Essen/Bochum. . Wissenschaftlerinnen erklären, warum Frauen oft nicht an den Universitäten bleiben. Und warum sich der lange Weg zur Professur trotzdem lohnt.
Wenn Sie das Wort „Professor“ lesen, an wen denken Sie? Vielleicht an ein Genie wie Albert Einstein. Aber Hand aufs Herz: Wer hat jetzt an eine Professorin gedacht? Eine wie die Radioaktivität-Expertin Marie Curie wirkt immer noch wie eine große Ausnahme.
Gut die Hälfte der Studienanfänger in NRW ist weiblich. Aber nur ein Viertel der Professoren an den Hochschulen sind laut des „Genderreports“ Frauen. Von Gleichberechtigung sind die Unis bei den höheren Positionen weit entfernt.
Für Studentinnen fehlen die weiblichen Vorbilder
Nicht nur für Schülerinnen fehlen die Vorbilder, sondern auch für Studentinnen. „Vorbilder, die sie ermutigen, eine Doktorarbeit zu schreiben und in der Uni zu bleiben“, sagt Renate Petersen. Die Bildungssoziologin war bis zu ihrem Ruhestand an der Uni Duisburg-Essen für die Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses verantwortlich. In einer Forschungsarbeit hat sie sich mit der „Entscheidungsphase Promotion“ beschäftigt.
Viele Frauen hätten Angst davor, allein auf der Strecke zu bleiben, so die 64-Jährige. Zudem sei das Ruhrgebiet eine spezielle Region. „Viele Studierende kommen aus Elternhäusern, in denen weder Vater noch Mutter einen akademischen Abschluss haben.“ Oft haben sie einen Migrationshintergrund. Wissenschaft wirke wie eine fremde Welt, zu der man nicht auf Dauer dazugehört.
Rossitza Pentcheva ist in Bulgarien groß geworden, einem Land, in dem es für Frauen selbstverständlicher sei, als Wissenschaftlerin erfolgreich an der Uni zu arbeiten. Ihre Eltern waren Chemiker. Das hat ihr Interesse an den Naturwissenschaften geweckt. Heute ist die 48-Jährige nach Stationen in Deutschland und den USA Professorin für Theoretische Physik an der Uni Duisburg-Essen. Ein Problem seien die befristeten Verträge, die unsichere Zukunft bis zum Erreichen der Professur, so Pentcheva. Das kann zehn Jahre dauern oder länger. „Es braucht Ausdauer, Einsatz, Geduld.“
Viktoria Niebel (30), stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte an der Uni Bochum und Doktorandin der Sozialwissenschaften, kritisiert ebenfalls die geforderte Flexibilität. „Hinzu kommt die große Ungewissheit, ob eine Professur jemals erlangt wird.“
Kind und Uni-Karriere
Zudem falle diese Qualifikationsphase mit einer anderen zusammen: der Familiengründung. Da würden sich viele entscheiden: entweder oder, so Rossitza Pentcheva, die selbst Mutter ist. Mit Kindern sei es noch schwieriger, das Ziel zu erreichen. Da sei man auf die Unterstützung des Partners, der Familie, der Kinderbetreuung außerhalb der normalen Zeiten angewiesen. Besonders herausfordernd sei es, wenn der Partner ein ähnliches Ziel anstrebe. Denn es werde von Wissenschaftlern vorausgesetzt, dass sie während ihrer Karriere die Uni wechseln.
