Essen. . Filmemacher Tim Burton, Hollywoods Experte für schaurig-schöne Außenseiter, feiert am 25. August seinen 60. Geburtstag. Eine Würdigung.

Ihr erstes Date führt Ed Wood und Kathy O’Hara ohne Umwege in die Geisterbahn. Wood vertraut seiner Angehimmelten darin ein Geheimnis an. Er trage gerne Frauenunterwäsche, das sei kein großes Ding, er stehe trotzdem auf Mädchen. Er will es nur gesagt haben. O’Hara überlegt kurz und sagt dann: „Ok, das ist kein Problem für mich.“

Den verwegenen Wood gab es tatsächlich. In den 1950ern hat er schräge Science-Fiction-Horrorfilme wie „Plan 9 aus dem Weltall“ zusammengezimmert.

Hollywood-Regisseur Tim Burton wuchs mit dieser Art Kino auf und lernte es schnell lieben. Seine Helden waren Monster wie Dracula, Frankenstein und entartete Labor-Ungetüme. Nicht nur deren zerstörerische, sondern vor allem auch ihre verletzliche Seite interessierte den im beschaulichen kalifornischen Burbanks aufgewachsenen Filmemacher. Es ist daher kein Zufall, dass Burton einem Mann wie Ed Wood in seinem gleichnamigen Film ein Denkmal setzt. Es ist eine typische Burton-Szene, in der für einen Outsider kurz die Möglichkeit des reinen Glücks aufscheint, auch wenn es selten von Bestand ist.

Anderssein ist Trumpf

Dasselbe Motiv des heroischen Außenseiters durchzieht einen frühen Publikumserfolg Burtons – „Edward mit den Scherenhänden“ (1990). Burton erfindet für den exzentrischen Edward einen ganz eigenen Schauerlook. Kulissen-Formen, die an die deutsche Stummfilmzeit des Expressionismus erinnern, stehen im krassen Kontrast zu einer vermeintlich heilen amerikanischen Vorstadtwelt in Pastelltönen. Ein Mittel, das Burton in seinen Filmen immer wieder anwenden wird.

Ein Herz für Außenseiter: Tim Burton.
Ein Herz für Außenseiter: Tim Burton. © imago stock&people

Seine Liebe zum deutschen Stummfilm und seiner Bilder zeigt sich auch in „Batman“ (1989). Burton ist beim Dreh der Produktion gerade einmal 29 Jahre alt. Die Kultserie aus den 1960ern entrümpelt Burton gehörig und verpasst ihr seinen ureigenen Stempel. Seine Gotham City ist eine in schwarz getauchte Metropolis, mit seinen alptraumhaften Sets einmal mehr angelehnt an den deutschen Stummfilmregisseur Fritz Lang, dessen Arbeiten Burton schon als jungen Kunststudierenden faszinierten. Hier taucht auch ein Motiv auf, das Burtons Arbeiten ebenfalls durchziehen wird: das des durchgeknallten psychopathischen Clowns. Kongenial verkörpert ihn hier Jack Nicholson als berühmt-berüchtigter Joker.

Wäre Tim Burton nicht Regisseur, er wäre gerne verrückter Wissenschaftler geworden, gab der Filmemacher einmal zu Protokoll. Deshalb wirken seine Arbeiten oft wie durchgeknallte Laborversuche. In ihnen trifft in neuen Konstellationen das immer wieder selbe Schauspielpersonal aufeinander. Eine schräge kleine Horrorfamilie: Michael Keaton, Winona Ryder, Christopher Lee, Johnny Depp und Helena Bonham Carter. Mit letzterer war Burton lange Jahre liiert und hat zwei gemeinsame Kinder mit ihr.

Rollen für die Ewigkeit

Ihnen allen hat Burton ikonische Rollen auf den Leib geschrieben: Michael Keaton den irren Derwisch Beetlejuice („Beetlejuice“, 1988), hier verkörpert Winona Ryder eine wunderbar schräge Gothic-Prinzessin, die keine Angst vor Gespenstern kennt, weil sie sich unter den Lebenden noch viel einsamer fühlt. Und Johnny Depp bekam seine legendären Rollen als Edward, serienmeuchelnden Barbier („Sweeney Todd“, 2007) und größenwahnsinnigen Schokoladier Willy Wonka in „Charlie und die Schokoladenfabrik“( 2005).

„Des einen Fantasie ist des anderen Realität“, sagte Burton einmal – und machte dies kaum besser deutlich als in der zauberhaften Tragikomödie „Big Fish“ (2003): Hier erzählt der todkranke Edward Bloom (Ewan McGregor) seine fantastisch anmutende Lebensgeschichte – inklusive Begegnungen mit schrägen Zirkuskünstlern, Dichtern, Riesen und Hexen. Klingt erfunden? Nun, jene Figuren trauern auf Blooms Beerdigung um ihren verstorbenen Freund.

