Essen. . Filme über Superman, Iron Man, Batman, Wonder Woman oder Ant-Man boomen. Woher kommt die Begeisterung für übermenschliche Taten? Eine Würdigung

Gerade steht der leicht verklemmte Clark Kent noch mit adrettem Schlips und dicker Brille in der Ecke – und plötzlich merkt er: Sein Typ ist gefragt. Mal eben in die nächstbeste Telefonzelle gehüpft und – schwups – ist aus dem Schüchterling ein Supermann geworden: mit kecker Tolle, noch keckerem Lächeln, eng anliegendem Anzug und, natürlich, einem Cape. So erobert er nicht nur das Herz von Lois Lane, sondern rettet auch noch die Welt.

Die Geschichte rund um die Superman-Figur vom Planeten Krypton ist zu einer Art Blaupause für Superhelden geworden; Superman gilt als erster Superstar in seinem Genre. Und es sollten im Laufe der Zeit noch viele mehr folgen.

Heldenzeit: Szene aus „Avengers - Infinity War“.
Heldenzeit: Szene aus „Avengers - Infinity War“. © Marvel Studios

„Avengers – Infinity War“, „Deadpool 2“ und „Black Panther“: Drei der erfolgreichsten fünf Filme, die bislang allein in diesem Jahr in deutschen Kinos gelaufen sind, entstammen diesem Superheldenkosmos. Egal ob mit oder ohne Cape, allzu menschlich oder doch eher quietschbunt überzeichnet: Superhelden ziehen das Publikum wie wahnsinnig an. Doch wie hat sich das entwickelt?

Von Achillesferse bis Kryptonit

Die Faszination für heldenhafte Gestalten fing nicht erst mit der Comic-Ära an – die Ursprünge dafür liegen, wie für so vieles, im antiken Griechenland. Dessen Helden wohnte auch immer eine tiefe Tragik inne. Halbgott Achilles etwa: Den tapfersten Helden von Troja brachte seine sprichwörtliche Ferse zur Strecke – an seiner einzigen verwundbaren Stelle wurde er mit einem Pfeil getroffen und starb. Dieser wunde Punkt eines eigentlich Unbesiegbaren zieht sich bis heute durch viele Erzählstränge. So auch bei Superman, den ja letztlich nur Kryptonit, ein merkwürdiges Material von seinem Heimatplaneten, außer Gefecht setzen kann.

Verlängerter Arm der Arbeiterklasse

DC-Helden als Action-Figuren: Batman, Superman, Wonder Woman.
DC-Helden als Action-Figuren: Batman, Superman, Wonder Woman. © BrendanHunter

Als der US-amerikanische Verlag DC Comics 1938 die ersten Superman-Comicstrips herausbrachte, erfüllten diese bei ihrer Zielgruppe besonders eine Funktion: „Arbeiter sahen sich mit einer immer bedrohlicher werdenden Welt konfrontiert – und fühlten sich immer ohnmächtiger. Über Superman konnten sie Macht imaginieren“, erklärt Lars Banhold. Der Literaturwissenschaftler arbeitet an der Ruhr-Universität Bochum und beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Superheldenthematik.

Was diese Machtfantasie genau bedeutet? Nun, in den ersten Comics verkloppt Superman korrupte Politiker, beendet einfach so den Krieg in Europa und schlägt einen gewalttätigen Ehemann zusammen. „Das war damals eine Art Befreiung gepaart mit dem Wunsch, selber solche mitunter komplexen Probleme so einfach lösen zu können.“

Vom unbarmherzigen Rächer zum Hilfspolizisten

Doch der Markt wandelte sich – und Superheldencomics wurden eher von Kindern gelesen. Weshalb die Figuren – auf Elternbeschwerden hin – pädagogisch wertvoller werden mussten. Wie auch Batman, einer der wenigen Superhelden ohne Superkräfte. Hinter dem „Dunklen Ritter“ verbirgt sich bloß der Millionär Bruce Wayne, der mit gestähltem Körper, technischem Schnickschnack und wachem Verstand eigenständig gegen die Kriminalität ankämpft. Doch im Zuge der verjüngten Leserschaft wurde der unbarmherzige Rächer zum Hilfspolizisten.

