Essen. . Klon-Steak aus dem Labor und Lollo Rosso aus vertikalen Gewächshäusern: Wir haben eine kleine Reise in die Zukunft unserer Ernährung gemacht.
Samstag, im Juni 2042: „Das wird knapp mit dem Mittagessen“, sagt Ben. Sein Sohn Herbert quengelt: „Ich habe aber Hunger.“ Ina fragt: „Kartoffelsuppe?“ Tochter Irene ruft begeistert: „Oh ja, wie bei Oma!“ Kaum hat Ina auf ihre Smart-Uhr getippt, beginnen in der Küche zu Hause zwei Roboterarme mit dem Schälen der Kartoffeln.
Wie werden wir uns nach 24 Ernten ernähren? Rühren wir nur noch Pulver an – wie bei der von dem US-Softwareentwickler Rob Rhinehart bereits erfundenen Kunstnahrung? Werden Roboter das Kochen erledigen? Wird noch genügend gesundes Gemüse für uns da sein? Hellsehen können wir nicht: Aber bereits heute zeichnet sich ab, was morgen möglich wird.
Salat frisch von der Gebäudewand geerntet
„Uns fehlt noch Salat“, sagt Ina. Sie steuert auf ein altes Zechengebäude zu, dessen Wände nicht mehr zu sehen sind vor lauter Grün. Im Inneren sieht es genauso aus: Ihr Blick geht von Etage zu Etage, von Kopfsalat zu Lollo Rosso, beschienen vom LED-Licht. Ina wählt auf einen Bildschirm den Endiviensalat. Über einen Aufzug kommt er zu ihr, nachdem ein automatisches Messer den Salat frisch geerntet hat.
Was wie ein Science-Fiction-Film wirkt, ist bereits heute im Ansatz Realität. In einer ehemaligen Stahlfabrik in New Jersey werden zum Beispiel jeden Tag 10 000 Kopfsalate geerntet: Vertikale Gewächshäuser sparen Platz und können unabhängig vom Wetter viele frische Lebensmittel liefern. Besonders in großen Städten, wo die Transportwege vom Land lang sind, könnten solche Anbauformen das Angebot ergänzen.
Allerdings: Wenn der Energie- und Wasserverbrauch bei Indoor-Farmen sehr hoch ist, wäre die Variante keine Entlastung für die Umwelt. Dann lieber Farmen auf den Dächern von Firmen, auf die Sonnenlicht trifft. In Oberhausen soll 2019 der „Altmarktgarten“ eröffnen: Die oberste Etage des neuen Jobcenters ist dann ein Gewächshaus.
Landwirtschaft ganz solidarisch organisiert
„Ich gehe schnell zu unserem Sola“, sagt Ben und verschwindet in einer Markthalle. Dort geben die Bauern der „Solidarischen Landwirtschaft“ Eier und Milch, Gemüse und Obst an ihre Partner, die Anteile an dem ökologisch betriebenen Hof gekauft haben.
Wie wird die Landwirtschaft der Zukunft aussehen? Werden auf die Felder weiterhin chemische Pflanzenschutzmittel gesprüht, die Insekten sterben lassen – auch die Nützlinge? Wird es Monokultur geben – Mais, Mais, Mais und Soja, Soja, Soja? Wird es dann auch in der Europäischen Union erlaubt sein, großflächig genveränderte Sorten anzupflanzen? Schon heute ist die Macht der Agrarkonzerne gewaltig. Mit dem Kauf des Saatgutriesen Monsanto steigt Bayer zum weltgrößten Agrochemie-Konzern auf. Der Lösungsweg dieser Branche für die immer größere Weltbevölkerung lautet: Steigerung der Produktivität. Kritiker sehen darin einen Irrweg.
Alte Sorten wiederentdeckt
Die Gäste sind da. Marie hat eine Vorspeise mitgebracht. „Was ist drin?“, fragt Ina und schließt beim Probieren genüsslich die Augen. „Dreierlei Tomate, zweierlei Zwiebel . . “, zählt Marie auf. „Unser Bauer hat alte Sorten gepflanzt.“
„Wir müssen weg von einer konventionellen hin zu einer ökologisierten Landwirtschaft“, sagt Stephanie Töwe, Expertin bei Greenpeace. Die Umweltorganisation hat 2017 eine Studie veröffentlicht, nach der die Menschen in Deutschland auch 2050 noch ernährt werden können, selbst wenn Landwirte auf Pestizide, Kunstdünger, Monokulturen und Genmanipulation verzichten. Stattdessen können sie durch eine geschickte Fruchtfolge die Böden fruchtbar erhalten für eine Vielfalt an Pflanzen. „Es geht nicht darum, ins letzte Jahrhundert zurückzugehen“, betont Töwe. „Die ökologische Landwirtschaft wird auch von der Digitalisierung profitieren.“ Schon heute können zum Beispiel Spargel-Bauern mit Hilfe von Sensoren die Temperatur im Boden über ihr Smartphone kontrollieren.