Auch wegen seiner Animationsfilme verehren Tim Burton viele. Bereits in seinen frühen Kurzfilmen „Vincent“ und „Frankenweenie“ etabliert Burton seinen visuellen Stil, den er in „The Nightmare Before Christmas“ (1993) zwar nicht als Regisseur, aber als Drehbuchautor und Produzent zur Vollendung bringt. Der Film verweist auch auf das zeichnerische Schaffen Burtons, dessen Grundlagen bereits beim jugendlichen Burton gelegt waren und die ihm kurzzeitig einen Job an den Zeichentischen von Disney verschafften. Kürzlich ehrte das große New Yorker Museum MOMA den Regisseur mit einer Werkschau.

Einfluss auf vielen Ebenen

Es ist schwierig, sich Hollywoodfilme wie die „Adams Family“, „Cas­per“, „Pans Labyrinth“ oder auch Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“ ohne die surrealistisch-humorvolle Vorarbeit Burtons vorzustellen. Seine schwarz-romantische Schneise schlägt Tim Burton weiter in das Hollywoodkino der Gegenwart. Nächstes Jahr gibt es ein „Dumbo“-Remake unter seiner Regie. Nur ein Oscar fehlt dem Kultfilmer noch. Im aufgeregten Los Angeles wirkt der freundliche Melancholiker Burton selbst oft wie ein Außenseiter. Anstatt Interviews zu geben, scheint es, ringt er lieber mit seinen inneren Dämonen und kichert gemeinsam mit ihnen über den Glitzerzirkus Hollywood.

>> Edward mit den Scherenhänden

In dem süßlich-düsteren Märchen „Edward mit den Scherenhänden“ von 1990 landet Edward in einem Vorort und fällt direkt auf: Er, leichenblass und mit schwarzen Fusselhaar sowie Scheren statt Händen, steht im starken Kontrast zu den grellgeschminkten Frauen mit hochtoupiertem Haar in einer pastellfarbenen Kleinstadt-Ödnis. Doch gerade der zurückhaltende Außenseiter bringt auf seine Art Farbtupfer in den akkurat auf Normalität getrimmten Alltag. Dank seiner Scherenfähigkeiten verwandelt Edward Hecken in Fantasielandschaften, schneidet die Haare der Damen und verzaubert die junge Peg (Winona Ryder), indem er aus Eisblöcken Skulpturen schafft und ihr nebenbei den ersten „Schnee“, in Form von kleinen umherfliegenden Eisstückchen, beschert. Dass sich die anfängliche Euphorie in eine kollektive Hetzjagd umwandelt und die Geschichte in keinem Happyend mündet, liegt auf der Hand: Die Vorstadt, das ist und bleibt für Tim Burton die Verkörperung der Hölle.

>> The Nightmare Before Christmas

Mit kaum einer anderen Bilderwelt wird Tim Burton so sehr verbunden wie mit Halloween Town und seinen Bewohnern: Gruselgestalten aus allen Ecken und Enden von Fantasie und Geistergeschichte. Einer von ihnen ist Jack Skellington, klapperskelettiger Kürbiskönig und als Held von Halloween quasi auf einer Stufe mit Osterhase und Weihnachtsmann.

Nightmare Before Christmas.
Nightmare Before Christmas. © Verleih

Auf letzteren Job ist Jack ganz wild, denn immer und immer wieder Halloween, davon hat er mittlerweile die nicht vorhandene Nase voll. Doch das rechte Händchen fürs Fest der Liebe geht ihm leider ab. „The Nightmare Before Christmas“ (1993) geht auf ein dreiseitiges Gedicht von Burton zurück, Regie geführt hat er nicht. Jack Skellington und die anderen Figuren aus Halloween Town sind längst zu Merchandise-Dauerbrennern einer ganzen Generation aufgewühlter Teenies geworden.