Obwohl das Universum der Heroen mittlerweile vielfältig und bunt geworden ist, gibt es dennoch einen Konsens: „Superhelden äußern sich selten politisch, haben keine religiösen Ansichten und vertreten einen eher groben Moralbegriff“, so Banhold. Sobald es politisch konkreter würde, lavierten sich die Geschichten eher raus. Schwierig sei gewesen, dass Batman seit den 40er-Jahren eine Anti-Schusswaffen-Meinung vertrete. In den schießwütigen USA! „Das wird häufig angegriffen von einer Zielgruppe, die meinte, dies sei eine linksliberale Agenda.“

Wann ist ein Held ein Held?

Ein Held sei grundsätzlich „einer, der sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt; der eine ungewöhnliche Tat vollbringt, die ihm Bewunderung einbringt; der sich durch außergewöhnliche Tapferkeit im Krieg auszeichnet und durch sein Verhalten zum Vorbild wird“, interpretierte Schriftsteller Umberto Eco bereits in den 60er-Jahren diesen Begriff.

Kleiner Held ganz groß: Ant-Man (Paul Rudd) wächst im neuen Film über sich hinaus.
Kleiner Held ganz groß: Ant-Man (Paul Rudd) wächst im neuen Film über sich hinaus. © ©Marvel Studios 2018

Und es scheint seit jeher eine Sehnsucht zu geben, Menschen zu ebensolchen Helden zu machen. Zu Vorbildern, die etwas schaffen, was viele zwischen Arbeit und Schlafengehen nicht hinbekommen – und ein Gegengewicht stellen zu all der Grausamkeit, die tagtäglich passiert. Doch halten die meisten Menschen eben einer solchen Projektion naturgemäß nicht stand. Superhelden schon. So verschieden Super- oder Batman, Captain America, Hulk oder bei den Damen Wonder Woman und aktuell auf der Leinwand Ant-Man sein mögen – dieser Wille zum außergewöhnlichen Mut zeichnet sie alle aus.

Nostalgie oder Erlösungsfantasie

Doch warum wünschen sich denn nun heutzutage nicht nur Kinogänger rund um den Globus Helden herbei – und zwar mehr als je zuvor? Dies liege einerseits einfach an purer Nostalgie, mutmaßt Banhold. Schließlich seien die meisten Erwachsenen mit Superhelden-Storys aufgewachsen. Und vielleicht erfülle jemand wie Tony Stark alias Iron Man, der sich eine schussfeste Rüstung entwickelt hat, mit der er fliegen kann, auch eine Art Erlösungsfantasie: „Ein reicher, intelligenter Mensch, der einfach durch eine schlaue Idee – seinen Anzug – in der Lage ist, quasi alle außenpolitischen Probleme der USA alleine zu lösen – das trifft vermutlich schon den Zeitgeist.“ Aber ist er deswegen auch der Held der Stunde? Banhold überlegt kurz. „Nein. Zur heutigen Zeit passt am besten, dass es nicht nur einen einzigen Helden gibt, sondern eine große Diversität.“

>>>Die Teenagerin, die zwei Männern das Leben rettete

Die damals 17-Jährige Saskia Jürgens aus Waltrop griff vergangenes Jahr in Dortmund in eine Messerstecherei ein – und rettete so zwei jungen Männern das Leben. Kathrin Gemein sprach mit ihr über Zivilcourage.

Haben Sie in dem Moment, in dem Sie eingegriffen haben, über Ihr Handeln nachgedacht?

Ich glaube, dass das Darübernachdenken dazu geführt hätte, nicht zu helfen. Jede Sekunde, die ich mit Zögern verbracht hätte, hätte diese Situation verschlimmert. So eine Reaktion ist rein instinktiv – entweder man greift ein oder nicht. Das ist somit keine bewusste Entscheidung, die man fällt.

Verfolgt Sie dieser Vorfall noch?

Saskia Jürgens
Saskia Jürgens © privat

Ich habe im März eine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen. Wir haben viel über Erste Hilfe gesprochen, und mit all diesem Hintergrundwissen wurde mir erst bewusst, welches Ausmaß diese Situation hatte und wie schlimm das hätte ausgehen können. In dieser Zeit musste ich mich noch mal viel damit auseinandersetzen.

Würden Sie denn mit dem Wissen von heute in einer solchen Situation wieder eingreifen?

Ich denke schon, da mein Eingreifen ja instinktiv passiert ist. Ich war in diesem Moment so geschockt und voller Adrenalin, ich hätte mich gar nicht zurückhalten können. Das gehört zu meiner Person. Ich schätze, ich könnte in so einem Moment gar nicht einfach stehen bleiben und zugucken – ich würde wieder dazwischengehen.