Geklontes Fleisch in bester Qualität
Zwei Stunden bis zum Anpfiff. Bei der Fußball-WM spielt Deutschland, daher grillen Freunde und Familie mal wieder. „Mmmh, das ist gut“, sagt Ben und isst den letzten Bissen seines Fleischstücks. Dann greift er noch mal zu: „Ich schmecke keinen Unterschied mehr zum Fleisch vom echten Schwein.“
Gute Nachricht für diejenigen, die gern Fleisch essen: Es müssen nicht alle Menschen Veganer werden, um die Ernährung in Deutschland zu sichern. Aber der Konsum an tierischen Produkten ist deutlich zu hoch: Im Schnitt werden in Deutschland 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Kopf verzehrt.
Früher grasten Rinder auf Weiden, auf denen Bauern kein Getreide oder Gemüse pflanzen konnten. Dann wurden es so viele Tiere, dass man sie nur noch mit zusätzlichem Futter ernähren konnte. Ein schlachtreifer Mastbulle, der 600 bis 700 Kilogramm wiegt, von denen etwa die Hälfte verwertet wird, hat bis dahin „850 Kilogramm Kraftfutter und 2000 Kilogramm Silomais gefressen und mehr als 13 000 Liter Wasser gesoffen“, veranschaulicht der Agrarwissenschaftler Felix zu Löwenstein in seinem Buch „Food Crash“. In Südamerika wird Regenwald abgeholzt, um Plantagen für Soja zu bauen, das dann im Trog der Schweine in Deutschland landet. Das sind Flächen, auf denen Bauern vor Ort auch für ihren eigenen Bedarf Lebensmittel anbauen könnten. Um die Ernährung in Deutschland zu sichern, müssten wir laut Greenpeace 50 Prozent weniger Fleisch produzieren und essen.
Schon heute gibt es Bolognese aus Seitan – das Weizen-Lebensmittel hat die Konsistenz von Fleisch. Und im April dieses Jahres wurden in einem Aachener Supermarkt die ersten Insektenburger verkauft. Aber ob sich diese eiweißreiche Variante in unserem Kulturkreis durchsetzt? Algen dürften weniger Ekel hervorrufen. Oder Fleisch aus dem Labor. Dabei werden tierische Zellen geklont, bis daraus etwa ein Steak gewachsen ist. In den Niederlanden wurde bereits 2013 ein Burger aus der Petri-Schale serviert.
„Genuss und Ernährung“ als Schulfach
„Möchte noch jemand von der Vorspeise?“ Kopfschütteln. „Ich kenne ein Rezept für Tomatensauce“, sagt der kleine Herbert. „Hatten wir in der Schule, bei ,Genuss und Ernährung’“. Er zeigt auf die Kräuter auf dem Balkon: „Nur noch Rosmarin, Basilikum . . .“ „Jetzt aber mal keine Rezepte für Reste ausgetauscht“, unterbricht ihn Ben. „Das Spiel geht los!“
Über 18 Millionen Tonnen Essen landen in Deutschland laut Umweltorganisation WWF pro Jahr im Müll. Würde die Zahl reduziert, müsste auch entsprechend weniger angebaut werden. Nicht nur Kantinen, Restaurants und Supermärkte werfen noch gutes Essen weg. Fast jedes zweite dieser verschwendeten Lebensmittel geht auf Kosten von Privatleuten. Besonders Obst und Gemüse landen im Abfall. Aber auch Brot und Fleisch, weil es zum Beispiel in der Familienpackung billiger war, der Käufer aber Single ist.
Tor für Deutschland! Während die Erwachsenen mit Bier anstoßen, fragt Irene: „Mama, darf uns der Küchen-Robo Chips machen?“
>>>Wie essen wir in Zukunft? Experten antworten
Prof. Mathilde Kersting, Ernährungsforscherin (Dortmund/Bochum): Das Problem der Zukunft wird nicht mangelndes Wissen sein. Aber von den Köpfen wandert es nicht unbedingt auf den Teller. Denn dem gegenüber werden knappe Zeit stehen und ein immer größeres Sortiment vorgefertigter Produkte, deren Zusammensetzung auch für aufgeklärte Verbraucher oft schwer einzuschätzen ist. Auch wird das Essen als soziales und kulturelles Erlebnis in Zukunft noch gefährdeter sein, gerade bei Kindern. Schon heute schafft es eine Familie kaum, auch nur eine gemeinsame Mahlzeit zu teilen. Ohne Zweifel werden Fertigprodukte den Tisch der Zukunft decken. Das können wir nicht aufhalten. Wir müssen also den Umgang damit lernen. Ein selbst gemachter Salat kann schon eine große Eigenleistung sein.