>> Mars Attacks

Sie alle versammeln sich in der Wüste von Nevada, um die Marsianer zu empfangen: die Normalos und Spirituellen, das Militär und natürlich die Medien. Das Raumschiff landet und die Wesen – Charakteristika: riesiges unbedecktes Gehirn, Glubschaugen und freiliegende Zähne – betreten zum ersten Mal die Erde. Ihre Botschaft: „Wir sind in friedlicher Absicht gekommen!“ Ein Hippie lässt noch eine Friedenstaube fliegen – und schwupps werden alle Anwesenden vor laufender Kamera und somit der Weltöffentlichkeit niedergemetzelt. Und das ist erst der Anfang. Die quietschbunte Science-Fiction-Komödie „Mars Attacks“ (1996) spielt mit Referenzen an Trash-Filme aus den 1950ern. Das Ensemble ist ziemlich imposant – wie Jack Nicholson, Pierce Brosnan, Danny DeVito, Michael J. Fox, Natalie Portman und sogar Tom Jones als er selbst. Doch die Hauptrolle haben die Marsianer selbst inne: Koboldhaft und verschlagen, verkichert und lüstern stellen sie den Wertekanon komplett auf den Kopf und schrecken nicht einmal davor zurück, den US-Präsidenten nach einer pathetischen Ansprache hinterrücks zu erdolchen.

>> Charlie und die Schokoladenfabrik

Jeder weiß: Mit Schokolade wird alles wieder gut. Oder zumindest ein Stückchen besser. Willy Wonka hat diese zuckersüße Weisheit zu Philosophie und Lebensinhalt gemacht: In seine gigantische Schokoladenfabrik zurückgezogen, macht er Tafeln für Millionen. In fünf von diesen versteckt er eines Tages goldene Eintrittskarten in seine seit vielen Jahren vor der Welt verschlossene Fabrik – hinter deren Türen sich Wundersames zuträgt.

Charlie und die Schokoladenfabrik mit Johnny Depp (3.v.r.).
Charlie und die Schokoladenfabrik mit Johnny Depp (3.v.r.). © Warner Bros.

Für die zweite Verfilmung von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ nach Mel Stuarts Kino-Musical aus den 1970ern tat sich Burton erneut mit seinem Lieblingsschauspieler Johnny Depp zusammen, der hier nach Lust und Laune durchdrehen darf. In Depps Spiel vereinen sich die zwei Wesen Wonkas: der menschenscheue Megalomane und der Fantast mit dem irren Knick im Blick, zu einem irrlichternden, gar geheimnisvollen Charakter, aus dem man – wenn man die Geschichte nicht schon aus Roald Dahls Kinderbuch-Klassiker aus dem Jahr 1964 kennt – bis zum Finale nicht so recht schlau wird. Muss man ja aber auch nicht.

>> Batman

uperhelden sind zumeist umso heldenhafter, je schurkiger der Superschurke ist. In dem Sinne verdankt Batman seine Rolle als Primus unter den Maskenträgern vor allem dem Joker. Hinterhältig und gewalttätig, boshaft und psychopathisch, fantasievoll und irre ist Jack Nicholsons Joker in „Batman“ (1989) – und in diesem Film so auch für die Heldenwerdung des Fledermausmanns verantwortlich: Burton schrieb die Geschichte der Comic-Reihe um und den Mord an den Eltern von Bruce Wayne alias Batman dem Ganoven Jack Napier zu. Als eine von dessen Schandtaten fehlschlägt, ist es wiederum das Eingreifen des unwissenden Batman, das zur Entstellung von Napiers Gesicht führt – woraufhin der sich als Joker neu erfindet. Die tragische Ausgangslage für einen der großen Superhelden-Showdowns der Filmgeschichte war bereitet – und die Figur über fast zwanzig Jahre hinweg nicht ohne Nicholsons grinsgefrorene Performance zu denken, ehe Heath Ledger der Fratze eine neue Richtung gab.

>> Beetlejuice

„Beetlejuice. Beetlejuice. Beetlejuice.“ Wer dieses Wort dreimal hintereinander sagt, sollte schon genau wissen, was er tut. Denn dann steht plötzlich der Poltergeist gleichen Namens vor einem – und mit dem ist nicht zu spaßen. In dem Film „Beetlejuice“ (1988) ließ Tim Burton seinem Hauptdarsteller Michael Keaton in der Rolle dieses blassen Unsymps im gestreiften Hemd ziemlich freie Hand. Und das hat sich gelohnt: Beim Filmstart vor 30 Jahren kam das, was Keaton auf der Leinwand ablieferte, ausgesprochen irr und wirr daher: Pöbelnd und zeternd, obszön und unfassbar politisch inkorrekt. Der selbsternannte Bio-Exorzist, also jemand, der Menschen statt Geister verjagt, bringt eine ganze Tischgesellschaft dazu, zu Harry Belafontes „Banana Boat Song“ fremdgesteuert eine astreine Choreografie abzuliefern, verwandelt sich selbst in eine Mischung aus Mobile, Clown und „Hau den Lukas“ und verbreitet insgesamt Angst und Schrecken unter Untoten und Sterblichen. Die sich hinterher gegen ihn verbünden und ihn verjagen. Danach ist es zwar friedlicher, doch auch ein bisschen weniger lustig – zumindest für den Zuschauer.