Düsseldorf. Der Rosenmontag wäre ohne Jacques Tilly nur halb so spannend. Internationale Aufmerksamkeit ist gewiss, wenn in Düsseldorf seine Wagen rollen.
„Der Anruf kam am Veilchendienstag, ich hatte schon den Hammer geschwungen und wollte die May abreißen.“ Doch die Engländer erreichten Jacques Tilly noch rechtzeitig. Der Wagenbaumeister des Düsseldorfer Rosenmontagszuges leimte die Premierministerin, die sich eine Brexit-Pistole in den Mund schiebt, wieder zusammen und schickte den Wagen nach England, wo er die leibhaftige Theresa May fürderhin verfolgen sollte. Die Aktivisten der „Remain“-Kampagne hatten Tillys Karikatur in der Presse gesehen.
Ein Karnevalist im polnischen Wahlkampf
Was Köln auffahren wird am Rosenmontag, ist bereits bekannt: Da bläst die „Politik“ der „Autoindustrie“ ganz wörtlich Zucker in den Hintern, ein englischer Boxer haut sich einen Brexit-Zahn raus, und selbst das WM-Aus von 2018 – erinnern Sie sich? – ist den Kölnern noch einen gerupften Bundesadler wert. Dort mag der Straßenkarneval noch so olle-dolle sein, in Mainz singen und tanzen sie womöglich bis in die Puppen, doch wer sich für die Kunst der politischen Karikatur interessiert, schaut am Montag auf Düsseldorf. Die Motivwagen von Baumeister Jacques Tilly sind die schärfsten und unterhaltsamsten im Lande.
Es ist ungewöhnlich, dass ein Karnevalist sogar weltweit wirkt, über bunte Bilder hinaus. Aber 2017 fragte auch die tschechische Opposition einen Wagen von Tilly an, der verschiedene Populisten als Raupen porträtierte, die am Blatte der Demokratie nagten. Der Wagen reiste weiter nach Polen und machte Wahlkampf in 300
Ja, was macht er da?
Es war kurz vor der Zeit, als Tilly Kommunikationsdesign in Essen studierte, und eigentlich Wahlkämpfe gestalten wollte, da fiel ihm „Der Name der Rose“ in die Hände, der Roman von Umberto Ecco. Er las ihn mehrfach, „das Buch war für mich prägend“. Darin will der finstere Mönch Jorge von Burgos mit allen Mitteln verhindern, dass das letzte Exemplar eines Textes von Aristoteles über die Komödie bekannt wird. Sein Gegenspieler fragt ihn: „Aber was schreckt dich so sehr an dieser Abhandlung über das Lachen?“ Und Jorge erklärt, dass das Lachen die Furcht tötet, und ohne Furcht gäbe es keinen Glauben mehr. „Dann würde das Lachen zu einer neuen Kunst ... zur Kunst der Vernichtung der Angst.“
Da hatte der junge Tilly seine Waffe gefunden, die er heute noch einsetzt gegen Despoten, Priester, Islamisten. Er hat sich seine Gedanken über Religion gemacht, mit dem Zen-Buddhismus experimentiert, und ist Agnostiker geworden: ein Atheist, der sich einen Zweifel bewahrt, der aggressiv für weltanschauliche Bescheidenheit eintritt. „Ich sage: Schnauze halten, wir wissen gar nichts.“
Durch einen Freund kam er 1984 zum Wagenbau, zehn Jahre später machte er sich selbstständig, und schon gleich zu Beginn kämpfte er für seine Unabhängigkeit. Da wollte er Bundeskanzler Helmut Kohl als halbnackten Indianerhäuptling mit „Pimmelchen“ auf den „Zoch“ schicken. Der anatomisch korrekte Entwurf fand Beachtung, und Kohls Anwalt schickte eine Einstweilige Verfügung: „Das Ding muss ab!“ Die Lösung brachte eine vorgeschobene Topfpflanze – die während des Zugs umkippte.
Als die Kölner Narren 1997 ein Busenverbot durchsetzten beim Bund Deutscher Karnevalisten, da schickten die Düsseldorfer einen Wagen mit überdimensionierten Möpsen los.
Die Narrenfreiheit des Jacques Tilly
Und als Düsseldorfs Oberbürgermeisterin Marlies Smeets (SPD) 1999 ihre „Stichwahl“ gegen Joachim Erwin verloren hatte, wollte Tilly sie mit Dolch im Bauch durch die Straßen schicken. Damals wurden Entwürfe noch vorab gezeigt, mit Punkten bewertet und öffentlich diskutiert. „Geschmacklos, menschenverachtend und frauenfeindlich“, geißelte Smeets. Und stoppte den Entwurf damit.
Im Jahr darauf führte Düsseldorf die Narrendiktatur ein. Über Tilly wacht seitdem nur noch ein Zentralkomitee aus drei Karnevalsmächtigen. Seine Mottowagen sind hochgeheim, bis sie auf die Straße rollen.
Das macht also Jacques Tilly. Der 55-Jährige nutzt den Karneval als Medium für seine ganz eigene Kampagne gegen „Despoten. Demagogen. Diktatoren“ – so auch der Titel eines satirischen Bilderbuches von ihm. Mit kompromissloser Schärfe. Nicht vorstellbar wäre in Köln wohl ein Wagen, der Kardinal Meisner zeigt, wie er eine Frau, die abgetrieben hat, auf dem Scheiterhaufen anzündet. Überschrift: „Traditionspflege“. Brachial, auch aus Tillys Sicht. Aber hat nicht Meisner die Wahl der Waffen gehabt, als er 2005 abtreibende Frauen mit den Nazi-Mördern von Auschwitz verglich?
Auch die übelsten Drohungen muss man mit Humor parieren
In diesen aufgeheizten Zeiten bekommt Tilly auch mal hunderte Hass-Mails nach einem Zug. 2017 war härter als sonst. „Ab ins Gas mit Euch“ – „Ich hoffe, für diesen kranken Scheiß werdet ihr zur Rechenschaft gezogen und Trump reißt Euch die Ärsche auf.“ – „Rassistisch blondenfeindliche Missgeburt, ich hoffe dir rammt bald jemand ein Messer in den Hals wie Henriette Reker, du Untermenschenratte.“ Letzteres bezieht sich auf seinen Wagen „Blond ist das neue Braun“ mit Le Pen, Wilders, Trump und einem erblondeten Adolf Hitler. Nicht nur anonyme rechte Großmäuler, auch viele Blondhaarige hatten sich diskriminiert gefühlt und Tilly gedroht – sogar mit Wasserstoffperoxid.
>> Info: So entstehen die Wagen
Seine farbigen Entwürfe werden von seinem Team in den Wagenbauhallen nahe der Universität umgesetzt. Maschendraht und in Knochenleim getunktes Spezialpapier kommen zum Tragen – die Figuren sind so leicht, dass zwei Personen einen hohlen Trump stemmen können. Gegen einen Schauer ist der Schutz der Acrylfarbe ausreichend. Die politischen Wagen baut Tilly zum Schluss, um aktuell zu sein. Zwölf sind wieder geplant. Vielleicht werden es aber auch nur elf, sagt Tilly. Das letzte Motiv steht an Altweiber noch nicht fest.