Herwig Niggemann. Foto: Ingo Otto Herwig Niggemann war vier Jahrzehnte Gastro-Zulieferer im Revier: Es wird ein noch größerer Spagat entstehen zwischen funktionaler Nahrungsaufnahme und Essen als Zentrum der Kommunikation. Eine Familie, die sonst sehr individualisiert lebt, wird eine Begegnung im Restaurant als Feier ihres Daseins begehen. Das führt zu verschiedenen Restauranttypen – Supermarkt hier, Individual-Erlebnis da. Aber auch die Webergrills werden so etwas wie ein vom Trend kreiertes soziales Lagerfeuer sein. Gastronomie, die sich nicht mitbewegt, wird ohne Chance sein. Menschen wird es in Zukunft schneller langweilig werden, traditionell essen zu gehen. Die Gäste der Zukunft wollen Genuss, Überraschung. Folglich wird das Essengehen noch viel mehr als heute Moden und Trends unterworfen sein.
Gabi Merholz, Öko-Landwirtin, Schniedershof, Wachtendonk: In Zukunft wird der Kampf um unsere Böden ein großes Thema sein. Werden sie das nächste Spekulationsobjekt oder sind sie das lebendige Land, auf dem unser Essen wachsen kann? Ich fürchte, dass insgesamt die krasse Spaltung weitergehen wird: Auf der einen – der kleineren – Seite ein großes Bewusstsein für Essen auch im Sinne unserer Verantwortung für die Natur. Auf der anderen Seite eine Lebensmittelerzeugung, die im Grunde komplett unnatürlich ist. Ich kann nur hoffen, dass die Leute in Zukunft wacher werden. Aktuell reagieren viele nur aus Angst und dann leider nur kurzfristig, nämlich solange ein Lebensmittel-Skandal in den Schlagzeilen ist. Aber das ist ja noch kein echter Bewusstseinswandel.
Jörg Hackbarth.
Foto:
Kerstin Bögeholz
Jörg Hackbarth, Spitzenkoch („Hackbarth’s“), Oberhausen:
Die Schere zwischen unserem Wissen über Lebensmittel und dem tatsächlichen Essverhalten wird noch viel weiter auseinandergehen. Auch das Schmecken der Menschen, geprägt durch Fertignahrung, wird sich verändern. Dass selbst meiner Tochter der Spinat mit „Blubb“ besser schmeckt als einer, den ich als Profi frisch koche, ist heftig. Wie Produkte eigentlich schmecken, wissen schon jetzt viele nicht mehr. Was „Geschmack“ betrifft, sehe ich ihn bei ganzen Schichten den Bach heruntergehen. Ich vergleiche das mit der Krankenversicherung: Wenige bekommen Qualität, der Rest Leistung von der Stange. Aber das ist nicht nur ein soziales Problem. Urlaub und Auto sind vielen wichtiger als eine gute Kartoffel. Das prägt unsere Zukunft.
>>>Tipps für mehr Nachhaltigkeit
Food-Outlet: Überschüssige Ware aus Supermärkten, die nicht an die Tafel gehen, landen nun in Berlin in einem Food-Outlet. Dort wird sie günstiger verkauft. Über foodsharing.de werden bundesweit noch gute Lebensmittel verteilt.
Unverpackt-Läden liegen im Trend. Foto: Kai Kitschenberg Unverpackt-Läden: Lebensmittel ohne Plastikverpackung sind nicht nur für die Umwelt gut. Singles können in Unverpackt-Läden kleine Portionen kaufen und müssen weniger wegwerfen, wie etwa bei „Glücklich unverpackt“ in Essen.
Solidarische Landwirtschaft: Bei der Solidarischen Landwirtschaft geben Kunden dem Bauern in der Region eine Abnahmegarantie. Der Landwirt kann besser planen, der Kunde bekommt lokale und gesunde Produkte.
Selbstversorger: Man muss ja nicht gleich den ganzen Innenhof in einen Gemüsegarten umwandeln. Aber ob Tomate, Pflücksalat oder Basilikum: Alles, was auf dem Balkon wächst, spart umweltschädliche Transportwege.