Hagen. . In den deutschen Parlamenten gibt es unverhältnismäßig wenige Frauen. Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Elke Wiechmann.

Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Doch in den Parlamenten in Deutschland sind Frauen mit weit weniger als 50 Prozent vertreten. Maren Schürmann sprach mit Dr. Elke Wiechmann (61) vom Institut für Politikwissenschaft der Fernuniversität Hagen über die ungleiche Verteilung.

100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – wie steht es um die Gleichberechtigung in der Politik?

Elke Wiechmann: Deutschland war ja in den 1980er-, ‘90er-Jahren fast rekordverdächtig mit den hochschießenden Frauenraten in unseren Parlamenten. Und jetzt müssen wir feststellen, dass wir mit der letzten Bundestagswahl eine rückläufige Frauenquote haben: Statt 37,1 sind dort nur noch 30,9 Prozent Frauen.

Woran liegt das?

Das Problem liegt bei den Parteien. Die Rechtsaußen-Parteien haben zugelegt, sie bringen maximal zwölf Prozent Frauen ein. Die CDU/CSU hat traditionell relativ wenig Frauen, aber seit der letzten Bundestagswahl sind in der Fraktion noch weniger: nur 20 Prozent. Da CDU/CSU aber die meisten Mandate hat, schlägt sich das nieder. Das kann die SPD mit ihrem Frauenanteil von 42 Prozent nicht ausgleichen. Auch nicht die Grünen, die Linken, bei denen mehr als die Hälfte Frauen sind.

Es wird ja gern behauptet, dass nicht genügend Frauen die Verantwortung übernehmen möchten . . .

Wo wir von der Frauenforschung sagen, dass man einfach ernsthaft Frauen motivieren und unterstützen müsste. Wir haben in Deutschland eine hohe Zahl hochqualifizierter Frauen und die haben nicht alle Kleinkinder, was ja auch immer so ein Argument ist: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zudem haben wir ein Wahlrecht, das die ungleiche Verteilung noch begünstigt.

Inwiefern?

Wir haben bei Bundes-, Landtags und Kommunalwahlen in NRW sowohl die Liste als auch die Direktkandidaten. Die Direktkandidaten kommen zuerst dran – und die sind überwiegend männlich. Das liegt daran, dass die Direktmandate nach Wahlkreisen bzw. Ortsvereinen vergeben werden und dort stehen vor allem Männer an der Spitze. Und die wollen dann auch ins Parlament. Wenn dann noch Platz ist, dann erst zählt die Liste, wo schon mal eher Frauen drauf stehen.

Sind da andere Länder gerechter?

Auf kommunaler Ebene, zum Beispiel in Baden-Württemberg, gilt das so genannte Kumulieren-Panaschieren, da gibt es keine Direktmandate, da gibt es nur eine Liste, bei der die Reihenfolge der Kandidaten nicht fest ist und die Wähler und Wählerinnen mehrere Stimmen haben. Das begünstigt Frauen eher als in NRW.

Gibt es Vorbilder im Ausland?

In England hat man die Wahlkreise zusammengelegt, so dass man zwei Kandidaten ins Rennen schicken kann: eine Frau und einen Mann. In anderen Staaten gibt es Sanktionen, wenn nicht genügend Frauen nominiert werden. In Frankreich müssen die Parteien auf regionaler Ebene ein Bußgeld zahlen, wenn sie zu wenige Frauen nominieren. Allerdings zahlen dort die Parteien oft lieber das Geld, als Frauen zu fördern – und das in Millionenhöhe.

Was wäre eine Alternative?

Besser wäre es, wenn Parteien nicht antreten dürften, falls sie zu wenige Frauen nominieren. Fraglich ist, ob die sehr männlich dominierten Parteien tatsächlich ein Interesse daran haben, das Wahlgesetz zu ändern – verbunden mit einer Frauenquote.

Ist der Begriff „Quote“, ob in Politik oder Wirtschaft, noch zeitgemäß?

Der Begriff ist in der Tat unglücklich. Die Grünen haben von Anfang an von Parität gesprochen. Sie besetzen ihre Mandate abwechselnd mit Frauen und Männern. Die SPD führte im Prinzip die Quote ein. Dieser Begriff wurde aber nicht salonfähig. Frauen möchten keine Quotenfrauen sein, weil der Begriff negativ besetzt ist. Dabei gilt der Zusatz: bei gleicher Qualifikation. Es ist erstaunlich, wie sehr das ignoriert wird.

Im NRW-Landtag ist der Anteil der Frauen von 29,5 auf 27,6 Prozent gesunken. Dabei müsste er laut Forschung doch mindestens 30 Prozent betragen, damit Frauen überhaupt ihre Belange einbringen können?

30 Prozent, das ist eine Marke, da wird Frau sichtbar. Aber ob das reicht? Ein Problem ist, dass nicht genügend Frauen in den politischen Führungsgremien vertreten sind. Das erheben wir regelmäßig auf kommunaler Ebene: In den letzten zehn Jahren hat die Bürgermeisterinnenquote um mehr als die Hälfte abgenommen. Und auf Großstadtebene ist gerade mal ein Viertel der Ausschussvorsitzenden weiblich – rückläufige Tendenz. Nicht mal ein Viertel der Fraktionsvorsitzenden ist weiblich. Wenn wir auf diesen Ebenen nicht mehr Frauen haben, dann wird es ohnehin schwierig.

Also auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts gibt es noch viel zu tun, um Gerechtigkeit in der Politik zu schaffen?

Man hat in Deutschland versucht, ein Paritätsgesetz einzuführen. Ohne Erfolg. Es ist nicht zu erwarten, dass es da in nächster Zeit weitergeht. Es sei denn, der öffentliche Druck wird stärker.