver, der in Essen lebt, nicht veröffentlichen. Denn obwohl Urbexer solche Lost Places bloß besichtigen und nicht zerstören – sie begehen dabei rechtlich betrachtet Hausfriedensbuch.

Region bietet einige Lost Places, aber immer weniger

Trotzdem ist es sein liebstes Hobby, schon seit über zehn Jahren. Fast jedes Wochenende ist er unterwegs – gerne in Belgien oder Frankreich. „Das sind die Hauptstädte der Lost Places“, erzählt der 54-Jährige. Aber auch unsere Region habe einiges zu bieten. Fragt man Jack Silver danach, sprudeln die Orte nur so aus ihm heraus: eine alte

Der alte Kruppgürtel  sei ein Lost Places in Essen, so Jack Silver, der seines Wissens nach noch existiere. Das Foto zeigt einen Bunker, der unter Wasser steht.
Der alte Kruppgürtel sei ein Lost Places in Essen, so Jack Silver, der seines Wissens nach noch existiere. Das Foto zeigt einen Bunker, der unter Wasser steht.

Schraubenfabrik, ein verlassenes Polizeirevier oder ein einsames Bahngebäude in Gelsenkirchen. Das neunstöckige Hochhaus in Dortmund, in dem wohl mal Rechtsanwälte saßen, das mittlerweile aber „wahnsinnig zerstört ist“. Autowerkstätten, Möbelhäuser, der alte Kruppgürtel oder eine Kirche in Essen.

Vor letzterer steht Jack Silver an einem Dienstag am frühen Abend. Es war die St. Barbara Kirche. Finster und verlassen steht sie in einem kleinen Park. An sie grenzt ein Pfarr- und Mehrfamilienhaus – auch hier ist das Leben ausgezogen, seit 2015 schon. Im vergangenen Jahr gab der Kirchenvorstand grünes Licht für den Abriss, geschehen ist aber noch nichts.

So lange am Zaun entlang, bis das Loch kommt

Die Kirche in Essen betritt Jack Silver an diesem frostigen Nachmittag nicht. Das verhindert ein Zaun, den er aufbrechen müsste. Was er niemals tun würde. Denn: „Wir gehen so lange am Zaun entlang, bis wir ein Loch finden. Wir Urbexer wollen verlassene Orte entdecken und fotografieren, aber niemals zerstören.“

Im Gegensatz zu Dieben von Kupferkabeln oder Jugendlichen, die auf Vandalismus aus seien. Ins Horrorhotel

Die Betten sind noch gemacht, obwohl das Hotel im Oberhausener Volksgarten
Die Betten sind noch gemacht, obwohl das Hotel im Oberhausener Volksgarten © Jack Silver

kam Jack Silver recht problemlos. „Dieser Ort ist echt beeindruckend. Das Hotel war quasi noch eingerichtet, der Gastraum komplett vorhanden. In den Zimmern standen die gemachten Betten“, erinnert sich Jack Silver an diesem Nachmittag in Essen.

Rund zwei Monate zuvor in Mülheim: Jack Silver bahnt sich durch ein kleines, zerstörtes Fenster den Weg in eine alte Brauerei. Er blickt auf verrostete Rohre und geht auf einen großen Flur zu. Von dort gelangt er in den Keller. Es ist stockfinster. Durch die Taschenlampe in seiner Hand kann er ein Gewölbe erkennen. Die Decken schätzt er auf über zehn Meter hoch. Auf einmal kann sich Jack Silver genau vorstellen, wie Menschen damals, vor vielen Jahren, hier standen und Bier brauten.

„Ein Lost Place wie man ihn sich wünscht“

Er hat soeben die alte Ibing-Brauerei betreten. „Ein Lost Place wie man ihn sich wünscht“, berichtet der Urbexer. Die Brauerei ist schöner gewesen, als er es sich vorstellen konnte. Auch wenn es Graffiti gab, sei der natürliche Verfall beeindruckend gewesen. „Im Innenraum standen alte Maschinen, Kessel und ein Abfüllgerät.“

Es ist der natürliche Verfall, der Jack Silver an Lost Places wie der ehemaligen Ibing-Brauerei in Mülheim beeindruckt.
Es ist der natürliche Verfall, der Jack Silver an Lost Places wie der ehemaligen Ibing-Brauerei in Mülheim beeindruckt. © Jack Silver

Doch auch wenn die Erfahrung für ihn wertvoll war, warnt Jack Silver: „Das ist wahnsinnig gefährlich und sollte, wenn überhaupt, nur mit Erfahrung gemacht werden. Die Ruine ist kein Spielplatz.“

Noch gebe es viele Lost Places im Ruhrgebiet. Die Anzahl sei aber deutlich gesunken. Weil immer mehr abgerissen und saniert werde. Jack Silver sieht das zwiegespalten: „Im Endeffekt ist das für die Stadt und die Menschen schön, aber schade für einen selbst. Weil Dinge aus einer vergangenen Zeit verschwinden.“ Im Ruhrgebiet sind das vor allem Zechen, eine steht noch in Gelsenkirchen.

Bauzäune und Graffitis sind Indiz für verlassene Orte

Für Eindrücke und Fotos wie diese aus Mülheim nimmt es Jack Silver auch in Kauf, erwischt zu werden.
Für Eindrücke und Fotos wie diese aus Mülheim nimmt es Jack Silver auch in Kauf, erwischt zu werden. © Jack Silver

Fakt sei: Neues ersetzt immer mehr das Alte. Trotzdem fährt Jack Silver stets mit offenen Augen durch die Welt. Sieht er Graffitis oder Bauzäune, ist das ein Indiz für ihn. „Mit der Zeit bekommt man einen Blick für solche Orte. In Velbert habe ich beim Vorbeifahren eine riesige große Fabrik gesehen. Sie war wild bewachsen, ein Fenster kaputt. Zu der Fabrik gehörte eine eingerichtete Villa, mit Pool“, erinnert er sich.

Entdeckungen wie diese sind es, die Urbexer wie Jack Silver so an dem Hobby reizen. Immer auf die Gefahr hin, erwischt zu werden. Was schon zweimal passiert ist, berichtet er. Das letzte Mal vor zwei Monaten. „Wir betreten eigentlich nur Orte, die wirklich verlassen sind.“ Das dachte Jack Silver auch von einem ehemaligen Militärgelände. „Weil

dort gar kein Hinweis stand und Löcher im Zaun waren. Das ist sehr leichtsinnig und gefährlich. Vor allem für Jugendliche oder Kinder, die dort spielen“, kritisiert er. Nachdem er das Privatgelände betrat, stellte er fest, dass es doch noch genutzt wurde. Weil er von Security erwischt wurde. „Das gab eine Anzeige. Das Ergebnis steht noch aus, ich tippe auf eine Geldstrafe.“ Das Risiko nimmt Jack Silver aber in Kauf. Das ist ihm sein Hobby einfach wert.