Haben Sie aus dem gesamten Vorfall etwas für sich gelernt?

Dass Menschen echt grausam sein können, ist mir da erst richtig bewusst geworden. Man bekommt so etwas natürlich immer über die Medien mit. Aber es ist eben etwas anderes, wenn man so eine Situation miterlebt hat. Das alles hat mir gezeigt, dass nicht immer alles so fern ist und einem schnell selber was passieren kann.

Wie hat ihr Umfeld reagiert?

Meine Familie und Freunde waren alle stolz auf mich. Auch wenn ich am Anfang schon öfter gefragt wurde, ob ich bescheuert sei und wie ich so etwas machen konnte. Aber im Endeffekt fanden dann aber doch alle sehr mutig, was ich geleistet habe.

Sie wurden dann in den Medien auch öfter als Heldin betitelt.

Als Heldin würde ich mich nicht bezeichnen. Ich finde, das ist ein großer Begriff. Superkräfte besitze ich nicht. Ich habe nur das gemacht, was jeder hätte machen können in dieser Situation. Ich denke, es geht nur darum, dass viele nicht so gehandelt hätten, und das finde ich schade. Eigentlich, so blöd wie das klingen mag, finde ich es traurig, dass ein solches Ein­greifen so hoch angerechnet wird.

>>>Helden mit Vorbildfunktion

Sophie Scholl.
Sophie Scholl. © PA | PA

Sophie Scholl. Die geschichtsträchtigen Flugblätter, die 1943 in der Universität München auslagen, waren ein Aufruf zum Widerstand, der sich an die „Deutsche Jugend“ richtete. Verteilt hatten die Zettel zwei Geschwister: Sophie und Hans Scholl, beide selbst Studierende und zentrale Mitglieder der „Weißen Rose“, jener Gruppierung junger Menschen, die sich gegen das NS-Regime einsetzte. Als man die 21-jährige Sophie auf frischer Tat dabei erwischte, wie sie die Flugblätter in der Aula der Universität verteilte, ­kamen beide Geschwister und auch Christoph Probst, der einen Entwurf für ein Flugblatt verfasst hatte, in Haft. Zwei Tage später, am 22. Fe­bruar 1943, sprach der Volksgerichtshof die drei unter anderem der „Vorbereitung zum Hochverrat“ für schuldig und verurteilte sie zum Tod durch die Guillotine. Noch am selben Tag wurden Christoph, Hans und Sophie hingerichtet. Bis heute ist es besonders Sophie Scholl, die als Ikone der gewaltfreien Widerstandsbewegung im National­sozialismus gilt. tara

Chesley B. Sullenberger Wenn man in einer Clint-Eastwood-Inszenierung von Tom Hanks dargestellt wird, muss man es fraglos zum Helden geschafft haben. Eben diese Ehre wurde dem Texaner Chesley Burnett Sullenberger III zuteil, als im Herbst 2016 „Sully“ in den US-Kinos anlief. Basierend auf der Autobiografie des erfahrenen Piloten erzählt der Film vor allem von der spektakulären Notwasserung, die Sullenberger knapp acht Jahre zuvor auf dem Hudson River mitten im Hafengebiet von New York hingelegt hatte. Die erste Wasserlandung eines Airbus A320 überhaupt gilt unter Flugnerds und Fachleuten dank der außergewöhnlichen Anforderungen als handwerklicher Geniestreich – muss aber vor allem als Heldentat gelten, weil alle 155 Personen an Bord überlebten und dabei größtenteils nicht mal eine Schramme davontrugen. Der deutsche Titel von Sullenbergers Buch beginnt übrigens mit den Worten „Man muss kein Held sein“. Naja – vielleicht doch ein bisschen. frei

Jesus von Nazareth Er ist fraglos der erste und wohl größte Superheld unserer Zeitrechnung. Schließlich berichtet die Bibel im Neuen Testament über den Mann aus Nazareth und leibhaftigen Sohn Gottes einiges, was man heutzutage wohl guten Gewissens Superkräften zuschreiben könnte – von der Verwandlung von Wasser in Wein über Krankenheilungen bis zum Sieg über den Tod (sogar über den eigenen) und die Erlösung aller Menschen von ihren Sünden. Doch auch für Nicht- und Andersgläubige bleibt eine geradezu übermenschliche Errungenschaft Jesu, auf die sich die gesamte abendländische Kultur bis heute berufen darf: nämlich die Gesellschaftsutopie der Nächstenliebe, der gewaltfreien Konfliktlösung, des Wange-Hinhaltens und Sich-im-Flugzeug-nicht-Hinsetzens-um-eine-Flüchtlingsabschiebung-nach-Afghanistan-zu-verhindern. Ohne die Geschichte von Jesus wäre all das wohl nicht denkbar. csch

