Gelsenkirchen. . Solidarische Landwirtschaft: Kunden des Lindenhofs in Gelsenkirchen zahlen einen festen Beitrag und holen wöchentlich Möhren, Salat, Zucchini ab.

Als ob Claudia Link auf dem Heuboden geschlafen hätte – so sehr ist ihr weinrotes Shirt mit getrockneten Halmen übersät. Geschlafen? Von wegen. Gearbeitet hat sie, bis die Heuernte auf dem Heuboden war. Dabei ist die 44-Jährige im eigentlichen Leben keine Landwirtin, sondern Pädagogin. Trotzdem packt sie mit an, zieht schon mal Futterrüben aus der Erde, holt die Bohnen vom Feld. „Wir können helfen, müssen wir aber nicht.“

Claudia Link ist Mitglied einer Solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Der Lindenhof in Gelsenkirchen zählt zu den wenigen in unserer Region, die nach diesem Modell arbeiten: Menschen zahlen jeden Monat einen Beitrag an einen Bauern, der dafür seine Felder bestellt. Die Ernte teilen sie sich.

Unkraut darf bei Martin Schulze Schleithoff wachsen – Insekten freuen sich darüber. Foto Services
Unkraut darf bei Martin Schulze Schleithoff wachsen – Insekten freuen sich darüber. Foto Services © Ralf Rottmann

Martin Schulze Schleithoff träumte schon immer davon, Bauer zu werden. Er studierte Agrarwissenschaften, doch dann arbeitete er für den Futtermittel-Handel. Die Eltern hatten einen alten Hof gekauft, aber der war 75 Jahre lang nicht mehr betrieben worden. Wie sollte er das Ganze finanzieren? Als der 34-Jährige vor drei Jahren die Idee der Solidarischen Landwirtschaft aufgriff, haben ihn zunächst viele verspottet – das könne doch nicht funktionieren. Dann gab es in der Zeitung einen Aufruf: „Es haben sich 350 Familien gemeldet“, so Martin Schulze Schleithoff.

Jedes Solawi-Mitglied zahlt einen Beitrag

Heute haben rund 150 Familien Gemüseanteile. Sie zahlen jeden Monat 82 Euro, lassen den Bauern dadurch unabhängig von Ertrag oder Marktpreisen sicher planen und bekommen dafür wöchentlich ihre Möhren, ihren Salat, ihre Zucchini – immer das, was gerade reif ist, ohne für die einzelne Sorte einen speziellen Preis zu zahlen. Wildfremde Menschen gaben Schulze Schleithoff ein Startkapital, ohne vorher auch nur eine Erbse zu sehen, erzählt der Vater von zwei Kindern so, als ob er es immer noch nicht fassen könnte: „50 000 Euro haben sie mir in die Hand gedrückt und gesagt: ,Fang an!’“

Es ist Freitag, Abholtag – die zweite Chance gibt es am Samstag. Auto an Auto reiht sich am Straßenrand. Mutter mit Kind sowie ein grauhaariger Mann gehen auf eine schlichte Bretterbude mit Foliendach zu. In der Mitte steht ein großer Tisch, dessen Platte vor lauter Salaten nicht zu sehen ist. Fenchel liegt gestapelt auf einer Scheunenseite mit so viel Grün, wie man es in der Länge im Supermarkt niemals zu Gesicht bekommt.

Annegret Wehner (57, M.) kocht heute anders: Immer das, was gerade reif ist, kommt bei ihr auf den Tisch.
Annegret Wehner (57, M.) kocht heute anders: Immer das, was gerade reif ist, kommt bei ihr auf den Tisch. © Ralf Rottmann

Solawi-Mitglied Gerd Wehner (62) zeigt auf einen Spitzkohl und sagt: „Daraus mache ich Sauerkraut.“ Aber vorher mal durchschneiden, empfiehlt Schulze Schleithoff, könnte ein Würmchen drin sind. „Ach, mit Fleischeinlage“, scherzt Gerd Wehner. Seine Frau Annegret (57) sagt: „Wir kochen heute anders.“ Sie nehmen sich mehr Zeit dafür, frieren und kochen ein. Gerd Wehner ergänzt: „Früher haben wir gesagt: ,Was essen wir heute?’ Heute sagen wir: ,Was ist da?’“

Auch im Winter fahren sie zu ihrem Bauern, dann gibt es Porree und Grünkohl und Schwarzwurzel, eingelagerte Kartoffeln sowie Zwiebeln. Wünsche für Gemüsesorten können sie während der Mitgliederversammlung äußern. Wobei Martin Schulze Schleithoff schmunzelnd bemerkt, dass der Ruf nach Erbsen nicht mehr ganz so laut sei, seitdem einige bei der mühsamen Ernte mitgeholfen haben.