Mittlerweile unterstützten die Unis mehr Frauen, etwa mit Mentoringprogrammen, erklärt Renate Petersen. Ein weiteres Beispiel: „Die Deutsche Forschungsgesellschaft, einer der größten Geldgeber für Forschungsaktivitäten, legt großen Wert darauf, dass Wissenschaft für Frauen möglich wird und stellt innerhalb von Großprojekten zusätzliche Fördergelder hierfür bereit.“
Warum lohnt es sich trotz allem, den langen Weg einzuschlagen? Professorin Rossitza Pentcheva: „Weil das wissenschaftliche Arbeiten und die Ausbildung der Studierenden sehr viel Spaß machen. Die persönliche Erfüllung, die man durch diese Arbeit bekommt, ist sehr hoch.“
>> Statement zum Thema von Prof. Dr. Christine Heil,
Gleichstellungsbeauftragte der Uni Duisburg-Essen
Prof. Dr. Christine Heil: „Chancengleichheit bedeutet, dass Frauen wie Männer in der Wissenschaft gleiche Chancen haben. Wenn die Zahl der Professorinnen wachsen soll, d.h. der Anteil an Wissenschaftlerinnen, die sich im Wettbewerb um eine Professur erfolgreich gegen ihre männlichen Mitbewerber durchsetzen können, muss es auch bereits mehr Studentinnen geben, die eine wissenschaftliche Karriere erstrebenswert finden. Deshalb ist es wichtig, bereits in der Schulzeit Mädchen für wissenschaftliche Themen und Fragen zu begeistern.
Karrieren in der Wissenschaft werden Schritt für Schritt aufgebaut. Erfolg ist nicht etwas, das plötzlich einfach da ist. So hat eine wissenschaftliche Karriere meistens mehrere Anfänge, ein unbedingtes Interesses in mindestens einem Bereich und ein System der Unterstützung und Beratung, das vielleicht in Teilen bereits da war, aber das in großen Anteilen systematisch aufgebaut und gepflegt wird. Damit gibt es eine Menge, was Schule und Universität tun können, um Erfolg in der Wissenschaft selbstverständlich auch für Frauen möglich zu machen.“
>> Statement zum Thema von Viktoria Niebel,
stellv. zentrale Gleichstellungsbeauftragte an der Ruhr-Uni Bochum
Viktoria Niebel: „Ich denke, dass es viele Faktoren gibt, die zusammenspielen, wenn es darum geht, den Weg in die Wissenschaft einzuschlagen, zu zögern oder zu hadern oder sich an irgendeinem Punkt zu entscheiden, in eine andere Richtung abzubiegen. Hinderliche Faktoren können folgende sein: Beispielsweise unterschätzen viele Frauen ihre Eignung, den Weg in die Wissenschaft einzuschlagen, obwohl sie fachlich befähigt sind und ein Interesse an der Forschung mitbringen. Das kann an mangelnden Vorbildern liegen, die eine Möglichkeit der Identifikation bieten, die aufzeigen, dass auch andere Frauen „wie Du und ich“ diesen Weg gegangen sind.
Auch ist es wichtig, dass Professor*innen direkt auf Absolventinnen zugehen und sie ermutigen, die Promotion aufzunehmen. Einen weiteren Stressor stellen die hohen Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen im Wissenschaftsbetrieb dar, hinzu kommt die große Ungewissheit, ob eine Professur jemals erlangt wird.
Kurze Verträge - das Leben lässt sich schlecht planen
Es gibt für Nachwuchswissenschaftler*innen kaum die Möglichkeiten, über kurzfristige Arbeitsverträge, Projekt- oder Stipendienlaufzeiten (oft zwischen einem halben Jahr und 3 Jahre) hinaus zu planen – und das für viele Jahre, sowohl in der Promotionszeit als auch danach.
Für viele Frauen stellt sich vor diesem Hintergrund zudem die belastende Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von unschätzbarem Wert ist hier die Unterstützung durch Partner*innen und die Möglichkeiten, in Bezug auf Unwägbarkeiten zum Beispiel mit Mentor*innen Strategien des Umgangs zu finden. Vor allem aber muss die Universitätslandschaft den Mittelbau finanziell und strukturell stärken, um mehr zukünftige Wissenschaftlerinnen in ihrem Weg zu unterstützen.“
Unterstützung an den Unis
In Duisburg-Essen unterstützt etwa „mentoring³“ die Wissenschaftlerinnen. Die Ruhr-Unis haben ihre Programme gebündelt: research-academy-ruhr.de