Lennart Thy
Lennart Thy © EXPA/ Focus Images | EXPA/ Focus Images

Lennart Thy. Auf dem Fußballfeld zum Helden werden, das kann jeder. Sogar Mario Götze. Aber zum Held des Spieles gewählt zu werden, zum „Man of the Match“, obwohl man gar nicht auf dem Platz stand – das muss man erst mal schaffen. Lennart Thy, dessen sportliche Karriere mit einem Bundesliga-Tor in elf Spielen ihren bisherigen Höhepunkt gesehen hat, ist es gelungen. Mehr noch: Im März dieses Jahres erhielt er, mittlerweile an den VVV-Venlo in der ersten niederländischen Liga ausgeliehen, die Auszeichnung sogar, gerade weil er seine Teilnahme an der Partie gegen den PSV Eindhoven abgesagt hatte. Natürlich mit ehren-, heldenhaftem Grund: Nachdem eine seltene Übereinstimmung seiner DNA mit der eines an Leukämie erkrankten Menschen festgestellt worden war, ging Thy statt auf den Platz zur Blutspende. „Wenn man so leicht ein Leben retten kann, ist es doch selbstverständlich, wie man sich entscheidet“, erklärte er im Nachhinein. Stehende Ovationen in Stadien im ganzen Land gab es obendrein. frei

Mamoudou Gassama Wenn man den Namen eines prototypischen Superhelden ans Revers geheftet bekommt, muss man wahrhaftig Großes geleistet haben. Viel Zeit aufwenden muss man dafür nicht unbedingt. Gerade mal 30 Sekunden brauchte Mamoudou Gassama, um sich von Balkon zu Balkon bis hinauf in den vierten Stock eines Wohnhauses im 18. Arrondissement von Paris zu hangeln, wo sich ein kleiner Junge an der Außenseite eines Geländers festhielt und nicht vor noch zurück konnte. Wer sich als so behänder Fassadenkletterer erweist, den kann, den muss man einfach „Spider-Man von Paris“ nennen. Nach seiner Heldentat wurde dem aus Mali geflüchteten 22-Jährigen, der sich ohne Genehmigung in Paris aufhielt, von Präsident Emmanuel Macron persönlich die Einbürgerung zugesagt. Anfang Juli, nur wenige Wochen nach der Heldentat, war nicht nur das erledigt – Gassama absolvierte auch seinen ersten Tag im Freiwilligendienst der Pariser Feuerwehr. Weil der Satz auf diesen Seiten unbedingt einmal fallen muss: Die schönsten Geschichten schreibt eben das Leben. frei

Florence Nightingale Dass man zu heldenhaftem Ruhm auch weniger durch eine einzelne, überlebensgroße Tat als vielmehr durch die Summe herausragender Errungenschaften gelangen kann, lässt sich an Florence Nightingale (1820–1910) illustrieren. Die gebürtige Florentinerin war Krankenschwester im heimatlichen England, als eine Begegnung mit dem Arzt Samuel Gridley Howe, Gründer der ersten Blindenschule in den USA, sie darin bestätigte, ihr Leben gegen den Widerstand von Familie und Gesellschaft der Pflege zu verschreiben. Nightingale leitete zwei Jahre ein Heim in London, pflegte im Krimkrieg (1854–56) Soldaten, initiierte mehrere Reformen in Ausbildung und Pflege im britischen Sanitäts- und Sozialsystem und wurde in all dem zu einer Ikone christlich informierter Fürsorglichkeit. Im Evangelischen Namenkalender wird sie daher mit einem eigenen Gedenktag geehrt: am 14. August, dem Tag nach ihrem Todestag. Als Galions­figur, die das westliche Pflegesystem revolutionierte und dem Beruf der Krankenschwester zu gesellschaftlicher Anerkennung verhalf, wird sie aber auch über Konfessionsgrenzen hinweg bewundert. frei