Kritik von anderen Landwirten

Kritische Stimmen hört er eher von manchen anderen Landwirten: „Dass ich die Leute über den Tisch ziehe, weil andere billiger Eier produzieren können.“

„Sparen kann man nicht damit“, sagt Gerd Wehner. Aber das ist auch nicht der Grund, warum er und seine Frau aus Recklinghausen mitmachen. „Mir sind all die Lebensmittelskandale auf den Zwirn gegangen“, sagt Annegret Wehner. „Beim Eierskandal habe ich gesagt: ,Ich mache da nicht mehr mit!’“

Als keiner hinschaut, nascht die Hofkatze in der Abholscheune vom Kakao.
Als keiner hinschaut, nascht die Hofkatze in der Abholscheune vom Kakao. © Ralf Rottmann

Auf dem Hof picken auch Hühner – das Spezialgebiet von Bauersfrau Steffi. „Bei uns gibt es den Rundumschlag“, sagt Martin Schulze Schleithoff. Auch arbeiteten sie nicht nur für die Menschen, betont er. Insekten, Hasen, Rebhühner seien willkommen. Deshalb steht auf dem Acker Unkraut.

Nicht alles ist auf dem Lindenhof Bio. Aber wenn Schulze Schleithoff wie in diesem Jahr die Kartoffeln spritzt, dann stünde das auch in der Hofpost für die Mitglieder. Für ihn arbeiten eine Vollzeitkraft, eine in Teilzeit und drei 450-Euro-Kräfte. Neulich hatten aber zwei Mitarbeiter einen Krankenschein. Er bat die Solawi-Mitglieder um Hilfe. „Auf einmal hatten wir 20 Leute zum Bohnen-Pflücken. Das hat der normale Landwirt nicht.“

Die Hinterwälder stehen im Sommer auf der Weide.
Die Hinterwälder stehen im Sommer auf der Weide. © Ralf Rottmann

Ein Mann in Hemd und Anzughose zapft in der Abholscheune an einem Automaten Milch (monatlicher Anteil: 9 Euro für 4 Liter), die ein befreundeter Bauer aus Haltern am See liefert. „Das ist frische, hochprozentige Milch“, sagt Claudia Link. Doch nicht wegen der Milch ist sie dabei, auch nicht wegen der Eier (16 Euro für ca. 24 Eier) – „Ich habe selber Hühner.“ Sie suchte einen Bauern, der Fleisch von eigenen Tieren vermarktet.

Martin Schulze Schleithoff meldet sich alle zwei, drei Monate bei den Mitgliedern, die einen Fleischanteil (67 Euro) haben. „Je nachdem wie schlachtreif die Tiere sind“, so Claudia Link. „Das sind ungefähr zehn Kilo Rind, Schwein, zwischendurch ist auch mal ein Hähnchen dabei.“ Sie kaufe fast gar nichts mehr dazu, höchstens für einen großen Grillabend. Damit ist ihre Hilfe bei der Heuernte auch nicht uneigennützig. Davon ernähren sich im Winter die braun-weißen Rinder. Im Sommer stehen die Hinterwälder auf der Weide. Und wenn mal ein Tier krank wird, informiere der Bauer die Mitglieder, wie das Rind behandelt wurde. Claudia Link: „Ich weiß nun, wo mein Fleisch herkommt, das war mir ganz wichtig.“

>> LINDENHOF - SOLAWI

Bei der Solidarischen Landwirtschaft auf dem Lindenhof in Gelsenkirchen-Ost sind nicht alle Gemüseanteile vergeben. Monatlicher Beitrag: 82 Euro. Es gibt keinen Hofladen. Mehr Info: 0151 / 443 43 192 oder lindenhof-gelsenkirchen.de